Begegnung in Afrika
| Text: Dr. Wolfgang Fleck |
Vor gut hundert Jahren lernen sich Tania Blixen und Denys Finch Hatton in Ostafrika, dem heutigen Kenia, kennen. Sie betreibt zusammen mit ihrem Mann eine Kaffeefarm in der Nähe von Nairobi, er organisiert Safaris für illustre, zahlungskräftige Gäste. Er ist der Prototyp des weltmännischen, gebildeten Abenteurers, sie wird als Schriftstellerin berühmt werden. Dr. Wolfgang Fleck schreibt über ihre Begegnung in Afrika – und ihre Begegnung mit Afrika.
1913, wenige Monate vor Beginn des Ersten Weltkriegs, wandert ein junges Paar nach Afrika aus. Es sind Tania Blixen, mit bürgerlichem Namen Karen Dinesen, und ihr Cousin, der schwedische Baron Bror von Blixen-Finecke. Mit ihm wagt sie den Aufbruch, der auch ein Ausbruch aus der Enge ihrer Heimat Dänemark ist, und geht nach Britisch-Ostafrika, dem späteren Kenia. Das Ehepaar wird in der Nähe von Nairobi eine Kaffeefarm betreiben. Das Startkapital für die Existenzgründer schießen größtenteils die Dinesens zu, Tanias Familie. Die wirtschaftliche Situation ist schwierig. Viele Bauern werden gegen die Folgen des Kriegs und gegen Dürren ankämpfen müssen. Das Anbaugebiet liegt mit 1 700 m zudem sehr hoch – wohl zu hoch für Kaffee. Bror hat wenig Disziplin und keine Neigung, mit Geld sorgsam umzugehen; er zieht die Jagd der Buchhaltung vor. Es ist zudem keine Liebesheirat, Tania hatte sich in den Bruder Brors verliebt. Die Ehe ist unkonventionell; die Gatten pflegen eine kühle, wenn auch freundliche Distanz. Bror ist charmant, aber unzuverlässig und dazu untreu; 1925 werden sie geschieden. Sechs Jahre später muss Tania die Farm aufgeben, denn der Betrieb ist längst nicht mehr rentabel. Sie verkauft das Anwesen und wird Afrika für immer verlassen. Für sie beginnt ihr neuer Lebensabschnitt an der Öresundküste, nördlich von Kopenhagen. Es wird ihr Leben jenseits von Afrika.
Eine Farm in Afrika
„Ich hatte eine Farm in Afrika am Fuß der Ngong-Berge.“ So hebt ihr Rückblick an, in ihrem wohl bekanntesten Werk „Jenseits von Afrika“. Doch das Buch ist keine Autobiografie. Der Text ist episodenhaft; vieles bleibt ungesagt, einiges ist vermutlich erfunden. Wie fast jeder Autor erliegt Blixen dem Reiz, im Rückblick Linien zu ziehen, die im Moment des Geschehens nicht angelegt sind, Mäander und Kata-strophen auszusparen, mancher Wendung einen Sinn beizumessen, den sie vielleicht nie hatte. Doch die Qualität ihres Textes leidet nicht, im Gegenteil. Kunstvoll beschreibt Blixen Afrika, ihr Afrika, seine Landschaften, sein morgendliches Spiel mit den Farben, die Jagd: „Wie ein Glas mit Wein füllte sich das große Gewölbe über uns allmählich mit Klarheit, und ganz behutsam fingen die Gipfel die ersten Sonnenstrahlen auf und färbten sich rot. Langsam, während sich die Erde zur Sonne neigte, wurden die Grashänge am Fuß der Berge und danach die tiefer gelegenen Wälder der Massai in Gold getaucht. Und jetzt färbten sich die Kronen der hohen Bäume auf meinem eigenen Land so rot wie Kupfer. Um diese Zeit flogen die großen violetten Waldtauben […] zur Farm, um von den Kapkastanien zu fressen. Sie verbrachten nur eine ganz kurze Zeit des Jahrs hier. Ihr Morgenflug, den sie in wilder Eile unternahmen, glich einem Kavallerieangriff in der Luft. Daher erfreute sich das morgendliche Taubenschießen auf meiner Farm bei meinen Freunden in Nairobi großer Beliebtheit. Wenn ich sie dazu eingeladen hatte, kamen sie kurz vor Sonnenaufgang …“ Auch von der Jagd mit der Büchse berichtet sie. Das Wild in Afrika sei ungemein scheu und habe besondere Fähig-keiten, still zu halten und dem Jäger zu entkommen. Man müsse sich – so formuliert sie poetisch – „von der Wildnis in Schweigen unterrichten lassen“, bevor sie bereit sei, einen in sich aufzunehmen. In vielen Seitenblicken beschreibt sie Details, die wir nicht mehr kennen. Allein derentwegen lohnt schon die Lektüre ihrer Texte. Es gibt zu jener Zeit noch Gewehrträger, und sie stellen einen ganzen Berufszweig dar. Während wir Heutigen ein Jahrhundert später staunen, beklagt sie schon wehmütig den Verfall jener Jagdkultur. „Ismail“, schreibt Blixen, „war ein Gewehrträger der alten Schule. Die alten Großwildjäger hatten ihn ausgebildet, zu einer Zeit, als Afrika noch das glückliche Jagdgefilde war.“
Denys Finch Hatton
Finch Hatton ist Offizier, Großwildjäger, Charmeur, Causeur, musikalisch, intellektuell, gebildet, Eton- und Oxfordabsolvent. Er stammt aus adligem Hause, sein Vater ist der 13. Earl of Winchilsea. Denys gilt als überaus liebenswürdig, ungebändigt und ungebunden, doch auch unfähig zur Bindung. Tania Blixen lernt ihn 1918 kennen – und „Tanne“, wie sie auch genannt wird, ist hingerissen. Ihre Beziehung beginnt schon während ihrer Ehe mit Bror; nach der Scheidung der Eheleute wird Denys Tanias Lebensgefährte. Seit 1923 ist er hauptberuflich Jagdführer in Afrika und organisiert Safaris. Der Jagdtourismus ist zu jener Zeit eine exklusive Branche. Jagdreisen sind keine Tagestouren, sondern ausgedehnte Expeditionen, mühevolle Märsche, Abenteuer und Pioniertat in einem. Schon die Anreise per Schiff, Zug und Auto dauert Tage. Geradezu feudal sind Organisation und Ablauf: Komfort und Luxus soll es auch inmitten der Wildnis geben. Man rekrutiert Eingeborene als Häuter, Köche, Bäcker und Lastenträger. Die Klapptische werden mit Porzellan und Silber gedeckt. Eismaschinen halten den Champagner kühl, den man aus Kristallkelchen trinkt. Die abendlichen Menüs sind exquisit und haben mehrere Gänge. Zum Essen erklingt klassische Musik aus einem Grammofon, das der Musikliebhaber Finch Hatton mitnehmen lässt. Die Luft trägt die Klänge Mozarts hinaus in den Busch, in den afrikanischen Wald, den Blixen einmal so fantasievoll als „alten grünen Gobelin“ beschreibt, der „im Laufe der Zeit an einigen Stellen dunkel geworden und an anderen verblasst ist“. Die Eingeborenen lauschen und wundern sich, so wie wir uns wundern mögen: über den ungeheuren Aufwand, derart stilvoll zu reisen; über das verfeinerte, geradezu dekadente Vergnügen, auf einer Safari, in einem Segeltuchzelt so zu dinieren wie in einem Dreisternerestaurant.
