Die große Familie der Schnepfenvögel
| Text: Dr. Johanna Maria Arnold und Dr. Janosch Arnold |
Die Schnepfenvögel sind eine größere Gruppe von Vögeln. Bis auf wenige Ausnahmen machen sie sich jährlich auf meist längere Wanderungen. Die vor allem auf der Nordhalbkugel brütenden Arten sind durch ihre meist langen Schnäbel und Beine gekennzeichnet. Schnepfenvögel bevorzugen feuchtere Gebiete und Küstenregionen, dort machen sie sich oft stochernd auf Nahrungssuche. In Deutschland ist die Waldschnepfe der einzige Schnepfenvogel, der dem Jagdrecht unterliegt.
Die Schnepfenvögel (Scolopacidae) gehören zu einer formenreichen Familie der Watvögel, auch als Limikolen oder Regenpfeiferartige (Ordnung Charadriiformes) bekannt. Diese Ordnung umfasst aktuell 390 Arten (Chen et al. 2022, Gill et al. 2024). Alle ihr zugewiesenen Vogelarten ähneln sich in einigen körperlichen Merkmalen: Gaumendach und Stimmapparat sind nahezu gleich, das Brustbein weist keine nach innen weisenden Knochenfortsätze auf. Beide Flügel zählen je elf Handschwingen, bei den Steuerfedern sind unterschiedlich viele vorhanden: von zwölf bis zu 26. Fast allen Arten ist ein besonderes Merkmal gemein: Sie besitzen zwischen den Augen große Salzdrüsen, durch die überschüssiges Salz ausgeschieden werden kann. Wichtig und besonders ausgeprägt sind diese Drüsen für die am Meer lebenden Arten. Die meisten Arten der Regenpfeiferartigen sind Zugvögel oder gelegentliche Langstreckenflieger. Dazu benötigen sie lange, dünne und spitz zulaufende Flügel. Auch hier gibt es Ausnahmen, wie z. B. die Kiebitze (Gattung Vanellus) mit ihren verbreiterten Flügeln oder die Alken (Gattung Alcidae) mit ihren stark verkürzten Flügeln, die sie zum Tauchen im Meer befähigen.
Die große Familie der Schnepfenvögel
Unter den Schnepfenvögeln selbst werden 86 nahezu weltweit verbreitete Arten subsumiert. Diese brüten vorwiegend in den arktischen Gebieten der Nordhalbkugel in der Tundra, in Mooren und Sümpfen und überwintern an flachen Küsten. Sie ernähren sich von Wasserinsekten, Krebsen und Weichtieren, die, mit dem Schnabel stochernd, im weichen Boden ertastet werden. Die Schnabelspitze der Schnepfenvögel besitzt hierfür zahlreiche empfindliche Tastkörperchen, die unter einer elastischen Hornscheide liegen. Der Schnabel gab den Schnepfenvögeln auch ihren Namen, das althochdeutsche Wort „snepfa“ ist verwandt mit den Wörtern Schnabel oder Spitze (Mittelhochdeusch: „snepfe“). Je nach Lebensraum und Ökologie ist der Schnabel anders gestaltet: Einen sehr langen Schnabel und lange Beine haben die Arten, die dem Schnepfentyp zugeordnet werden. Beim Brachvogeltyp ist der Schnabel sehr lang und nach unten gebogen; beim Großen Brachvogel (Numenius arquata) ist er dreimal so lang wie der Kopf. Mittellang ist er beim Wasserläufertyp und beim Strandläufertyp. Letzterer hat dafür aber kürzere Beine. Dann gibt es noch den kurzschnäbeligen Steinwälzertyp und die Wassertreter, die wie Enten schwimmend leben und eher kurze Beine und mittellange Schnäbel haben. Die Schnäbel dienen ihnen als Werkzeuge, um nach Nahrung zu stochern und Steine umzudrehen.
