Babyboom im Jagdrevier

| Text: Dr. Johanna Maria Arnold |

Jedes Frühjahr beginnt der Kreislauf des Lebens von Neuem, und die gedeihende Natur erwacht aus dem frostigen Tiefschlaf des Winters. Nicht nur die Pflanzenwelt zeigt sich nun in frischem Gewand, sondern auch die meisten unserer Wildtiere sind in dieser Zeit voll und ganz mit der Jungtieraufzucht beschäftigt. Für den Jäger wie auch für den Naturliebhaber gibt es jetzt einiges zu entdecken.

In die Wochen des Frühlings und Sommers fällt die Zeit der Geburt der allermeisten Jungtiere. Die Geburten liegen damit in einem Zeitraum, der für die Jungenaufzucht am günstigsten ist. Es ist eine Zeit, in der die notwendigen Nahrungsressourcen wie Pflanzen oder Beutetiere in hoher Quantität und Qualität verfügbar sind. In unseren mitteleuropäischen Breiten schaffen der Frühling und der Sommer dahingehend die besten Voraussetzungen. Dabei versuchen die Wildtiere, den idealen Zeitpunkt abzu-passen. Dieser darf nämlich auch nicht zu spät sein, um das notwendige Jugendwachstum und Lernen bis zur entbehrungsreichen Zeit, dem Winter, erreichen zu können. Die Natur zeigt dabei vielfältigste Anpassungsmechanismen in der Fortpflanzungsbiologie, um das bestmögliche Überleben einer Art zu gewährleisten. Wildtiere sind bis zu einem gewissen Grad fähig, sich an wandelnde Umweltgegebenheiten anzupassen: Dass etwa die Geburtstermine der Pflanzenphänologie folgen, zeigt ihre Adaptionsfähigkeit an den Klimawandel.

Wenn die Tage länger werden, die ersten warmen Sonnenstrahlen die Erde erwärmen und sich der Winter langsam dem Ende zuneigt, beginnen die Feldhasen (Lepus europaeus) mit der Paarungszeit. Nach rund 42 Tagen Tragzeit bringt die Häsin im März ihre Jungen zur Welt, meist sind es zwei bis drei, in Ausnahmefällen auch einmal bis zu fünf Jungtiere, die sich in die Erde, ins Laub oder Gehölz kauern und auf ihre Mutter warten. Sie kommt nur ein- bis zweimal pro Tag zu ihren Jungen und verbleibt nur kurz, um diese mit der nahrhaften, fettreichen Muttermilch zu säugen. Ansonsten bleibt sie den Jungen fern, um keine Fressfeinde auf sie aufmerksam zu machen. Dennoch sind die Jungtierverluste beim Feldhasen hoch, über die Hälfte der Jungen erlebt das Ende des Jahres nicht. Nicht nur Prädatoren setzen den Kleinen zu, auch nasskalte Witterung, Krankheiten, Tod durch landwirtschaftliche Bodenbearbeitung und auch der Straßenverkehr fordern ihren Tribut. Dieser hohen Sterblichkeit setzen die Hasen außergewöhnliche Fortpflanzungsstrategien entgegen. Denn selbst während die Häsin bereits tragend ist, kann sie erneut trächtig werden (Superfötation), bei einer solchen doppelten Trächtigkeit trägt sie dann Embryonen unterschiedlichen Alters in ihrer Gebärmutter. Darüber hinaus kann eine Häsin bis zu fünfmal im Jahr Junge zur Welt bringen. Diese sind als Nestflüchter bereits bei der Geburt gut entwickelt: Behaart, hörend und mit offenen Augen, sind sie schon ein Stück weit selbstständig.

