Rehbockjagd in Rumänien – Begleitet vom wilden Duft blühender Robinien

| Text: Ilka Dorn |

Eine Jagdreise anzutreten bedeutet nicht nur fremde Länder und Kulturen kennenzulernen, interessante Menschen zu treffen und neue Jagdarten zu erleben, sondern auch neue
Eindrücke zu sammeln, die Natur mit anderen Augen zu sehen und die ungewohnte
Umgebung mit allen Sinnen zu entdecken. Für HALALI-Redakteurin Ilka Dorn sind es vor
allem die unbekannten Geräusche und Gerüche, die kleinen Entdeckungen und Beobachtungen am Wegesrand, die den Besuch eines fremden Landes so besonders machen.
Begleiten Sie die Redakteurin und ihre Freundin Tanja Dautzenberg auf eine spannende Bockjagd in das wilde Rumänien.
Fotos Tobias Westen

Prolog

Da war es wieder, dieses eindringliche Geräusch. Dieser eine eintönig monotone flötende Ton, der mit präziser Regelmäßigkeit im Abstand von zwei Sekunden immer wieder durch die noch nachtschwarze Nacht erklingt. Der Ruf kommt aus dem kleinen Wäldchen auf der anderen Straßenseite, nicht leise und vorsichtig, sondern laut, durchdringend und fordernd. Es ist ein Geräusch, das ich von zu Hause nicht kenne bzw. so bewusst noch nie gehört habe. Verorten würde ich das Geräusch nicht als natürlich, sondern eher künstlich, wie einen Peilsender oder eine Boje, die immer wieder einen Signalton von sich gibt. Und doch kann es nur natürlichen Ursprungs sein, und so hilft ein kurzer Check mit der Vogelbestimmungs-App auf dem Handy, was es denn nun genau ist. Ein Zwergohreulenmännchen singt sein einsames Lied, das unerwidert durch die windstille Frühlingsnacht schallt. Wieder etwas dazugelernt, sage ich mir, und ich freue mich, dass diese bei uns eher selten anzutreffende kleine Eulenart hier anscheinend recht häufig vorkommt, denn am Abend zuvor hatte uns dieses monotone Flöten bereits auf dem Rückweg von unserer Abendpirsch zum Auto begleitet. Da war ich jedoch zu sehr abgelenkt, um diesem Geräusch direkt auf den Grund gehen zu können. Zu erfüllt war ich von unserem ersten Reviergang mit all den neuen Eindrücken, die auf uns wirkten, und von den einzigartigen Momenten, die wir bereits erleben durften.

Wir fahren nach Rumänien

Doch fangen wir lieber ganz von vorn an. Wie so viele Jagdreisen begann auch diese Reise mit einem Besuch auf der Jagdmesse „Jagd & Hund“ und den sich dort zufällig ergebenden Begegnungen und Gesprächen. Meine Freundin Tanja und ich schlenderten durch die Halle 7, als wir an dem Stand des Anbieters „Merle Jagdreisen“ vorbeikamen und dort auf bekannte Gesichter stießen. Wir blieben stehen und kamen mit dem Geschäftsführer Egon Merle ins Gespräch. Es dauerte nicht lange, bis für uns klar war, wohin die nächste Reise gehen sollte. Wir würden zur Bockjagd nach Rumänien reisen! Nicht die Karpaten oder die flacheren Landstriche Siebenbürgens wurden uns empfohlen, sondern die eher unbekannte und touristisch wenig erschlossene Region Moldau im Nordosten Rumäniens wurde uns von Herrn Merle ans Herz gelegt. Neugierig darauf, wie es dort wohl aussehen würde und was wir dort erleben würden, freuten wir uns sehr, als wir uns dann im Mai endlich auf die Reise machen konnten. Der Flug nach Rumänien war problemlos, denn wir hatten das Glück, dass Eurowings im Frühjahr dieses Jahres zwei Monate lang einen Direktflug von Düsseldorf nach Iași angeboten hatte. Warum, das war für uns nicht nachvollziehbar, aber wir nahmen das Angebot natürlich gerne an. So kam es, dass wir bereits im Laufe des Vormittags auf dem gerade fertiggestellten neuen Flughafen im Nordosten Rumäniens landeten. Hier wurden wir bereits von unserem Jagdführer Victor, der uns die nächsten Tage begleiten sollte, erwartet. Nach einer herzlichen Begrüßung verstauten wir unser Gepäck in dem geräumigen Geländewagen und setzten die Reise ins Landesinnere in Richtung der Region Neamţ fort. Ich weiß nicht, was meine Freundin erwartet hatte, ich aber hatte auf jeden Fall andere Vorstellungen von der Landschaft in dieser Region. Nicht, dass ich enttäuscht wurde, im Gegenteil, aber irgendwie hatte ich es mir doch anders vorgestellt. Sanfte, grüne Hügel erstreckten sich links und rechts von der Straße, dazwischen immer wieder kleinere Feldgehölze und lang gezogene Hecken, die die Weizen- und Sonnenblumenfelder umzäunten. Grün in den unterschiedlichsten Tönen, so weit das Auge reicht. „Ein bisschen wie ein Mix aus dem Sauerland und den englischen Cotswolds“, überlegte ich. Was für ein ideales Rehwildhabitat!