Pattersons Jagd nach Fotos
Die großartige, üppige Fauna Afrikas zieht die Gäste immer wieder in ihren Bann. Finch Hatton kennt sie wie kein Zweiter; sein Wissen, seine Erfahrung, seine Nervenstärke machen ihn zu einem begehrten Jagdführer. 1927 begleitet er einen Gast, der nur mit der Kamera schießen will: den amerikanischen Industriellen Frederick B. Patterson. Als der Amerikaner – einige Wochen vor Beginn der Safari – in London auf Denys trifft, ist er beeindruckt. Der hagere, groß gewachsene Brite sei eine „wandelnde Enzyklopädie“, meint er. Er könne die Namen der afrikanischen Tiere he-runterrasseln und ihr Habitat auf eine Viertelmeile genau auf der Landkarte lokalisieren. Die Fotografie ist bei reichen Amerikanern in den Zwanzigern en vogue. Bis heute hat sich hieran wohl nicht viel geändert – mit dem einen großen Unterschied, dass ein Bild zu jener Zeit kein Gemeinplatz ist, keine alltägliche Routine. Patterson kann sich das Vergnügen leisten, für Monate nach Afrika aufzubrechen, um der Fotografie zu frönen. „African Adventures“ nennt er sein Buch, das 1928 erscheint und in dem viele seiner Aufnahmen zu sehen sind. Was harmlos klingt, bedeutet Anstrengung, Risiko und auch Todesgefahr. Eine Fotosafari ist nicht anspruchsloser als eine Jagdsafari. Es gibt keine Superteleobjektive; man muss und man will nah heran, auch ans wehrhafte Wild, an die Big Five. Als die Männer einem Elefanten nachstellen und durch einen Fluss waten, legt ein Krokodil sein Gebiss um Denys’ rechtes Bein. Er behält die Nerven und sticht mit dem Zeigefinger in das Auge des Tiers. Er hat Glück: Die Kiefer, die sonst zupacken wie Schraubstöcke und ihre Beute nicht mehr loslassen, lösen sich; er kommt mit einer Wunde davon – und bittet den erschreckten Patterson, ihm das Bein zu verbinden.
Safari mit dem Prince of Wales
1928 kommt ein anderer berühmter Jagdgast: Edward, seinerzeit Prince of Wales und designierter britischer Thronfolger. Finch Hatton ist als Jagdführer engagiert. Zum Missfallen von Tania nimmt Denys Bror Blixen mit auf die Safari, dessen Know-how er für die Löwenjagd braucht. Doch wie groß die Aufregung rund um den berühmten Gast auch sein mag, wie erleichtert er selbst ist, seinen ungeliebten royalen Pflichten zu entkommen – es sind die Nachwirkungen jener Safari, denen eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Finch Hatton erkennt früh, dass die exzessive Bejagung das ökologische Gleichgewicht stören würde und es bald für immer außer Kontrolle bringen könnte. Der Handel mit Elfenbein hat zu einer Dezimierung der Elefanten geführt. Für die Farmer, die sich in Ostafrika ansiedeln, sind Leoparden, Hyänen und Büffel Schädlinge, die es zu bekämpfen gilt. Safaris sind regelrecht exzessiv, auch wenn sie den Anspruch wissenschaftlicher Erkundung erheben. So tourt Theodore Roosevelt von 1909 bis 1911 mit gigantischer Entourage durch diverse afrikanische Staaten. Es werden auf dieser Unternehmung, der „Smithsonian-Roosevelt African Expedition“, weit über 11 000 Tiere zur Strecke kommen. Doch gibt es einen Aspekt, dem Finch Hattons besondere Sorge gilt: die vor allem von amerikanischen Touristen geübte Praxis, aus Autos heraus auf Tiere zu schießen. Denys ist entsetzt und angewidert; in einem Brief vom Mai 1929 wird er dies – drastisch, aber treffend – als „wholesale slaughter of game from motorcars“ bezeichnen. Denys weiß, dass vor allem ein Gebiet an der Grenze zwischen Kenia und Tanganjika in höchster Gefahr ist: die Serengeti.