Auf Mähnenspringer in Kroatien

| Text: Ilka Dorn |

HALALI-Redakteurin Ilka Dorn erlebte im vergangenen Winter spannende und herausfordernde Jagdtage in Kroatien. Die Bergjagd auf die hier heimischen Kletterkünstler behält sie nicht nur wegen der atemberaubenden Aussicht auf die kroatische Adria in guter Erinnerung.

Meine Knie zittern wie schon lange nicht mehr, und meine Beine fühlen sich an wie Pudding. Ich bin erschöpft, und mein Nacken schmerzt, doch das Gelände erfordert meine ganze Aufmerksamkeit, und die einsetzende Dunkelheit macht es nicht gerade einfacher. „Einen Schritt nach dem anderen“, murmle ich mein neu gefundenes Mantra vor mich hin und stapfe entschlossen weiter den steinigen Hang hinunter. Ein Blick nach hinten zeigt mir, dass es Paul nicht anders geht, und dabei trägt er eine noch weitaus höhere Last als ich. Nur Pavle sieht noch genauso fit und ausgeruht aus wie am frühen Morgen, als wir aufgebrochen sind, doch er ist ja auch hier in den Bergen geboren.

Jetzt wird der felsige Pfad ein wenig flacher, und erste Zeichen der Zivilisation in Form einer alten Steinmauer werden erkennbar. Ich erinnere mich – als wir heute Morgen in aller Frühe unsere Tagestour angetreten sind, ist sie mir bereits aufgefallen. Jetzt müsste eigentlich auch gleich die kleine Kapelle auftauchen, vor der wir unsere Autos geparkt haben. Ich schöpfe neue Kraft und beschleunige meine Schritte. Als wir die letzte kleine Wegbiegung nehmen, stoßen die anderen Jäger zu uns, die wohl schon vor uns bei den Autos angekommen sind, und helfen uns auf den letzten Metern, die schwere Last zu tragen.

Jemand drückt mir eine eiskalte Cola in die Hand, die ich zügig trinke. Genau das Richtige, um wieder zu Kräften zu kommen. Ich stelle den schweren Rucksack ab und setze mich auf die kleine Steinmauer, die die idyllische Kapelle umgibt. Ich brauche jetzt einen Moment Ruhe. Erst einmal sitzen, die müden, zittrigen Beine ausstrecken und ein wenig ausruhen. Mein Blick wandert zurück zu dem steinigen Pfad, über den wir soeben gekommen sind. Links und rechts sieht man ein paar Wacholder- und Ginsterbüsche, dahinter erstreckt sich ein kleines Wäldchen mit knorrig gewachsenen Steineichen. Schon bald verliert sich der Pfad zwischen den Felsen, und mein Blick wandert weiter hinauf in die Ferne zu dem flachen Felsplateau nur knapp unterhalb des Gipfels, auf dem wir heute waren. Ich schließe meine Augen, und in meinen Gedanken bin ich jetzt wieder an dem Zeitpunkt angekommen, zu dem wir heute Morgen hier standen und wie jetzt die Berge vor uns betrachteten – ausgeruht und erholt, voller Spannung und Erwartung auf das Kommende …

Die Sonne, die sich jetzt gerade hinter der Hügelkette nach oben schiebt und ihre langen Strahlen auf uns wirft, vertreibt die Kälte, die in der Nacht für den ersten Frost gesorgt hat. „Vielleicht habe ich mich doch zu warm angezogen“, denke ich noch, als Pavle, der nur ein leichtes Hemd und darüber eine Jacke trägt, zu mir tritt und kurz das heutige Vorgehen erläutert. Pavle ist mein Jagdführer und wird mich heute auf eine hoffentlich erfolgreiche Jagd auf einen Mähnenspringer in den Bergen Kroatiens führen.

Der junge Kroate ist hier in den Bergen Dalmatiens aufgewachsen und kennt sich im Revier aus wie kein Zweiter. Pavle ist Student, schreibt gerade an einer Arbeit über das Leben und Verhalten der Mähnenspringer und engagiert sich auch privat für den Erhalt der nur hier lokal vertretenen Wildart. Einen geeigneteren Jagdführer könnte ich mir für mein Vorhaben kaum wünschen. Mein zweiter Begleiter für heute ist Paul Stelmach, der als internationaler Jagdbetriebsleiter die Forst Eibenstein Travel Agency vertritt, über die ich die Jagdreise gebucht habe. Und so sind wir heute zu dritt und werden ansonsten nur noch von Marli, dem kleinen Jagdterrier von Pavle, begleitet, ohne den der junge Kroate nicht aus dem Haus geht. Außer uns sind noch zwei weitere Teams mit Jagdgästen unterwegs, die auf der anderen Seite des Bergkamms auf der Pirsch sein werden, sodass wir uns nicht in die Quere kommen werden.

