Der Bienenkönig
| Text: Bastian Fuhrmann |
In der Lüneburger Heide findet sich zum Herbst des Jahres nicht nur die blühende Erika. Mit etwas Glück entdeckt man inmitten der Heidefelder eine seit Jahrhunderten bewährte Art der Honiggewinnung: das Korbimkern. Heinrich Inselmann übt das seltene Handwerk in fünfter Generation aus. Wir haben ihm und seinen Bienen über die Schultern geschaut.

Es ist ein früher Augustmorgen, als wir von der Autobahn A 7 abfahren – der eine aus NRW kommend, die andere aus Hamburg. Nebel liegt über dem Land. Wir haben beide gehofft, dass die Lüneburger Heide an diesem Tag auf unserer Seite ist und bereits in der Blüte steht – die Fotografin natürlich viel mehr als ich. Doch in den Tagen zuvor war es wieder etwas kälter geworden, außerdem hatte es geregnet. Der Hitzesommer, vor dem uns die Medien rauf und runter gewarnt hatten – wo war der eigentlich? Aber das nur am Rande. Nach ein paar Kilometern durch die typischen Kiefernalleen erreichen wir schließlich Schneverdingen. Als wir auf den Parkplatz des Heide-Kiosks in Höpen fahren, liegt das angrenzende Heidefeld unter einer Dunstglocke. Wir genehmigen uns einen Kaffee und warten auf unseren Hauptdarsteller. Nach ein paar Minuten kommt er schließlich und fährt schnurstracks auf seinen Bienenstock zu, der in naher Entfernung zum Kiosk liegt. Plötzlich lichtet sich auch der Nebel und gibt den Blick frei auf die blühende Heide. Was für eine herrliche Pracht! Vor uns liegt ein weitläufiger Teppich aus zarten violetten bis rosafarbenen Blüten, die im Morgenlicht aufstrahlen. Spinnennetze überziehen die niedrigen Sträucher, die mehr und mehr aufzuleuchten beginnen. Ein Farbenspiel, wie es so wahrscheinlich nur der Norden zu bieten hat.
Wir nähern uns zu Fuß dem Bienenstand, der, umschlossen vom Heidefeld, geschützt in einer kleinen Kiefernschonung steht. Der Imker Heinrich Inselmann parkt seinen Transporter gleich dahinter. Der Stand wurde einst von Inselmanns Vater aus schweren Eichenbohlen erbaut. 20 aus Stroh geflochtene und mit Maibutter (Erklärung folgt) verschlossene Bienenkörbe stehen dort in Reih und Glied. Einige sind mehr als 100 Jahre alt. Inselmann repariert sie auf althergebrachte Weise: Mit einem spitzen Knochen flicht er neues Stroh ein, um so Risse oder Löcher zu flicken. Dann schließt er das Stroh mit der sogenannten Maibutter ein: frischem Kuhdung.
So hat man es seit Jahrhunderten gemacht, so macht es Inselmann noch heute. Der Dung zieht in jede Ritze und hält, einmal getrocknet, den Bienenkorb auf idealer Betriebstemperatur: Die liegt ähnlich wie bei uns Menschen bei 35 bis 37 °C. Die Körbe stinken keinesfalls. Im Gegenteil: In der Nähe der Körbe riecht es bereits süßlich nach Fruktose und Wachs. Früher wurden die Körbe mit Pferd und Wagen in die Lüneburger Heide ausgebracht. Manche wurden sogar bildnerisch gestaltet: In die fertigen Strohkörbe wurden aus Holz geschnitzte Gesichter oder Fratzen so eingearbeitet, dass oft der Mund das Einflugloch bildete. Die Körbe sollten Unglücke wie Blitzschläge, Hagelschlag, Krankheiten und vor allem Diebe fernhalten. Einige dieser Exponate befinden sich im nahen Celler Institut für Bienenkunde.
Das eindringliche Summen der Bienen der Gattung Carnica wird lauter und lauter, je näher wir kommen. Bei 20 Körben mögen es ungefähr eine Million Tiere sein. Inselmann steigt aus seinem Transporter aus, begrüßt uns freundlich mit einem festen Händedruck und öffnet die Schiebetür. Doch zu unserer Verwunderung nimmt er weder einen Schutzanzug noch eine Haube mit. Er greift nur zu seiner Imkerpfeife und ein paar Devotionalien seiner Vorfahren: eine Gänsefeder (zum vorsichtigen Beiseiteschieben der Bienen) und einen sogenannten Weiselkloben, ein kleiner, aus Kastanienholz geschnitzter Käfig, so groß wie eine Streichholzschachtel, der zur Überprüfung eines Bienenvolks genutzt wird. Dafür wird eine fremde Bienenkönigin in den Käfig gesetzt und in der Nähe des Bienenkorbs platziert. Wittern die Bienen sie, zeigen aber kein Interesse an der Königin, so ist ihr Volk intakt und die Chefin hat sich nur irgendwo versteckt.

Dann greift Inselmann noch zu einer Blechdose mit selbst gemachtem Pfeifentabak. Den Tabak stellt er selbstverständlich auf althergebrachte Weise her. Dazu sammelt Inselmann Rainfarn, der auch als Heilpflanze genutzt wird, und trocknet ihn. Wie der Name vermuten lässt, wächst Rainfarn am Feldrain – am Wegesrand. „Die Pflanze kann man ab August ernten, dazu lassen sich die Stängel leicht brechen. Zu armdicken Bündeln verschnürt, hänge ich sie kopfüber auf zum Trocknen. Den Rainfarn zerkleinere ich dann mit einer historischen Brotschneidemaschine“, erklärt Heinrich Inselmann. Die Pflanze erzeugt in der Pfeife einen dichten ätherischen Rauch, und die Qualmdauer ist erstaunlich lang. „Wir wollten früher als Kinder ja auch nur rauchen, deswegen haben wir meinen Opa und meinen Vater immer gern begleitet“, sagt Inselmann scherzhaft. „Was dem Heideschäfer sein Hütehund ist, ist der Rainfarn für uns Korbimker“, so Inselmann. Er stopft eine Handvoll getrockneter Blüten und Stängel in seine Pfeife, zündet sie an und geht in Richtung der Bienenkörbe. „Moment, Herr Inselmann, was ist mit Ihrem Anzug?“, rufen wir ihm noch hinterher. (Im Alter von 79 Jahren kann man ja durchaus einmal etwas vergessen …)