Wir durchquerten verschlafene Dörfer mit ihren farbenfrohen Häusern, überholten die typischen rumänischen Pferdekarren, mit denen die Bauern den ersten Grasschnitt ein-holten, und fuhren durch kleinere Städtchen mit ihren hässlichen Plattenbauten – ein Überbleibsel aus der Zeit des Dorfzerstörungsprogramms der Sozialistischen Republik Rumäniens. Unser Hotel lag direkt an einer wenig befahrenen Straße außerhalb des nächsten Ortes und bot alles, was wir benötigten. Wir verabredeten uns mit Victor für den späten Nachmittag für einen ersten Pirschgang und konnten erst einmal in aller Ruhe auspacken und uns ein wenig von der Anreise erholen.

Ein Rehwildparadies

Die Fahrt ins Revier war nur von kurzer Dauer. Vor einer Anhöhe parkte Victor das Auto am Feldrand und deutete uns an, dass wir uns für die Pirsch fertig machen sollten. Tanja und ich hatten vorher abgestimmt, dass wir uns bei der Jagd abwechseln wollten und Tanja die erste Jagdgelegenheit wahrnehmen sollte.

So konnte ich erst einmal ohne den „Druck der Jagd“ die Landschaft in mich aufnehmen und den Pirschgang in vollen Zügen genießen. Und schon ging es im Gänsemarsch los. Victor vorn, dann folgte Tanja und zuletzt ich. Links und rechts des Feldweges erstreckten sich weite Felder, am Ende der Anhöhe verbarg eine dichte Hecke den Blick auf die dahinter liegende Landschaft. Dort angekommen, war mir sofort klar, warum Victor diesen Ort direkt angesteuert hatte. Eine weite, hügelige Wiesenlandschaft lag vor uns und dahinter ein Waldstück. Eine blühende Wildsträucherhecke umgab dieses Rehwildparadies und sorgte für Schutz und Ruhe.

Wir brachten uns vor der Hecke in Position, ein paar Sträucher sorgten für ausreichende Deckung, während unsere Silhouetten mit der dichten Hecke dahinter verschmolzen. Unberührte Natur ist ein großes Wort, denn das traf natürlich auch hier nicht zu, doch kam dieses Fleckchen Erde meiner Vorstellung davon schon recht nahe. Auf den Wiesen blühten die Frühlingskräuter und -blumen, und in den Hecken summte und brummte es nur so von Insekten. Goldammer, Zilpzalp und Buchfink stimmten ihr abendliches Lied an und sorgten für eine stimmige musikalische Untermalung. Ich sog die würzige Luft in tiefen Zügen ein und nahm dabei den süßen, bergamotteartigen Duft der Robinienwälder ganz intensiv wahr. Ein unfassbar schöner Moment – ich war überglücklich, hier zu sein und den Augenblick genießen zu dürfen. Ich ließ meinen Blick über die lang gezogenen Wiesen schweifen, jeder-zeit könnte hier Rehwild aus dem angrenzenden Waldstück auftauchen. Während des Vormittags hatte es noch geregnet, jetzt war es trocken, und die tief stehende Sonne schien warm auf uns herab. Wenn ein jagdlicher Begriff diesen Ort beschreiben sollte, dann wäre das „fängig“.