Unsere Autos parken vor einer alten kleinen Kapelle, die sich etwas oberhalb eines kleinen Dorfes malerisch in die Berghänge des Mosor-Gebirges zu ducken scheint. Weiter kommen wir nur zu Fuß. Doch zuerst glasen wir ein wenig die Berge ab, um eventuell von unten bereits Wild zu entdecken, das wir dann gezielt ansteuern könnten – aber das Wild scheint sich noch oberhalb des Bergkamms aufzuhalten, dort, wo bereits die ersten wärmenden Strahlen der Sonne auf den noch gefrorenen Boden auftreffen.

Nachdem die jeweiligen zu bejagenden Gebiete unter den einzelnen Teams aufgeteilt worden sind, gehen wir alle die ersten Meter des steinigen Pfades noch gemeinsam, trennen uns dann jedoch bereits wieder nach ein paar Hundert Metern. Unser kleines Dreierteam samt Hund biegt Richtung Westen ab und folgt einem alten Trampelpfad, den die Schäfer früher genommen haben, um ihre Schafe auf ein paar fruchtbarere Wiesen zu führen. Mittlerweile wird er als Wanderweg genutzt und ist ab und zu mit einer entsprechenden Farbmarkierung gekennzeichnet, doch es gehört einiges an Fantasie dazu, den Pfad als solchen zu erkennen.

Pavle schlägt ein flottes Tempo an, und meine Frage von heute früh, ob ich mich eventuell zu warm angezogen haben könnte, kann ich mir schnell selbst beantworten, als mir der Schweiß den Rücken hinunterzulaufen beginnt. Wir kommen gut voran, nehmen Höhenmeter für Höhenmeter und genießen die traumhafte Aussicht auf die umliegenden Berge und das unter uns liegende Meer der südkroatischen Küste. Die Berge des Mosor-Gebirges bestehen hauptsächlich aus verkarstetem Kalkstein, der zwar schroff und unwirtlich aussieht, aber gut zu begehen ist, da er sehr griffig ist. Nichtsdestotrotz sollte man hier seine Tritte mit Bedacht wählen, ein falscher Schritt, und ein möglicher Sturz auf die zerklüfteten rauen Felsen hätte unangenehme Folgen.

Der Pfad geht mal mehr, mal weniger steil den Berg hinauf, und durch das zügige Tempo wird es recht bald anstrengend. Ich bin zwar gut trainiert, jogge häufig und halte mich halbwegs fit, doch das ständige Bergaufgehen, so als ob man eine niemals enden wollende Treppe mit ganz ungleichmäßig hohen Stufen hinaufgehen müsste, trainiert dann doch eben ganz andere Muskelgruppen, als es eine abendliche Joggingrunde durch den Wald tut. Und so bin ich froh, dass Pavle immer wieder einmal kurz anhält, um nach Wild Ausschau zu halten.

Die Aussicht ist atemberaubend. Unter uns liegt das kleine Dörfchen Gata, in dem wir ein nettes kleines Apartment zur Übernachtung bezogen haben, dahinter zeichnet sich die hauptsächlich vom Tourismus lebende malerische Kleinstadt Omiš am Horizont ab. Der alte Hafen der an der Mündung des Flusses Cetina gebauten Stadt diente im Mittelalter als Unterschlupf für Seeräuber und Piraten, die von dort aus vor allem den venezianischen Seehandel bedrohten. Das Mosor-Gebirge, das sich Richtung Nordwest-Südost parallel zur Adriaküste entlangzieht, erstreckt sich rechts und links von uns wie ein langes Band. Das Meer unter uns ist tiefblau und der Himmel wolkenlos – die Bedingungen hätten nicht besser sein können.

Die Pausen sind jedoch alle nicht von langer Dauer, Pavle zieht es weiter den Berg hinauf, in die Regionen, in denen er das Wild vermutet.

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