Adriatische Sauen, verwilderte Schafe und würziger Käse
| Text: Oliver Dorn |
HALALI-Autor Oliver Dorn folgt der Jagdeinladung eines Freundes auf eine unbewohnte Insel vor der dalmatinischen Küste Kroatiens. Begleiten Sie uns auf eine spannende, nicht alltägliche Pirsch auf Schwarzwild und verwilderte Schafböcke.
Vor drei Jahren lernte ich auf einer winterlichen Drückjagd im kroatischen Kutina Marijan Balaško, den Vorsitzenden des örtlichen Jagdvereins, kennen. Im darauffolgenden Herbst sahen wir uns dort anlässlich einer weiteren Drückjagd wieder. Wie immer und überall in Kroatien werden die Gäste auch hier aufs Herzlichste willkommen geheißen, und, wenn die Sprache keine Barriere darstellt, in den Jagdablauf und das Drumherum nahtlos integriert. So können Freundschaften entstehen! Damals ahnte ich natürlich noch nicht, dass wir wenige Jahre später zusammen auf einer idyllischen Adria-Insel auf Sauen und verwilderte Schafe jagen würden. Wir blieben in Kontakt und tauschten uns immer wieder in den sozialen Netzwerken aus. An eine Reise, ein Wiedersehen war zunächst in der Coronazeit nicht zu denken. Umso mehr freute ich mich, als mir Marijan in diesem Frühjahr schrieb: „Come to hunt on my island near Pag. Sheep, pigs, deer – we also have accomodation“ – ich zögerte nicht lange und prüfte den Familien-Terminkalender. Schnell war ein langes Wochenende gefunden und der Flug von Köln/Bonn nach Zagreb gebucht.
In Zagreb angekommen, warteten Ana und Marijan bereits am Flughafen auf mich, und nach einer herzlichen Begrüßung traten wir die Fahrt in Richtung Adria an. Geplant war, abends die letzte Fähre von Prizna auf die Insel Pag zu nehmen, der Zeitplan war also recht eng. Trotzdem machten wir auf halber Strecke halt und stärkten uns in einem urigen Restaurant mit der Empfehlung des Hauses: Gulasch vom Jungbären. Ein gelungener Reiseauftakt! Anschließend setzten wir die Fahrt fort und erreichten bei der malerischen Kleinstadt Senj die Küstenstraße. Die Vorfreude wuchs, als wir links und rechts der Straße Muffelwild ausmachen konnten. An der Fähre angekommen, genossen wir den Blick auf die untergehende Sonne.
Auf der Insel Pag gibt es unzählige kleine Ortschaften und Siedlungen. Zu den großen und touristisch sehr beliebten Orten gehören die gleichnamige Stadt und der im Norden gelegene Ferienort Novalja. Und genau das war unser Ziel. Ana und Marijan besitzen etwas außerhalb von Novalja eine Ferienwohnung und hatten mir ein Zimmer mit Meerblick reserviert. Das war gut gemeint – aber während die Stadt Pag ein ruhiges und eher familiäres Ambiente mit kulturellen Highlights bietet, stechen in Novalja vor allem das Nachtleben und das Partyangebot hervor. Der Partystrand Zrce in Novalja ist wohl die bekannteste Partymetropole Kroatiens, sie zieht Gäste aus der ganzen Welt an. So auch an diesem Wochenende – erst gegen drei Uhr in der Früh war an Schlaf zu denken. Da die laute Musik aber auch Ana und Marijan wachhielt, kamen wir beim deftigen Frühstück schnell überein, die Unterkunft zu wechseln. Das war schnell getan, und der Jagdtag konnte beginnen.
