Blattjagd in Masuren

| Text: Oliver Dorn |

Nach Polen reisen viele deutsche Jäger regelmäßig – die Wälder und Felder gelten als wildreich und die Menschen als gastfreundlich. HALALI-Redakteur Oliver Dorn bereiste erstmals die Woiwodschaft Ermland-Masuren und
versuchte sich aufs Blatten beim Jagdverein „Slonka“.

Es ist fast 20 Jahre her, als mich eine gemeinsame Jagdreise zur Blattzeit nach Schlesien, in die alte Heimat meines mittlerweile verstorbenen Vaters, führte. Nach ereignisreichen Jagdtagen nahmen wir beide uns auch etwas Zeit, um Land und Leute besser kennenzulernen. Diese glückliche Woche kam mir immer und immer wieder in Erinnerung. Eine weitere Reise führte mich später erneut ins Oppelner Land, wo ich mit einem polnischen Freund mehrere Drückjagdtage verbringen durfte. Im Frühjahr des letzten Jahres dann schwärmte mir der Inhaber des Jagdbüros Kahle von Masuren und seinen einmaligen Landschaften vor. Dieses alte, ehemals westpreußische Land bezaubert mit seinen märchenhaften Seenlandschaften, mit viel Seele und einer wechselhaften Geschichte.

In Polen ein beliebtes Urlaubsziel, besticht Masuren vor allem durch seine nahezu unberührte Natur. Über 3 000 Seen, kleine Flüsse und Kanäle, riesige Wälder sowie eine unvergleichbare Tier- und Pflanzenwelt prägen die rund 10 000 Quadratkilometer große, dünn besiedelte Landschaft der Masuren. Die Gesamtregion Ermland-Masuren hat eine Fläche von rund 25 000 Quadratkilometern. Die Hauptstadt von Masuren ist Olsztyn, das alte Allenstein.

Es brauchte nicht lange, und ich bat um ein Angebot für ein paar Jagdtage zur Blattzeit im Spätsommer.

Ermland-Masuren

Die Reise sollte mich in die polnische Woiwodschaft Ermland-Masuren, genauer gesagt nach Przezmark (früher Preuschmark), ein kleines Dorf in der Landgemeinde Elbląg (Elbing), führen. Da ich allein reisen würde, erschien mir die Autofahrt zu lang, und so entschied ich mich für einen Flug nach Gdańsk (Danzig). Auch bei einer Reise nach Polen ist die Waffeneinfuhr überhaupt kein Problem. Vom Flughafen Danzig ging es dann mit dem Miet-wagen auf die Autobahn in Richtung Olsztyn/Warszawa. Zunächst auf der S 6/E 28 Richtung Łódź/Warszawa, dann, nach ca. 20 km, verlässt man die S 6/E 28, um auf die S 7 oder E 77 Richtung Olsztyn/Warszawa zu wechseln. An Elbląg und Paslek vorbei, um schließlich die S 7 bzw. E 77 an der Abfahrt Małdyty zu verlassen. Danach geht es auf alten Straßen in Richtung Stary Dzierzgoń. Über Zalewo kommt man automatisch nach Przezmark. Im Ort war ich im Hotel „Zajazd Ostoja“ untergebracht, das von Leszek Kossakowski, dem Präsidenten des örtlichen Jagdvereins „Slonka“, unterhalten wird. Auf den 24 000 Hektar dieses Vereins sollte ich in den folgenden vier Tagen jagen dürfen. Leszek begrüßte mich auf Herzlichste in sehr gutem Englisch und fragte mich, ob ich schon am nächsten Morgen früh auf die Pirsch gehen oder nach der langen Reise erst einmal ausschlafen wolle. Natürlich wollte ich keinen Morgen in dieser nahezu unberührten Natur verpassen, und so schlug ich ein. Um halb fünf klingelte der Wecker und riss mich aus einem tiefen, aber zu kurzen Schlaf. Ich war in einem Gästehaus untergebracht, das den Zweck vollends erfüllte – also auch über eine kleine Küche verfügte. Ein Becher mit löslichem Kaffee mit Milch und Zucker und die Vorfreude auf die kommenden Tage halfen mir schnell auf die Läufe. Vor dem Gästehaus wartete schon ein Jäger aus dem Jagdverein auf mich. Tomek Fiedorowicz, Mitglied im Jagdverein, sollte mein Begleiter für diese Woche sein. Umso erstaunter war ich, als ich feststellen musste, dass Tomek kein Wort Deutsch oder Englisch sprach. Das sollte aber kein Problem darstellen, wie sich schon bald herausstellen würde.

