Jagdglück in den Highlands
| Text: Ilka Dorn |
Raue Landschaften und unberechenbares Wetter – dafür steht das Jagen in Schottland. Aber auch die Herzlichkeit und die Originalität der Menschen sind es, die HALALI-Redakteurin Ilka Dorn so sehr an diesem Land liebt. Und natürlich kommt das Jagderlebnis mit Familie, Hund und Freunden auch auf dieser Reise nicht zu kurz.
Es gibt Länder, die hat man einmal gesehen, ohne den Wunsch zu verspüren, sie eines Tages erneut zu bereisen. Das mag oberflächlich klingen und sicherlich mit vielen Vorurteilen behaftet sein, doch bin ich der Meinung, dass man seine ohnehin recht knapp bemessenen Urlaubstage dort verbringen sollte, wo es einem nun mal am besten gefällt. Und dann gibt es aber auch jene Länder, mit denen man etwas ganz Besonderes verbindet und bei denen mit jedem erneuten Besuch der Wunsch größer wird, das nächste Mal wieder dorthin zu reisen. Schottland ist solch ein Land für mich, und auch wenn es jagdlich betrachtet sicherlich nicht das abwechslungsreichste Land ist, kann ich persönlich nicht genug davon bekommen. Und immer wieder frage ich mich aufs Neue, warum dies eigentlich so ist. Vielleicht liegt es an der weiten und einsamen Landschaft, die mehr Schafe als Menschen zu beherbergen scheint, an den kargen Hügeln, die sich in den unterschiedlichsten Braun- und Gelbtönen schier endlos am Horizont erstrecken, an den vielen unergründlichen Seen, die so dunkel und bedrohlich erscheinen, oder an den Menschen, die man zu nehmen (und zu verstehen!) wissen muss, die aber immer freundlich und hilfsbereit sind. Oder vielleicht ist es der Mix aus allem, was Schottland für mich zu dem macht, was man hierzulande mit dem etwas lapidaren Ausspruch „immer eine Reise wert“ zusammenfassen würde. Und so war es für mich mittlerweile das achte Mal, dass ich zur Jagd nach Schottland gereist war. Diesmal mit einer größeren Gruppe von Freunden und deren Familien, die alle die Begeisterung für dieses Land teilen.
Für eine so große Gruppe eine passende Unterkunft zu finden war gar nicht so einfach, doch wir hatten das Glück, dass das Kildermorie Estate in der Grafschaft Ross-shire eine Lodge anbietet, in der bis zu 20 Leute unter-gebracht werden können – tipptopp ausgestattet und mit einer Küche versehen, die auf große Gruppen ausgelegt ist und das Thema Self-Catering für viele Personen einfach macht. Die Lodge liegt zwar etwas abseits und man muss bis zum nächsten Pub eine knappe halbe Stunde Autofahrt einplanen, aber dafür ist sie sehr idyllisch an einem großen See gelegen und bietet genügend Beschäftigungsmöglichkeiten für die jagdfreie Zeit – vor allem, wenn man, so wie wir, mit „Kind und Kegel“ reist. In unserem Fall haben wir uns diesmal dazu entschlossen, neben unseren Kindern unseren jüngsten vierbeinigen Nachwuchs mitzunehmen – unseren Neuzugang, die English-Springer-Spaniel-Hündin Emmy. Ich hatte mir vorgenommen, dass mich Emmy auch auf der Jagd begleiten sollte – für mich ein Novum, da wir ansonsten zwar schon öfter unsere Hunde mit dabeihatten, diese aber am Jagdtag selbst meist in der Lodge gelassen hatten. Zu groß war die Sorge, dass die quirligen Spaniels die Pirsch verderben könnten, vor allem, da sie mit ihrer weißen Fellgrundfarbe in der schottischen Herbstlandschaft alles andere als getarnt wären. Doch Emmy ist anders. Ihre Grundfarbe ist dunkelbraun, die typische weiße Spaniel-Musterung sieht man fast ausschließlich an Bauch und Brustfell. Perfekt getarnt also, bis auf die leuchtend weiße Spitze der von ihr meist aufrecht getragenen Rute, die wie ein Fähnchen keck hin- und herwackelt. Doch darüber wollen wir einmal großzügig hinwegsehen. Vom Typ her ist sie eher ruhiger, viel anhänglicher als die anderen beiden, fast schon ängstlich, sodass ich sie mir als idealen Jagdbegleiter bei der Pirsch aufs Rotwild vorstellen konnte. Doch ob sie für mich eine Bereicherung sein würde oder doch nur alle störte, das wusste ich natürlich nicht, doch ich stellte es mir so schön vor, mit ihr gemeinsam in den Highlands zu jagen.