Nicht so der Kaninchennachwuchs, der im Gegensatz zu den oberirdisch lebenden Feldhasen nackt und blind gut geschützt in einem Bau geboren wird. Bei den Wildkaninchen (Oryctolagus cuniculus) legt das Weibchen eigens für die Geburt eine Setzröhre abseits des Gemeinschaftsbaus an und bringt dort ihre fünf bis sechs (in Ausnahmefällen bis zu neun) Jungtiere zur Welt. Die Paarungszeit der Baubewohner beginnt in den Monaten Februar/März. Ähnlich wie die Feldhäsin ist die Kaninchenmutter äußerst produktiv: Sie kann bis zu sieben Würfe pro Jahr austragen, die Tragzeit beträgt 28 bis 30 Tage. Nach etwa zehn Tagen öffnen die Jungtiere die Augen, und mit drei bis vier Wochen verlassen sie den Bau zum ersten Mal. Ein paar Tage später werden sie von der Milch entwöhnt. Die männlichen Jungtiere wandern ab, während die Weibchen normalerweise in ihrem Gebiet oder sogar in ihrer Geburtskolonie bleiben. Auch bei den Wildkaninchen überleben viele Jungtiere den ersten Winter nicht, ihnen setzen neben Beutegreifern häufig auch Krankheiten wie die Myxomatose oder die Chinaseuche (Rabbit Haemorrhagic Disease) zu.

Ähnlich hohe Nachkommenzahlen, allerdings bei nur einem jährlichen Wurf, hat das Wildschwein (Sus scrofa), sechs bis acht Frischlinge frischt die Bache in den Wurfkessel. Dieses Geburtsnest wird von der Bache vor der Geburt aus Blättern, Ästen, Sträuchern und Moos angelegt und dient vor allem dem Witterungs- und Sichtschutz vor Feinden. Häufig legt die Bache dieses so an, dass es trocken ist und sich leicht von der Sonne erwärmt. Anfangs können die Frischlinge ihre Körpertemperatur nicht regulieren, sie sind empfindlich gegenüber nasskalter Witterung, und die ersten Tage verbleiben sie, in engem Kontakt mit dem Muttertier, im Schutz des Kessels. Nach ein bis drei Wochen verlassen sie den Wurfkessel zum ersten Mal. Die Tragzeit bei den Wildschweinen dauert 114 bis 118 Tage. Die Frischlinge werden mit etwa drei Monaten von der Milch entwöhnt, zu dieser Zeit verschwinden auch die frischlingstypischen Streifen. Die Jungtiere bleiben bis zu eineinhalb Jahren bei der Bache.

Auch die Jungtiere der anderen Huftiere werden eine längere Zeit von der Mutter geführt. Rothirschkälber (Cervus elaphus) beispielsweise werden vom Alttier etwa ein Jahr lang geführt, sie benötigen die Führung nicht nur aus physischer, sondern auch aus psychischer Sicht. Verliert ein Kalb seine Mutter vor dem Winter, wird es kümmern und kaum noch sozialen Anschluss an das Rudel finden. Körperlich abhängig ist es von der Muttermilch nach der Brunftzeit im September/Oktober nicht mehr, das Trinken über diesen Zeitraum hinaus erfüllt eher eine soziale Funktion. Wird die Mutter im Herbst nicht erneut beschlagen, kann es vorkommen, dass sie das Kalb bis in den nächsten Sommer hinein weiter säugt. Die Hauptsetzzeit ist von Mitte Mai bis Anfang Juni. Vor dem Setzen vertreibt das Alttier sein Vorjahreskalb; der Schmalspießer wird die Gesellschaft meist anderer Junghirsche suchen, das Schmaltier hingegen bleibt in der Nähe der Mutter und schließt sich ihr nach der Geburt des Kalbes wieder an. So kommt es zu der typischen Mutterfamilie (Gynopädium) – bestehend aus Alttier, Schmaltier und Kalb. Rotwildkälber mit ihrem typisch weiß gefleckten Fell kommen nach einer Tragzeit von etwa 230 Tagen zur Welt, Zwillingsgeburten sind selten. Sie sind Nestflüchter und können bereits mit wenigen Stunden der Mutter folgen. Nach dem Trinken legen sich die Kälber ab und verharren ruhig liegend, bis die Mutter nach dem Äsen zu ihnen zurückkommt. Die Voraugendrüsen des Kalbes sondern einen Geruch ab, der dem Alttier zur individuellen Erkennung dient. Bei der Bettelhaltung, in der sich das Kalb der Mutter nähert, wenn es trinken möchte, sind die weit geöffneten Voraugendrüsen zu sehen.

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