Der Feldhase – Supersprinter im Feldermeer
| Text: Dr. Johanna Maria Arnold und Dr. Janosch Arnold |
Wohl einer der charismatischsten Bewohner der Feldflur ist der Feldhase, Lepus europaeus. Symbol der Fruchtbarkeit und der Lebensfreude, bekannt als Osterhase und fortpflanzungsfähiges Wildtier. Ungeachtet seines hohen Reproduktionspotenzials befinden sich die Feldhasenbesätze derzeit auf vergleichbar niedrigem Niveau. Sie teilen also das gleiche Schicksal wie andere, einst oft häufige Bewohner der Feldflur. Feldhase, Rebhuhn und Co. können sich nur durch eine Neuausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik auf europäischer Ebene und damit gemeinschaftliche Maßnahmensetzung aller verantwortlichen Akteure erholen. Dann besteht die aussichtsreiche Chance, dem Artensterben auf unseren Feldern entgegenzuwirken.
Symbol und Wirklichkeit
Jedes Jahr an Ostern ist er in aller Munde, und jedes Kind kennt ihn, den Feldhasen (Lepus europaeus) alias Osterhase. Liebevoll bemalt er Ostereier und behütet kleine gelbe Küken, und schon unseren Vorfahren galt er als Symbol des Frühlings, des neu beginnenden Lebens und der Fruchtbarkeit. Bei den Römern galt sein Fleisch als Delikatesse und noch dazu als Aphrodisiakum, römische Kaiser füllten ihre Betten mit Hasenhaar und vertrauten auf die Zeugungskraft des virilen Säugetieres. Einige Jahrhunderte später wurde er von christlichen Kirchenoberen verachtet, die dem gemeinen Kirchenvolk den Verzehr von Hasenfleisch zur Eindämmung der Zügellosigkeit untersagten. Dem Hasen wurden gefärbte Ostereier untergeschoben, nicht wenige dachten, dass die kleinen Häschen aus bunten Eiern schlüpfen. Diese Versinnbildlichung rührt nicht von ungefähr: Fast zwei Drittel des Jahres beschäftigen sich Feldhasen mit Aktivitäten rund um Paarung und Aufzucht. Zur Vorbereitung der Hasenhochzeit liefern sich die Hasen Verfolgungsjagden, und Rammler und Häsin boxen miteinander; sie testet beim Schlagabtausch die Kräfte und Widerstandsfähigkeit des möglichen Partners. Kurz nach der Paarung paart sich die Häsin noch mit anderen Rammlern, sodass die Junghasen innerhalb eines Wurfes unterschiedliche Väter haben können (Polyandrie). Um die Fortpflanzungsfähigkeit zu steigern, hat die Evolution den Feldhasen mit einer weiteren Besonderheit ausgestattet, denn während der Tragzeit können die Häsinnen erneut befruchtet werden. In der Folge befinden sich zeitgleich Embryonen unterschiedlicher Entwicklungsstadien in der Gebärmutter (Superfötation). So können die Würfe mit verkürztem Abstand stattfinden, die Häsin erhöht die Wahrscheinlichkeit, mehr Nachkommen zu produzieren und ihre Gene weiterzugeben. Nach einer Tragzeit von etwa 42 Tagen zieht die Häsin bis zu vier Würfe mit je durchschnittlich drei Jungtieren pro Jahr auf. Mit Jungtieren kann man bereits im Februar rechnen. Das Geburtsgewicht der Häschen beträgt etwa 100 Gramm, dabei werden die Nestflüchter behaart und sehend geboren. Auf die Welt gekommen, setzen sie auf den Schutz der Deckung. Gut versteckt im Unterwuchs von Gehölzen und Hecken oder im Pflanzenaufwuchs warten sie auf ihre Mutter, die sie ein- bis zweimal am Tag für bis zu drei Minuten lang säugt. Sie verweilt nur kurz bei ihrem Nachwuchs, um sie nicht durch ihre Anwesenheit an mögliche Fressfeinde zu verraten. Während der Aufzuchtzeit stillt die Häsin ihre Jungtiere mit fettreicher Milch (über 20 % Fettgehalt), so ist die Häsin selbst auf eine nährstoffreiche und vielfältige Äsung angewiesen, um diese energiereiche Nahrung produzieren zu können.
Verbreitung und Biologie
Der Feldhase gehört zur Familie der Hasen (Leporidae), die wiederum der Ordnung der Hasenartigen (Lagomorpha) zuzuordnen ist. Der Feldhase ist eine relativ anpassungsfähige Art, besiedelt aber vornehmlich offene und halboffene Landschaften, wobei er durchaus in suburbanen und urbanen Räumen – auch in höheren Dichten – vorkommen kann. Das derzeitige Verbreitungsgebiet des Feldhasen umfasst weite Teile Europas und Asiens. Die Vorkommen erstrecken sich von den nördlichen Gebieten Spaniens über das Baltikum bis hin zu den südlichen und nördlichen Gebieten des Mittleren Ostens und nach Sibirien. Aufgrund jagdlicher Interessen wurde die Art als Jagdwild in viele Regionen der Welt eingebracht, z. B. Australien oder auch Nord- und Südamerika. Die Art kommt bis zu einer Seehöhe von maximal 2 300 m vor.
Als relativ wärmeliebende Art fühlt sich der Feldhase auch in lichteren Wäldern, Dünenlandschaften und in der anthropogen geprägten (extensiven) Agrarlandschaft mit ausreichenden Äsungspflanzen sowie Deckungsmöglichkeiten wie Hecken und Büschen wohl.
Seinen Ursprung hat der Feldhase in den eurasischen Steppen, und so ist er bestens an offene Habitate angepasst: Besonders seine visuellen, akustischen und olfaktorischen Sinnesleistungen erlauben ihm, Feinde schnell auszumachen und folglich die besten Feindvermeidungsstrategien auszuwählen. Die großen, seitlich am Kopf platzierten Augen erlauben eine optimale Rundumsicht auf das Umfeld. Das Gesichtsfeld des Hasen liegt bei nahezu 360 Grad. Besonders Bewegungen werden gut wahrgenommen, dreidimensionales Sehen ist jedoch nur in einem kleineren Bereich möglich. Aufgrund seiner großen, lang gestreckten Ohren hört er sehr gut und kann auch kleinere Erschütterungen, z. B. die Annäherung eines Fressfeindes, differenziert wahrnehmen. Daher stammt wohl auch der alte Volksglaube, dass Hasen mit offenen Augen schliefen. Die Ohren dienen weiter zur Wärmeregulation. Auf einen guten Geruchssinn lässt sich aus der Vielzahl von Drüsen mit Orientierungs- und Markierungsfunktionen schließen. Gut kann man den Feldhasen dabei beobachten, wie er immer wieder mit der Nase den Wind prüft, beispielsweise beim Verlassen seiner Deckung. Auch der Tastsinn ist hervorragend entwickelt, eine Vielzahl vorhandener Tasthaare im Gesichtsbereich zeugt davon. Bei drohender Gefahr drückt sich der Feldhase entweder in eine Sasse, eine Bodenmulde, oder er rettet sich in einer schnellen Flucht, bei der er auch einige, den Feind verwirrende Haken schlägt. Dabei kann er Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 80 km/h erreichen. Die Fluchtdistanz erstreckt sich bis zu 2,5 km, bleibt aber meistens unter 1 km.