Die erste Pirsch

Da sich unsere Unterhaltung zunächst etwas prekär gestaltete, verständigten wir uns, nach einem „dzień dobry“ und „nazywam się Oliver“, schließlich mit Zeichensprache und einigen bekannten Wortfetzen. Aber – wir verstanden uns auf Anhieb! Das sollten die nächsten Tage noch deutlicher zeigen. Wir fuhren eine Weile übers Land und an zwei Dörfern vorbei und ließen den Geländewagen dann auf einem Feldweg stehen. Bei uns zu Hause war alles Getreide wegen der Trockenheit bereits nahezu abgeerntet. Hier standen viele Felder noch unberührt – ganz allgemein schien die Natur hier in den vergangenen Monaten weniger gelitten zu haben. Und so hatten wir reichlich Deckung, als wir uns langsam, nach passenden Böcken Ausschau haltend, von Schlag zu Schlag bewegten. Wie schon damals auf meiner ersten Polenreise fiel mir auf, dass die jeweils bewirtschafteten Flächen deutlich kleiner als bei uns waren. Ob hier noch eine klassische Dreifelderwirtschaft betrieben wurde, konnte ich aufgrund der Sprachbarriere nicht he-rausfinden. So pirschten wir schweigend eine Weile, um in regelmäßigen Abständen immer wieder anzuhalten und in die Weizenschläge hineinzublatten und sie dann abzuglasen. Das taten wir ebenso an den Mais-äckern und auch an den Waldrändern. Und natürlich zeigte sich fast immer das Haupt eines weiblichen Stückes Rehwild oder eines Bockes. Aber immer winkte Tomek mit einem „Nix gut!“, verbunden mit einem verächtlichen Blick, ab. Und so ging es an diesem ersten Morgen bis halb neun, als er mir schließlich vermittelte, jetzt sei „Schluss“.

Wir fuhren zurück zum Hotel, wo uns Leszek zum Frühstück erwartete und ich erleichtert von meinem ersten Jagdmorgen berichten konnte. Ich wollte natürlich wissen, was man hier unter einem guten Bock verstand, Leszek hingegen, welcher Art denn meine konkreten Erwartungen seien. Eine schwierige Frage, da wir uns ja nun nicht kannten und ich prinzipiell nicht nach Gewicht oder Trophäe jage, sondern den Moment, das gemeinsame Erlebnis schätze. Das muss man seinem Jagdführer erst einmal erklären können, und dieser muss es auch verstehen wollen. Schlussendlich führten die beiden mich in einen Gastraum des Hotels, in dem zahlreiche Trophäen hingen, und ich konnte den beiden Jägern zeigen, was die Natur in unserem heimischen Hunsrücker Revier hervorbrachte und an was ich hier, in den Masuren, Freude haben würde. Ein „Dobry“ schenkte mir die Hoffnung, verstanden worden zu sein. Leszek vermittelte mir dann den Plan der Woche: Morgens pirschen, blatten. Frühstück, vielleicht etwas Schlaf nachholen. Mittagessen, Sightseeing und ab dem Nachmittag wieder raus aufs Feld und in den Wald. Das war ganz nach meinem Geschmack – übrigens ebenso wie das reichhaltige Frühstück sowie die Mittag- und Abendessen der traditionell deftigen polnischen Küche.

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