Die fabelhafte Welt der Flossenfüßer

| Text: Gabriele Metz |

Abtauchen in die Tiefsee. 70 Minuten lang unter Wasser bleiben, ohne Luft zu holen. Mit Streifenoptik verblüffen. Robben begeistern immer wieder. Sie blicken allerdings auch auf eine wechselvolle Geschichte zurück: massive Bejagung, Zurschaustellungen in Wandermenagerien, clowneske Darbietungen in Zirkusbetrieben. Manche Arten sind bereits ausgestorben, andere stehen kurz davor – Klimawandel und Meeresverschmutzung befördern diese Entwicklung.

Hätten Sie es gewusst? Die Kegelrobbe ist die seltenste und größte Meeressäugerart in Deutschland und zugleich das größte heimische Raubtier. Der Seehund, die kleine Robbe mit den zauberhaften Kulleraugen, behauptet sich hingegen sogar als häufigste deutsche Meeressäugerart. Weltweit gibt es 35 Robbenarten (Pinnipedia, abgeleitet von pinna für Flosse und pes für Fuß, wörtlich übersetzt Flossenfüßer), die in die drei Familien Hundsrobben, Ohrenrobben und Walrosse eingeteilt werden. Alle Flossenfüßer gehören zur Klasse der Säugetiere und sind Raubtiere.Ihre otterähnlichen Vorfahren lebten tatsächlich an Land. Doch das ist reichlich lange her. Heute gehören Robben mit ihrem evolutionär angepassten Körperbau und speziellen Stoffwechsel zu den bestens ans Wasser angepassten Säugetieren. Sie sind so gut angepasst, dass ein Vertreter der Familie der Hundsrobben sogar Rekordhalter ist! Die Weddellrobbe taucht bis zu 700 Meter tief und vermag unfassbare 70 Minuten lang unter Wasser zu bleiben, ohne auch nur ein einziges Mal Luft zu holen.

Hundsrobben

Die in der Antarktis lebende Weddellrobbe gehört zur Familie der Echten Robben oder Hundsrobben (Phocidae), die auch die beiden heimischen Arten Seehund und Kegelrobbe sowie die Sattelrobbe umfasst und mit 13 Gattungen und 18 Arten die größte Familie unter den Flossenfüßern bildet. Wobei die mit hellen Streifen auf dunklem Grund gemusterte Bandrobbe wohl der auffälligste Flossenfüßer dieser Familie weltweit ist. Im Gegensatz zu den Ohrenrobben haben Hundsrobben keine äußere Ohrmuschel. Sie sind außerhalb des Wassers ziemlich schwerfällig. Mithilfe ihrer stark ausgeprägten Bauch- und Rückenmuskulatur bewegen sie sich an Land robbend vorwärts, im Wasser dagegen wirken ihre Hinterextremitäten funktionell als Schwanzflosse, was sie zu sehr begabten Langstrecken- und Tieftauchern macht.

Auch Klappmützenrobben leben – wie viele Mitglieder der Familie der Hundsrobben – in arktischen und antarktischen Gewässern. Sie haben ebenfalls spektakuläre Fakten zu bieten: So gebären sie ihren Nachwuchs auf driftendem Packeis. Diese abenteuerliche Geburtsstation bedingt eine rasante Selbstständigkeit und somit eine extrem kurze Säugezeit von nur vier bis sechs Tagen. Dank nahrhafter Robbenmilch, deren Fettgehalt bis zu zehnmal höher ist als der von Kuhmilch, verdoppeln die Jungen der Klappmützenrobben ihr Geburtsgewicht tatsächlich innerhalb der ersten Lebenswoche. Eine stramme Leistung! Auch die Mittelmeer-Mönchsrobben gehören zur Familie der Hundsrobben. Ihre Bestandslage ist mit schätzungsweise nur noch 300 bis 500 Exemplaren dramatisch. Deshalb stehen sie auch als stark gefährdet auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN). Auch die im Pazifik lebende Hawaii-Mönchsrobbe gilt mit nur noch ca. 1 000 Exemplaren als gefährdet. Für die Karibische Mönchsrobbe kommt jegliche Hilfe zu spät. Sie ist seit dem Jahr 2000 ausgestorben. Das tragische Schicksal des bis zu 2,40 Meter langen Meeressäugers begann bereits 1494 mit Christoph Kolumbus und den ihm nachfolgenden Seeleuten. Sie erschlugen die Karibischen Mönchsrobben massenweise. Diese dienten damals vor allem als Fleischlieferant. Aus ihrer Haut fertigte man Schuhe, Gürtel und Taschen. „Aus der Speckschicht stellte man unter anderem Schmiermittel, Lampen- und Speiseöl her. Es entstand sogar eine – wenngleich nur kurz andauernde – Industrie, die auf die Verarbeitung von Mönchsrobben spezialisiert war“, so die Deutsche Stiftung Meeresschutz. Bereits 1887 waren Mönchsrobben in der Karibik extrem selten anzutreffen. Einige wurden für Aquarien und Museen gefangen. Wovon unter anderem ein betroffen machendes Foto der New York Zoological Society zeugt, das 1910 im New Yorker Aquarium aufgenommen wurde und eine apathisch hinter dem Besucherzaun liegende Robbe zeigt.

