Das Glück kommt auf Stelzen

| Text: Gabriele Metz |

Fabelwesen, Kinderbringer, stelzbeinige Vogelart mit speziellen Eigenarten… Der Storch ist so vieles und dabei doch einzigartig. Wobei gleich 20 Arten auf der Welt herumstolzieren. Allerdings ist der Weißstorch hierzulande mit Abstand die bekannteste Variante

In meiner Kindheit gehörten sie zu den absoluten Highlights des Besuchs der Großeltern in Nord-Hessen: die Störche. Denn dort – in den mittelalterlichen Fachwerk-Dörfern rund um Kassel – sah man sie damals noch zahlreich, die aufwändig gebauten Nester mit ihren hochbeinigen Bewohnern, deren roten Schnäbel in der Morgensonne leuchteten. Manchmal vernahm ich sogar das storchentypische Begrüßungsklappern und freute mich darüber mindestens so sehr wie über die Weihnachts-Bescherung.

Seit dieser Zeit ist viel geschehen und Meister Adebar verschwand vor knapp 40 Jahren sogar fast vollständig aus dem Bundesland Hessen. Doch inzwischen ist er wieder zurück. 1.289 brütende Paare mit insgesamt 2.760 Jungtieren wurden dieses Jahr gezählt: ein großer Erfolg für den hessischen Tierschutz. Das Errichten von Storchenmasten und die Förderung von Feuchtwiesen als Lebensraum trugen zu dieser erfreulichen Entwicklung bei. Heute sind die meisten Weißstörche im südhessischen Ried zu beobachten. In Nordhessen allerdings, wo ich als Kind mit glänzenden Augen Störche bewunderte, sind sie nach wie vor eher selten anzutreffen. Wobei es dort und auch in Mittelhessen durchaus geeignete Lebensräume für die Ausbreitung des Weißstorches gibt. Der Erhalt von Feuchtgrünland ist dabei vorrangig. Nasse Wiesen in Horstnähe sind ein wertvoller Nahrungsquell und wichtig für die Aufzucht von Jungtieren. Der Umbruch von Grünland zu Maisäckern beflügelt zwar die Biogas-Industrie, für die Störche stellt dieses Vorgehen jedoch eine Bedrohung dar. „Nur, wo Grünland noch feucht ist, wo man noch Teiche und Weiher findet, wo noch periodische Überschwemmungen möglich sind und staunasse Bereiche das ganze Jahr über existieren und wo solche Bereiche naturnah bewirtschaftet werden, hat der Klapperstorch langfristig eine Chance“, so der Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU), der in einigen Regionen das Aufstellen von Storchenmasten unterstützt. Wobei Nisthilfen nicht unbedingt gleich für einen freudigen Storchenbezug sorgen. Mitunter ist Geduld angesagt. Oft inspizieren die Vögel die Masten über längere Zeit hinweg, bevor sie sich im Bestfall auch tatsächlich zum Brüten darauf niederlassen.

Geschichten vom Klapperstorch

Vogel-Nachwuchs ist ein Thema, Babys sind ein weiteres, wenn es um die langbeinige Schönheit geht. Zumindest, wenn man dem Volksglauben folgt. „Storch, Storch, Du Guter, bring mir einen kleinen Bruder! Storch, Storch, Du Bester, bring mir eine kleine Schwester! Klapperstorch, Langbein, bring einen Bruder und ein Schwesterlein!“ Dieses Lied sangen früher die Kinder und legten Zuckerstücke auf den Fensterbänken aus, um den Storch zu locken. Eine Tradition, die im 18. Jahrhundert aufkam und mit dem kindlichen Glauben einherging, Störche würden Babys aus Brunnen holen und die zukünftigen Mütter ins Bein beißen, damit diese ins Bett müssen, wo der Storch dann den Säugling neben sie legt. Eine fantasiereiche Geschichte und letztendlich das Ergebnis einer zutiefst verklemmten Sexualmoral. Damit nicht genug: Der Spitzname Adebar, den der Storch lange Zeit trug, geht auf das althochdeutsche Wort „Auda“ (= Glück) und die Endsilbe -bar zurück, die „bringen“ oder „tragen“ bedeutet. Somit lässt sich Adebar mit „Glücksbringer“ gleichsetzen. Zumindest glaubte man diese Version lange Zeit. Inzwischen gilt diese Verknüpfung als fraglich. Die Bezeichnung „Adebar“ bezieht sich offenbar vielmehr auf das althochdeutsche Wort für „Sumpfgänger“.