Der erste Jagdtag begann sehr früh. Das Wetter zeigte sich wechselhaft – bewölkt mit sonnigen Abschnitten, die Aussichten waren aber gut. Zuerst stand das Probeschießen auf dem Programm, und nachdem alle Jäger ihren Probeschuss erfolgreich absolviert hatten, teilten wir uns auf. Mein Mann Oliver und ich bildeten ein Team, das heute vom Head Stalker des Estates, Sam Thompson, und von seinem Trainee Allan geführt werden sollte. Wir wurden von unserer Lodge abgeholt und fuhren erst einmal zu einer nahe gelegenen Aussichtsplattform. Von dort hatten wir eine traumhafte Übersicht über weite Teile des Reviers, dessen weitläufige Hügellandschaft sich kilometerweit vor uns erstreckte. In dieser Gegend sind die schottischen Highlands nicht wirklich „high“, sondern eher sanft geschwungen. Einen sogenannten Munro (so nennen die Schotten einen Berg, der mindestens 3 000 Fuß, also 914,4 Meter, hoch ist und sich durch eine „gewisse Eigenständigkeit“ auszeichnet) findet man hier im Estate nicht. Erst weiter im Landesinneren werden die Berge wieder höher und steiler. Das macht die Jagd hier im Kildermorie Estate zwar weniger anstrengend, aber dennoch herausfordernd genug, denn flacheres Gelände bedeutet oft, dass man nicht so nah ans Wild herankommt und länger in tiefster Gangart durch das nasse Gras kriechen muss. Da ist mir ein längerer, anstrengen-derer Aufstieg oftmals lieber. Doch daran war noch lange nicht zu denken. Wir standen noch am Aussichtspunkt und hielten Ausschau, wo sich gerade welche Rudel befinden mochten. Da wir heute mit mehreren Teams unterwegs waren, mussten wir uns besonders gut absprechen, damit wir uns nicht gegenseitig störten. Sam entschied sich für die Westseite des Reviers, während sich die anderen Teams auf den Weg nach Osten machten. Noch ein paar letzte Absprachen und gegenseitige Waidmannsheil-Wünsche, und schon saßen wir wieder im Land Rover und fuhren weit ins Revier hinein. An einem alten Schuppen angekommen, der allem Anschein nach ein häufig gewählter Ausgangspunkt war, parkten wir unser Auto und machten uns fertig. Die Waffe verfrachtete ich in eine leichte Gewehrtasche, was sich in der Vergangenheit als äußerst praktisch erwiesen hatte. So lässt sie sich leichter über den Boden ziehen, wenn man die letzten Meter kurz vor dem Schuss näher ans Wild heranrobben muss, ohne dass sie verdreckt oder sogar Schaden nimmt.
Emmy schien die Anspannung zu spüren, lief sie doch aufgeregt um uns herum und war kaum zu bändigen. Ich fragte Sam, ob er etwas dagegen habe, dass Emmy dabei sei, er antwortete mit einer Gegenfrage: „Does she chase deer?“ Ich überlegte kurz und verneinte. Ich glaubte nicht, dass sie dem Rotwild hinterherjagen würde. Emmys Drückjagderfahrungen beschränkten sich bis zu diesem Zeitpunkt auf einige wenige, und bei diesen war sie zwar mit Feuereifer dabei, ging aber dem Wild nie hinterher. Sam nickte zufrieden und streichelte ihr kurz über den Kopf: „No problem!“ Wir besprachen kurz die Taktik und den heutigen Jagdtag. Wir wollten uns auf eine bestimmte Hügelkette konzentrieren. Dort vermutete Sam das Wild in einer Mulde unterhalb der Bergkuppe. Um dorthin zu gelangen und den Wind richtig nutzen zu können, würden wir einen größeren Bogen schlagen müssen. Der Vorteil wäre, dass wir ganz bequem in einer Rinne gehen könnten, die ein wenig tiefer läge. So kämen wir schon ein ganzes Stück näher ans Wild heran. Gesagt, getan! Wir packten unsere Sachen und machten uns langsam auf den Weg. Emmy lief fleißig um uns herum. Hier konnte uns das Wild nicht sehen und sie es somit auch nicht verscheuchen. Später dann, wenn wir das Gelände vor uns nicht mehr einsehen könnten und jederzeit Wild vor uns auftauchen könnte, würde ich sie an die Leine nehmen.