Und tatsächlich, kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht, erschien ein Jährling auf der Bildfläche. Knapp 230 m vor uns trat er aus dem gegenüberliegenden Waldstück aus und begann völlig vertraut zu äsen. Victor schaute nur kurz hoch und nickte zufrieden. Für mich und Tanja sind Trophäen nicht wirklich wichtig, jagdbar und älter sollte der Bock jedoch sein, und das war dieser kleine Spießer sicher nicht. Von rechts zog jetzt ein Schmalreh hinunter auf die Fläche und naschte von einem Wildrosenbusch, als auf einmal der Spießer in Richtung Waldstück sicherte. Und auf einmal war er da: Hoch auf hatte der Bock, und stark im Gebäude und grau war er, das konnten wir gerade noch sehen, dann ging bereits die wilde Hatz los. Im hohen Bogen wurde der Spießer in den Wald zurückgetrieben, und mit ihm verschwand auch der Bock. Tanja und ich – wir schauten einander erstaunt an, und erst jetzt merkte ich, wie aufgeregt ich war und wie sehr mein Herzschlag sich beschleunigt hatte. Das wäre er gewesen!

Verscheucht!

Wir warteten noch ein wenig, doch der Bock machte keine Anstalten mehr, wieder aufzutauchen. Victor mahnte zum Aufbruch, er würde gerne noch einmal woanders schauen wollen, ob sich dort etwas tue, und so pirschten wir weiter am Rand der Wiesen entlang. Wir erreichten das angrenzende Waldstück. Der süße Duft der Robinien verschlug uns fast den Atem, so intensiv und blumig roch es hier nach würziger Bergamotte. Immer wieder mussten wir stehen bleiben, um noch mal eine Prise davon zu erschnuppern. Als wir fast das Ende des Waldes erreicht hatten, verlangsamte Victor das Tempo. Vorsichtig drückte er sich näher an den Waldrand heran und schlich nur noch langsam vorwärts. Ein kurzer Blick um die Ecke genügte, und wir machten uns bereit. Schnell war der Schießstock aufgestellt und das Gewehr aufgelegt. Vor uns lag eine große, offene Fläche, dahinter eine Wiese, die mit Wildrosen und anderen Sträuchern bewachsen war. Wir konnten insgesamt acht Stück Rehwild zählen, die auf ca. 170 m vor uns ästen, davon allein drei Böcke. Das Rehwild war so vertraut, dass wir uns in aller Ruhe mit dem Ansprechen beschäftigen konnten. Einer der Böcke hatte sehr hoch auf, doch war er in unseren Augen zu jung und zu gut veranlagt, an ihm sollte sich in späteren Jahren jemand anderes erfreuen. Wir beobachteten noch ein wenig das Geschehen und machten uns schließlich wieder auf den Rückweg.

