Betörend duftende Wurzel

| Text: Gabriele Metz |

Gewürznelken haben ihr – zumindest in der Küche – längst den Rang abgelaufen. Dabei überzeugt die Echte Nelkenwurz durchaus auch heute noch kulinarisch. Und nicht nur das: Die traditionelle Heilpflanze hilft darüber hinaus bei so manchem Zipperlein.

Allzu häufig läuft man an der eher unauffälligen heimischen Wildpflanze achtlos vorbei, dabei lohnt es sich durchaus, angesichts der Echten Nelkenwurz kurz innezuhalten. Von Mai bis Oktober erkennt man die traditionelle Heilpflanze relativ leicht an ihren fünf runden leuchtend gelben Kronblättern, unter denen ebenfalls fünf an der Außenseite behaarte Kelchblätter zu sehen sind. Die Früchte sind kleine haarige Nüsschen, die ein wenig an winzige Igel erinnern. Dank der robusten Griffelhaken haften sie bestens an Tieren oder Kleidung, was ihrer Verbreitung zugutekommt. Wobei die Echte Nelkenwurz nicht gerade selten ist: Die auch als Benediktinerkraut bekannte Staude wächst in lichten Eichen- und Auenwäldern ebenso wie auf Wiesen, an Wegrändern, auf Brachflächen und in unseren Gärten. Ganz Europa, die gemäßigten Zonen Asiens und die Region Nordafrika gehören zum Verbreitungsgebiet der wild wachsenden Pflanze, die sich selbst aussät und durch ihre Robustheit überzeugt. Und wenn die Nelkenwurz gerade einmal nicht blüht, hält man sich einfach ihre Wurzel an die Nase und nimmt einen tiefen Atemzug: Der intensive Nelkenduft ist unverkennbar!

Doch was ist eigentlich so besonders an dieser Pflanze, die seit dem Altertum für ihre vielseitige Heilwirkung bekannt ist und getrocknet, in Säcklein verpackt, Hexen und böse Kräfte fernhalten soll? Weshalb mischten die Mönche in Klöstern Nelkenwurz – auch Weinwurz, Märzwurz, Igelkraut oder Nägleinkraut genannt – in Bier und Kräuterlikör? Stimmt es tatsächlich, dass das Kauen einer Wurzel dieser Pflanze gegen Zahnschmerzen hilft? Hildegard von Bingen, die berühmte naturheilkundlich versierte Äbtissin, empfahl die Wurzel der Echten Nelkenwurz im 12. Jahrhundert jedenfalls als Aphrodisiakum. Mit einer denkbar einfachen Rezeptur: einfach eine frische Wurzel der die Liebeskräfte steigernden Pflanze in Wein einlegen. Der Schweizer Gelehrte und Arzt Paracelsus setzte die Wurzeln vor rund 500 Jahren bei Darmerkrankungen und Entzündungen der Mundschleimhaut ein. Auch der Schweizer Kräuterpfarrer Johann Künzle kannte und schätzte die Echte Nelkenwurz. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte er sein „Aller Welt Heil“-Kraut zur Behandlung zahlreicher Malaisen ein. Lange Zeit trocknete man die Wurzeln als Gewürz, um nicht kostspieliges Nelkengewürz kaufen zu müssen.

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