Gleichzeitig verbindet man den Klapperstorch – auch als Hausstorch, Knickerbein, Rotschnabel oder Stelzenbein bekannt – aber eben auch mit Babyglück. Dass ein auf dem Dach des Hauses sitzender Storch zudem menschlichen Nachwuchs in Aussicht stellt, ist ein volkstümlicher Glaube, der in vielen europäischen Ländern Verbreitung findet wie auch die Vorstellung von einem Storch, der einen Säugling im Korb überbringt. Auch weit verbreitet ist die Verbindung der menschlichen Eigenschaften Stolz und Hochmut, die der Volksglaube mit dem hochbeinigen Langschnabel assoziiert, der auch als Gelehrter und Weiser in die Literatur einging. Ein Wahrzeichen ist er ebenfalls!

Wahrzeichen

Als solches gilt der Weißstorch nämlich im Elsass. In der an Deutschland und die Schweiz grenzenden Region zieren zahlreiche Storchennester Kirchturmspitzen, Türme und Dächer. Genaues Hinsehen lohnt sich und das nicht nur in ländlichen Gegenden. Auch in den Städten sind die wunderschönen Vögel zugegen. Zumindest bis zum Ende des Herbstes, denn dann startet ihre große Reise in den Süden. Ein abenteuerliches Unterfangen, das nicht nur anstrengend, sondern auch überaus gefährlich ist. Trotz offizieller Verbote werden Störche in Winterquartieren geschossen und gelten mancherorts sogar als begehrte Bereicherung des Speisezettels.

Störche auf Reisen

Die Gefahren der Flugrouten rufen regelmäßig Umweltschützer auf den Plan. Zum Beispiel den NABU, der das Projekt „Störche auf Reisen“ initiierte, und dessen Wappen der Weißstorch ist. Um die Zugrouten der Vögel genauer verfolgen zu können, werden Solarsender eingesetzt. „Die Solarsender werden wie Rucksäcke auf dem Rücken befestigt und behindern die Weißstörche nicht.

Die Signale werden in einer Karte dargestellt und in einem Tagebuch kommentiert“, so der über 900.000 Mitglieder zählende, älteste Umweltverband Deutschlands. Die 35 bis 50 Gramm leichten Sender speichern einmal stündlich die GPS-Koordinaten des Storches und senden diese im Drei-Tages-Rhythmus an einen Satelliten. Dieser leitet die Standortdaten an eine Erdstation weiter, von wo aus diese zu NABU-Experten gelangen. Auf diese Weise lässt sich die Reise der Weißstörche – in den Süden und wieder zurück – verfolgen. „Die Satelliten-Telemetrie ermöglicht es, den Storchenzug quasi in Echtzeit zu verfolgen. Bisher unbekannte Rastplätze und Gefahrenzonen können entdeckt werden und diese neuen Erkenntnisse fließen in zukünftige Schutzprogramme ein“, so der NABU, der inzwischen auch die neuste, über das Mobilfunknetz funktionierende Sendergeneration einsetzt. Das ermöglicht die Speicherung von weitaus mehr Daten und somit eine noch detailliertere Analyse.

Sie finden den Artikel spannend und möchten ihn gern weiterlesen?
Dann lohnt es sich, das ganze Heft zu kaufen.