Der kahlköpfige Rabe
| Text: Dr. Volker Pesch |
Der Kormoran galt hierzulande schon als ausgerottet. Dank vieler Artenschutzbemühungen haben sich die Bestände in den letzten Jahrzehnten wieder erholt, aber nicht selten gehen die schwarzen Vögel massiv zu Schaden. Auf der Basis von Ausnahmeregelungen dürfen sie vielerorts wieder bejagt werden.
Er ist nicht einmal im Prachtkleid farbenfroh, seine Stimme klingt heiser bis krächzend, und auf Speisekarten findet man ihn eher selten. Selbst der gute alte Taschenatlas der Vögel, seit den Sechzigerjahren Standard im Bücherregal aller Hobbyornithologen, kann dem Vogel wenig abgewinnen: „Dieser schwarze, grünlich glänzende Bursche richtet manchen Schaden an“, heißt es dort, „und trotzdem schützen wir ihn. Schon sein Äußeres ist etwas exotisch […].“ Als Nahrungskonkurrent wurde er über Jahrhunderte scharf bejagt und galt im mitteleuropäischen Binnenland um 1920 als nahezu aus-gerottet.
Im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnten sich aber wieder größere Populationen etablieren, heute gelten die Bestände als stabil. Das ist ein Erfolg des Artenschutzes. Aber Angler, Fischer und Teichwirte wollten dem gefiederten Fischräuber am liebsten wieder den blutigen Garaus machen. Und weil manch ein Umweltminister diesem Anliegen nicht ganz ablehnend gegenüberstand und seinem Bundesland bereits ein „Management“ verordnet hatte, haben ihn NABU und LBV 2010 sicherheitshalber zum Vogel des Jahres gekürt. Eine Provokation, die viel Aufmerksamkeit gebracht, aber die Diskussion nicht eben versachlicht hat.
Corvus marinus
Die Rede ist vom Kormoran. Dessen heute nahezu weltweit genutzter Name leitet sich zuletzt aus dem lateinischen Corvus marinus her: der „Meerrabe“. Seine wissenschaftliche Bezeichnung Phalacrocorax stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Kahlköpfiger Rabe“, ergänzt durch das Attribut carbo, was wiederum lateinisch ist und „Kohle“ bedeutet. Ein kohlrabenschwarzer Kahlkopf sozusagen. Er gehört, wie weltweit rund 40 weitere Arten, zur Familie der Phalacrocoracidae und darin, gemeinsam mit den Familien der Tölpel, Schlangenhals- und Fregattvögel, zur Ordnung der Suliformes. Gemeinsames Merkmal aller Vertreter dieser Ordnung ist, dass ihre vier Zehen durch Schwimmhäute verbunden sind.
In Europa sind zwei Rassen heimisch: Phalacrocorax carbo carbo lebt an den felsigen Küsten West- und Nordeuropas, Phalacrocorax carbo sinensis ist an den flachen Nordseeküsten und im Ostseeraum sowie im Binnenland verbreitet. Gegner des Kormorans argumentieren gern, schon der Namenszusatz sinensis zeige, dass der Kormoran keine heimische Art sei, sondern ein Neozoon. Immerhin bedeute der im übertragenen Sinn so viel wie „fremdländisch“. Das Argument ist allerdings nicht stichhaltig: Knochenfunde an steinzeitlichen Siedlungsplätzen und historische Quellen belegen ein durchgehendes Vorkommen von Phalacrocorax in Europa seit mindestens 7 000 Jahren. Dass die Vögel irgendwann ihr Habitat ausgeweitet und sich veränderten Bedingungen angepasst haben, ist ein natürlicher Evolutionsprozess.
Alle Kormorane leben an und von Gewässern und sind hervorragende Schwimmer und Taucher. Ab-gesehen von den Schwimmhäuten, ist auch ihr Gefieder dafür optimiert: Es nimmt Wasser auf und verringert so den Auftrieb, was beim Jagen auf Beute Energie und Kraft spart. Bis zu 30 m in die Tiefe und 90 Sekunden lang können Kormorane tauchen, in Einzelfällen auch tiefer und länger. Nach den Tauchgängen schütteln sie das Wasser aus dem Gefieder und breiten die Schwingen zum Trocknen aus.
In dieser charakteristischen Haltung lassen sich die Vögel oft beobachten. Wer dann genauer hinsieht, wird erkennen, dass das Gefieder insgesamt gar nicht so unscheinbar ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Die Federn der etwa gänsegroßen Vögel glänzen in der Sonne metallisch grün oder blau, an den Schwingen sind sie auch bronzefarben und silbrig mit schwarzen Rändern. Bei entsprechendem Lichteinfall wirkt das optisch wie Schuppen. An Hals und Kopf sieht man weiße Federn und einen Federschopf. Eine nackte, gelbliche Hautpartie am Schnabelgrund und der lange Hakenschnabel geben den Vögeln ein geierartiges Aussehen, trotz ihrer türkisfarbenen Augen. Die Geschlechter unter-scheiden sich nicht sehr deutlich, abgesehen davon, dass Männchen etwas größer und schwerer sind als Weibchen. Ausgewachsene Kormorane können bis zu 3 kg wiegen, rund 80–100 cm in der Länge messen und eine Spannweite von etwa 140 cm aufweisen.