Es war mir eine wahre Freude, wie unsere kleine Emmy immer mehr auftaute und es genoss, mit uns durch das Heidekraut zu laufen. Sie umkreiste uns ständig, lief aber nie weit von uns weg, sodass ich ganz beruhigt den Aufstieg genießen konnte. So ging es ein ganzes Stück vorwärts, bis das Gelände ein wenig flacher wurde. Jetzt hielt Sam immer wieder kurz an und tauschte sich mit Allan aus, um mögliche Pirschtaktiken zu besprechen. Allan war noch in der Ausbildung, und Sam nutzte die Chance, Allan zu prüfen und abzufragen, was er machen würde, wenn jetzt vor uns Wild in Anblick käme. Jetzt kam der Moment, an dem ich Emmy an die Leine nahm, denn wir näherten uns dem Rand der vor uns liegenden Hügelkette. Hier ließ uns Sam zurück und pirschte zusammen mit Allan auf allen vieren näher an den Rand heran. Eine geraume Zeit lagen er und Allan knapp 50 Meter vor uns im Gras, sie diskutierten miteinander und glasten immer wieder die vor ihnen aufragende Hügelkette ab, die wir von unserem Standpunkt aus nicht einsehen konnten. Knapp eine halbe Stunde später kamen beide zurück und erklärten uns die Situation. Vor uns in der Mulde wären wohl drei Hirsche zu sehen, wovon einer passend wäre. Allerdings stünde weiter hinten ein größeres Kahlwildrudel, das aufmerksam alles beobachten würde und uns womöglich alles verderben könnte. Außerdem wäre die Pirsch eine Tortur, denn um nah genug ans Wild heranzukommen, müssten wir sehr lange über offenes Gelände kriechen. Doch wir wollten es natürlich versuchen. Also packten wir unsere Sachen zusammen und machten uns auf den Weg.
Sam hoffte, in einem Graben weiter oben besser ans Wild heranzukommen, doch um diesen zu erreichen, mussten wir erst einmal wieder runter in die Rinne und dieser weiter folgen. Hier konnten wir auch wieder halbwegs aufrecht gehen, doch schon bald mussten wir diese Deckung verlassen. Eine tiefe, moorige Torfrinne zog sich jetzt quer zu der Rinne, der wir schon den ganzen Weg hinauf gefolgt waren. Sam ging tief gebückt vorweg, wir folgten ihm. Immer wieder rutschten wir auf dem nassen Untergrund aus, und innerhalb kürzester Zeit waren unsere Bergstiefel tiefschwarz. Ich war froh über meine Chaps, hielten sie doch zumindest den gröbsten Dreck fern. Emmy war zunächst ein wenig irritiert, dass ich mich jetzt plötzlich auf ihrer Höhe neben ihr fortbewegte, doch schon nach wenigen Augenblicken ging sie ganz unbekümmert damit um. Sie zog nicht an der Leine und stapfte tapfer durch den moorigen schwarzen Schlamm. Je weiter wir vorwärtskamen, umso flacher wurde der Graben. Ein letzter Blick durchs Fernglas, doch das Wild war immer noch zu weit entfernt. Es half also nichts, wir mussten kriechen.
Ich ließ Emmy bei Oliver und Allan und machte mich zusammen mit Sam auf den Weg. Das Fernglas packte ich an die Seite, die Tasche schulterte ich quer zur Brust, die Waffe legte ich flach ins Heidekraut. So konnte ich sie – sicher im Futteral verstaut – ganz einfach hinter mir herziehen. Wir kamen nur langsam voran, doch schafften wir es, bis auf 240 Meter an den Hirsch heranzukommen. Ich lag neben Sam, der aufmerksam die Fläche vor uns beobachtete. Noch befand sich meine Waffe im Futteral. Wir überlegten, ob wir noch näher heranrobben sollten. Das Wild schien durch uns nicht beunruhigt, und doch äugte das Kahlwild, das unverändert weiter oben stand, immer wieder aufmerksam nach links. Und wie auf Kommando setzte es sich plötzlich in Bewegung, verschwand über die nächste Hügelkette und mit ihm die drei Hirsche vor uns. Sam und ich schauten uns an, ratlos zuckte Sam mit den Schultern. Wir hätten es beinahe geschafft! Doch irgendetwas schien das Wild gestört zu haben. Der Wind kann es nicht gewesen sein, der blies uns direkt ins Gesicht, und doch muss weiter links von uns etwas gewesen sein, was das Wild beunruhigt hatte. Wir wussten es nicht, und es half auch nichts, darüber weiter nachzudenken, was es hätte sein können, das Wild war und blieb erst einmal verschwunden.