Die Sonne war bereits untergegangen, und der Wind hatte nachgelassen. Das Vogelkonzert, das uns bis dahin begleitet hatte, verstummte langsam, nur die Amsel sang noch ihr wunderschönes Abendlied, als ein eindringliches eintöniges Geräusch aus dem Wald erklang. Ein kurzes, regelmäßig wiederkehrendes Flöten war es. Ich blieb stehen und horchte in den Wald hinein, konnte das Geräusch jedoch nicht orten. Jetzt hörte ich Schritte. Ein Reh zog durch den Wald und näherte sich auf unserer Höhe dem Waldrand. Victor musste es auch gehört haben, denn auch er blieb stehen. Dann ein tiefes, kurzes Schrecken, und das Reh sprang in großen Sprüngen tiefer in den Wald hinein. Ob das der gute Bock war? Wir wissen es nicht, die Stimme war zwar tief und heiser und die Wahrscheinlichkeit groß, dass er gerade wieder seinen Einstand verlassen wollte, aber ob er es wirklich war und wir ihn jetzt verscheucht hatten, das wussten wir nicht. An der Wiese angekommen, bekamen wir „nur“ einen Knopfbock, zwei weitere leider zu junge Böcke, eine hochträchtige Ricke und ein Schmalreh in Anblick, doch der Bock, den wir zuvor nur kurz in Anblick bekommen hatten, hielt sich verborgen. Wir blieben an unserem Platz bis zum letzten Büchsenlicht und machten uns dann ganz erfüllt von unserer anblickreichen ersten Pirsch auf den Weg zurück zum Auto.

Erfolgreiche Morgenpirsch

Und da ist es wieder – dieses eindringliche Geräusch, das uns von Anbeginn der Reise an begleitet hatte. Es ist noch sehr früh, 4 Uhr morgens (für uns in Deutschland immerhin erst 3 Uhr!), und Tanja und ich warten darauf, dass Victor uns abholt. Der Parkplatz vor dem Hotel ist menschenleer. Still ist es hier – einmal abgesehen von dem monotonen Rufen der Zwergohreule aus dem Wald auf der anderen Straßenseite – und auch ziemlich kühl für die Jahreszeit. Wir vertreiben uns die Zeit und rätseln ein wenig, wohin uns Victor heute wohl führen würde. Ob wir wieder dorthin gingen, wo wir gestern waren? Wenn es nach mir ginge, könnte ich den Rest der Zeit dort verbringen, so gut hat es mir an diesem Platz gefallen. Und tatsächlich, als Victor mit einem frischen Kaffee in der Hand aus dem Auto steigt, weiht er uns in seine Pläne ein: Wir werden es zuerst dort noch einmal probieren. Später dann, wenn es hell sei und die Sonne wärmer werde, würden wir uns in den Wald zurückziehen, schlägt er uns vor.

Nach einer kurzen Fahrt parken wir diesmal unser Auto in der Nähe der zweiten Wiesenfläche. Der Wind hat gedreht, und wir müssen daher die Stelle, an der wir gestern den Bock entdeckt haben, von hinten angehen. Inzwischen dämmert es bereits, sodass wir genug Licht haben, um geräuschlos dorthin zu gelangen. Lautlos sind unsere Schritte auf dem noch taufrischen Gras, und wir kommen gut voran. Immer wieder bleibt Victor stehen, um die unter uns liegenden Hänge abzuglasen. Wir sehen wiederholt Rehwild, doch „unser“ Bock ist nicht dabei. Als wir ungefähr die Stelle erreichen, an der wir ihn gestern vertreten haben, wird Victor langsamer. Nur noch kurz um die Waldkante herum, und schon haben wir einen ersten Blick auf die Wiesenfläche, die ich gedanklich „Rehwildparadies“ getauft habe. Wir werden nicht enttäuscht, der Bock steht ungefähr an der gleichen Stelle wie der kleine Spießer von gestern. Graue Decke, starker Träger und starke, weit über Lauscher hohe Stangen. Das ist er! Doch wie kommen wir näher an ihn heran? Wenn wir jetzt dem Weg linksherum weiter folgen, könnte es sein, dass der Bock uns bemerkt. Zu offen
ist dort das Gelände. Gemeinsam überlegen wir uns eine Strategie. Wir entscheiden uns dafür, rechtsherum zu laufen. Dort können wir im Schatten einiger Wildrosenbüsche näher an den Bock gelangen und eventuell eine günstige Schussposition finden.

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