Ana und Marijan hatten ein kleines Motorboot geliehen, das im Hafen bereitlag. Schnell war es mit Waffe und etwas Proviant für ein Picknick beladen, und los ging es. Vor Pag liegen einige kleinere Inseln, die unbewohnt sind. Von Novalja gelangt man nur mit dem Motorboot dorthin. Problemlos anlanden kann man dort an mehreren kleinen Buchten – an allen anderen Stellen ist das Inselufer zu felsig. Marijan hatte im vergangenen Jahr die Jagdrechte für dieses Eiland auf zehn Jahre gepachtet und übt dort die Jagd auf Schwarzwild, Damwild und verwilderte Schafe aus. Wie das Wild auf die Insel gekommen ist, ist nicht genau bekannt, die Schafe jedoch wurden für die Fleisch- und Käseproduktion vor langer Zeit dort ausgewildert. Pag sei, so berichtet mir Ana während der Überfahrt, die Insel mit den meisten Schafen in Kroatien. Das komme daher, dass die Bora, eine der stärksten, von den westlichen Flanken des Velebit-Gebirges über das Meer wehenden Fallwinde der kroatischen Adria, das Meersalz auf die kleinen Inseln trage und so für besonders aromatisierte Kräuter sorge – und die seien wiederum der Grund für die hervorragende Qualität des Pag-Lamms und des äußerst schmackhaften Paški sir (Pager Käse), der vor Ort aus der Milch einer frei lebenden, kleinwüchsigen Schafart hergestellt wird. Um die 28 000 Schafe weiden heute auf dem karstigen Untergrund der Hauptinsel und fressen die wild wachsenden und salzhaltigen Kräuter. Um zehn Kilogramm Käse herzustellen, werden 64 Liter Schafmilch benötigt. Die Reifezeit beträgt zwischen vier und sechs Monate. Da in der Nähe der Bucht ein verlassenes altes Gehöft liegt, wurde dort wahrscheinlich auch vor langer Zeit Fleisch gelagert und Käse hergestellt oder zumindest Schafmilch gewonnen. Ist die Insel Pag aufgrund der stürmischen Bora-Winde an vielen Stellen eher karg, überrascht das Jagdrevier von Marijan auf den ersten Blick mit einem freundlichen, grünen Gesicht. Marijan umfährt die Insel einmal weiträumig, aber Wild oder Schafe bekommen wir nicht in Anblick. Dann steuert er auf eine kleine Bucht zu.
Die erste Pirsch
Das Boot befestigen wir mit einer langen Leine an den der kleinen Bucht vorgelagerten Felsen. Der Vormittag ist bereits vorangeschritten, und die Sonne steht hoch am Himmel. Um die 30 Grad mögen es sein, es geht ein leichter Wind. Marijan weist mich an, meine Waffe fertig zu laden, und dann geht es auf einem alten Trampelpfad ins Inselinnere. Irgendwann stoßen wir auf Ziegelreste, und nachdem wir uns durch die Vegetation hindurchgearbeitet haben, stoßen wir auf das verfallene Gehöft. Überall liegen bunte, handbemalte Keramikreste und verrostetes Inventar verstreut. Das Gelände des Hofes ist fast frei von Bewuchs – wir lassen unseren Proviant für ein späteres Picknick im Schatten stehen. Wir sind allein auf dieser kleinen Insel, ich bin gespannt, ob wir Wild in Anblick bekommen werden. Was vom Boot aus freundlich und einladend wirkte, zeigt sich bei der Pirsch als hart, borstig und widerspenstig. Die Macchia ist der hier vorherrschende Bewuchs, und sie erschwert das Vorankommen. Geschlossene Macchien sind durch die dicht stehenden Büsche mit ihren ineinander verflochtenen Ästen und die eingewobenen dorn- oder stachelbewehrten Lianen gekennzeichnet, die für Menschen und größere Säugetiere nur schwer durchquerbar sind. Die Sonne tut das Ihre dazu, und schnell haben wir keinen trockenen Faden mehr am Leib. Eine andere Taktik muss her, so kommen wir nicht weit und, wenn doch, leider auch nicht pirschgerecht leise. Wir kehren nach einer guten Stunde um und verschnaufen im Schatten des alten Gehöftes. Denkt man an verfallene Gemäuer, weckt dies Gedanken über die Vergänglichkeit. Hier aber wirkt alles wie verzaubert. Wilde Kräuter, Salbei, Ginster, Lavendel, Rosmarin und viele weitere wilde Stauden verströmen in der Hitze betörende Düfte, die zusammen mit der schönen Landschaft wie eine herrliche Komposition erscheinen. „Ein schöner Tag!“, denke ich, auch wenn er mir bislang keinen Anblick beschert hat. Wir entscheiden, zurückzufahren und erst einmal zu Mittag zu essen, worüber ich mich sehr freue. Nach einer ausgiebigen Dusche in der neuen Unterkunft holen mich Ana und Marijan ab, und wir verbringen gemütliche Stunden bei regionalen Köstlichkeiten in einem Restaurant an der Promenade von Novalja.