Die Eiersuche unterm Vulkan
| Text: Wolfgang Siesing |
HALALI-Autor Wolfgang Siesing folgt den Spuren von August Engelhardt, der 1902 eine 75 Hektar große Plantage auf Kabakon, einer kleinen Insel vor der Küste des damaligen Deutsch-Neuguinea, kaufte. Dessen Aussteigerleben geriet schnell zum radikalen Selbstversuch – am Ende zahlte er mit seiner Gesundheit und seinem Leben. Auf einem Zwischenstopp in Richtung Kabakon stößt Siesing auf den Stamm der Tolai, die seit Generationen Vogeleier sammeln und dabei zwischen Tradition und dem Lockruf des schnellen Geldes um ihre Identität ringen.

Tief im Südwestpazifik, weit draußen zwischen Korallenriffen und tropischem Dschungel, liegt Papua-Neuguinea. Ein Land, scheinbar geformt aus Feuer, Wasser und feuchtheißen Wäldern. Vor seiner Küste erhebt sich das Bismarck-Archipel, eine Inselkette, deren größte Insel Neubritannien wie ein gewaltiger grüner Pfeil ins Meer ragt. In diesem weitläufigen Teil hatten die Siedlungen vor 120 Jahren noch Namen wie Herbergshöhe und Finschhafen. Die deutsche Kolonialzeit versuchte sich hier als munterer Namensgeber und wenig erfolgreicher Plantagenbetreiber. Doch tropische Krankheiten und das Ruhen der Waffen im Ersten Weltkrieg beendeten nach rund 30 Jahren die deutsche Kolonialgeschichte in den Gefilden am anderen Ende unserer Welt.

Mag das Kapitel der Deutschen auf Papua beerdigt sein, der Mount Tavurvur hier im äußersten Nordosten der Insel ist umso lebendiger. Er bleibt ein unruhiger und aktiver Vulkan. Sein Krater dampft unentwegt, die Luft ist schwer von Schwefel und der Boden fast überall wärmer als die Luft. An einigen Stellen ist der Boden hier sogar kochend heiß. Rabaul, die nächstgelegene Stadt, wurde durch seine Ausbrüche mehrfach unter einer grauen Aschedecke begraben und immer wieder neu aufgebaut. In dieser dystopisch anmutenden Landschaft zwischen glühendem Gestein und verbrannter Erde lebt ein Vogel, den es in dieser Form nur im australischen und südostasiatischen Raum gibt: das Bismarckhuhn (Megapodius eremita). Es erscheint uns plump und flugfaul, und mit seinem schwarzen Gefieder, der roten Gesichtsmaske und dem gelben Schnabel wirkt es wie ein clownesker großer Bruder unseres Teichhuhnes. In der Sprache der Tolai heißt der Vogel schlicht Ngiok. Seine Überlebensstrategie ist so ungewöhnlich wie riskant – und genau das macht ihn für seine Zukunft so verwundbar. Das Bismarckhuhn baut nicht wie andere Megapoden einen gewaltigen Bruthügel, sondern vertraut stattdessen seine Brut dem Mount Tavurvur an. Noch vor Morgengrauen scharrt es bis zu vier Meter tiefe Löcher in den warmen Vulkansand – immer genau auf die Tiefe, in der konstante 33 Grad herrschen. Mit seinem Schnabel misst es permanent beim Graben die Temperatur und legt dann ein einziges Ei, das fast so groß ist wie eine Avocado und zu mehr als zwei Dritteln aus Dotter besteht. Danach verlässt die Henne den gegrabenen Stollen, und der Vulkan übernimmt die weitere Arbeit. Nach mehreren Wochen schlüpft das Küken und gräbt sich oft unter enormen Schwierigkeiten allein an die Oberfläche – es ist vom ersten Herzschlag an flug- und überlebensfähig. Ein Meisterstück der Evolution, geboren aus Asche und Hitze.


Die Männer vom Volk der Tolai haben nicht wenig Zeit für die Bewunderung dieses Naturspektakels. Für sie ist die Brutzeit von März bis November die Hochsaison der Eiersuche. Mehrmals in der Woche paddeln sie in schlanken Einbäumen von der Halbinsel Matupit hinüber zum Vulkan. Ihr Ziel: die begehrten Eier. Der Lohn der Asche ist Delikatesse und Einnahmequelle zugleich. Jeder Sammler besitzt ein festes Revier, markiert durch Stöckchen im Sand. Die Arbeit ist präzise: Erst wird die oberste Sandschicht vorsichtig abgetragen, dann tiefer gegraben, die Männer liegen wie Archäologen auf Spurensuche bäuchlings in der Asche, um die zerbrechliche Schale nicht zu beschädigen. Die Kalk-Schutzhaut des Kükens ist wesentlich verletzlicher als die des deutschen Huhn-Verwandten. Die Stollen sind vom Vogel tief gegraben, und der Sand ist so weich wie Mehl, das ist keine gute Kombination für den Grubenbauer. Immer wieder stürzen die einfachen Stollen ein und verschütten die Sammler, oder diese kommen durch plötzlich auftretende giftige Gase ums Leben. So haben nicht wenige ihr eigenes Grab an dieser Stelle geschaufelt. Dieser Ort trägt nicht ohne Grund in der Landessprache den Namen „Friedhof“. Wer allein hier gräbt, geht ein besonders hohes Risiko ein, und so wird die Eiersuche aus Vernunftgründen eher als Teamarbeit präferiert. Ein geübter Sammler kann bis zu 20 Eier am Tag finden. Auf dem Markt in Rabaul bringt jedes dieser Eier rund drei Kina – etwa 75 Cent. Wer gut sucht, verdient bis zu 1 200 Kina im Monat, das sind rund 300 Euro. Für Papua-Neuguinea ist das sehr viel Geld. Die Eier selbst sind reichhaltig, sättigend und geschmacklich unverwechselbar: sehr viel Eidotter, wenig Eiweiß und alles geprägt durch eine feine, kalkige Note. Gekocht werden sie oft direkt am Vulkan in Palmenblattkörben über den dampfenden Erdquellen. Was nicht gegessen wird, verkaufen die Frauen der Sammler auf den Märkten in der Umgebung. In der Provinzhauptstadt Kokopo gelten sie als Spezialität, für die man auch längere Wege auf sich nimmt.