Die Erlassung erster Gesetze zum Schutz der Karibischen Mönchsrobbe (1945 in Jamaika) kam offensichtlich zu spät. „Die Weltnaturschutzunion IUCN befasste sich ab 1973 mit der Art. 1975 dann wurde sie gemeinsam mit den beiden anderen Mönchsrobbenarten auf Anhang I des Washingtoner Artenschutzübereinkommens CITES gesetzt. Damit war der internationale Handel mit diesen Tieren oder Produkten daraus verboten. Doch leider kam all dies zu spät: Der Artentod ließ sich nicht mehr aufhalten“, so die Deutsche Stiftung Meeresschutz. Bleibt zu hoffen, dass es für die Mittelmeer-Mönchsrobbe besser läuft. Sie gehört aktuell zu den am stärksten vom Aussterben bedrohten europäischen Meeressäugetieren.

Ohrenrobben

Ohrenrobben (Otariidae) haben – wie der Familienname bereits vermuten lässt – kleine sichtbare Ohrmuscheln. Ein weiteres Merkmal, das sie von den Hundsrobben unterscheidet, ist der markante Größenunterschied zwischen weiblichen und männlichen Tieren. Zudem können die zu dieser Familie gehörenden Seebären und Seelöwen ihre Hinterflossen geschickt unter den Körper drehen und so zusammen mit den muskulösen Vorderflossen zur Fortbewegung an Land nutzen. Diese entfernt an Gehen erinnernde Art der Fortbewegung ist den stets auf dem Bauch rutschenden Hundsrobben aus anatomischen Gründen nicht möglich, weil ihre Beckenknochen fest verwachsen sind. Ihnen bleibt nur eine wellenförmige Bewegung, die der von Raupen ähnelt.

Ohrenrobben bevorzugen als Lebensraum die kühlen Gewässer der Südhalbkugel. Zu dieser Familie gehören sieben Gattungen und 15 Arten. Die längsten Flossen dieser Familie hat der Nördliche Seebär. Sie erreichen mitunter ein Viertel der gesamten Körperlänge. Aber auch die extrem starken Vorderflossen sind bemerkenswert. Sie ermöglichen dem Seebären, an Land auf allen vieren zu laufen. Er kann damit sogar rennen und hängt Menschen auf rutschigen Felsen problemlos ab. Selbst sehr steile Klippen sind für den ungewöhnlichen Flossenfüßer kein Problem: Er erklimmt sogar fast senkrechte Hänge.

Walrosse

Walrosse (Odobenus rosmarus) sind die größte Art der Flossenfüßer. Mit bis zu 3,50 Meter Körperlänge und bis zu 1 200 Kilogramm Gewicht beeindrucken sie wohl jeden. Zumal auch ihre imposanten, einen halben bis zu einem Meter langen Stoßzähne, die sie zur Verteidigung, aber auch zum Aufbrechen von Eislöchern einsetzen, für gehörigen Respekt sorgen. Arktische Regionen der Nordhalbkugel sind der bevorzugte Lebensraum der Walrosse. Der Klimawandel stellt auch für sie eine massive Bedrohung dar. Der Bestand der Art gilt bereits als gefährdet. Walrosse haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von 35 Jahren und werden in zwei Unterarten unterteilt: das Atlantische und das etwas größere Pazifische Walross. Der schwere, plumpe Körper der großen Meeressäuger ist wahrlich opulent. Dagegen wirkt der quaderförmige Kopf mit den bis zu 450 borstigen Tasthaaren verhältnismäßig klein. Hinzu kommen kleine Augen, eine stumpfe Schnauze und nicht sichtbare Ohren.

50 Kilogramm Nahrung täglich

Mit dem Verzehr von 3 000 bis 6 000 Muscheln und Krabben pro Tauchgang halten Walrosse – abgesehen von den längsten Stoßzähnen aller Robben – einen weiteren Rekord. Die Tauchgänge dauern übrigens bis zu 30 Minuten. Dabei wühlen die Walrosse den Meeresboden mit ihren Schnauzen und Flossen auf. Muschelschalen knacken die Meeresriesen mit den Vorderflossen oder den Lippen. Seegurken, Tintenfische, Würmer, Schnecken und Garnelen gehören ebenfalls zum Speiseplan. Wenn es sich anbietet, jagen Walrosse auch kleinere Robben. Rund 50 Kilogramm Nahrung braucht ein Walross pro Tag, um seine üppige Form zu behalten.

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