Etwa 40 Schnepfenvogelarten kommen in Deutschland vor, davon zwölf Brutvogelarten und 14 regelmäßige Gäste. Bekannt sind die mit ihrem rotbraunen, dunkel gebänderten und gefleckten Gefieder äußerst gut getarnte Waldschnepfe (Scolopax rusticola, Größe etwa 35 cm), die fast durchweg braun gefiederte Bekassine (Gallinago gallinago, Größe etwa 26 cm) oder auch die Uferschnepfe (Limosa limosa, Größe etwa 44 cm), deren Männchen im Prachtkleid („Hochzeitskleid“, das Vögel zur Paarungszeit tragen, um bei den Weibchen bessere Chancen zu haben) mit einem rotbraunen Vorderkörper sowie einem weißen Bauch und Schwanz mit breiter schwarzer Endbinde um die Gunst der Weibchen werben.
Die Pfuhlschnepfe (Limosa lapponica, Größe etwa 40 cm) hat einen leicht aufgebogenen Schnabel, einen schwarz-weiß gebänderten Schwanz, im Prachtkleid sind Kopf und Unterseite des Männchens ziegelrot. Brachvögel (Gattung Numenius) wie der Große Brachvogel (Größe etwa 55 cm) haben einen abwärts gekrümmten Schnabel, die Weibchen sind größer als die Männchen, so konkurrieren sie nicht um die gleichen Nahrungsressourcen. Zu den Wasserläufern (Gattung Tringa) zählt der Rotschenkel (Tringa totanus, Größe etwa 29 cm) mit seinen namensgebenden roten Beinen und dem graubraunen, dunkel gesprenkelten Gefieder; er ist im Flug gut an den breiten weißen Rändern der hinteren Flügel zu erkennen. In seinen Restpopulationsvorkommen in Süddeutschland bevorzugt er Gebiete mit hohem Grundwasserstand. Mehr ein Wintergast an den deutschen Küsten ist der Steinwälzer (Arenaria interpres, Größe etwa 24 cm), der im Prachtkleid ein schwarz-weiß-rostrot gefärbtes Gefieder und orangefarbene Beine hat. Auf seiner Nahrungssuche dreht er mit schnellen Kopfbewegungen Muscheln, Tang und Steine am Meeressaum um. Recht auffällig mit den abstehenden Halskrausen und Ohrbüscheln sind die Männchen der Kampfläufer (Philomachus pugnax, Größe etwa 30 cm) im Prachtkleid. Ansonsten zeigen die Kampfläufer eine große Vielfalt an Farb- und Musterkombinationen. Bei ihrer Balz tragen die Männchen in Balzarenen „Turniere“ aus, um die Weibchen zu beeindrucken. Der Alpenstrandläufer (Calidris alpina, Größe etwa 20 cm) gehört zur Gattung der Strandläufer (Calidris). Er ist einer der häufigsten kleinen Strandvögel an unseren Küsten und brütet auch in Deutschland. Das Prachtkleid des Männchens ist an der Oberseite rotbraun gefärbt und durch einen schwarzen „Schild“ am Bauch gekennzeichnet. Der im Prachtkleid ziegelrote Knutt, auch Knuttstrandläufer genannt (Calidris canutus, Größe etwa 22 cm), ist an unseren Küsten ein Wintergast. Ebenso der Sanderling (Calidris alba, Größe etwa 21 cm), der im Winter an sandigen Stränden mit den Wellen hin- und herläuft und angespülte Kleintiere aufpickt.
Die Bekassine (Gallinago gallinago, Größe etwa 26 cm) bevorzugt Feuchtwiesen und großräumige Verlandungs-zonen als Lebensraum. Sie kann leicht mit der dem Jagdrecht unterliegenden Waldschnepfe verwechselt werden. Im Gegensatz zur Waldschnepfe trägt sie hingegen eine Längsstreifung am Kopf.
Schnepfenvögel unter Druck
Zu den Hauptbedrohungen der Schnepfenvögel zählen gegenwärtig einhergehend mit der Entwässerung von Feuchtgebieten die Lebensraumverluste in den Brut-, Migrations- und Überwinterungsgebieten, während erhöhter Jagddruck und ungünstige Klimafaktoren ihre Überlebenskrise noch verschärfen (Liu et al. 2018, Dhanjal-Adams et al. 2019). Viele Arten sind bereits vom Aussterben bedroht oder befinden sich in weiteren Gefährdungskategorien der Roten Listen.
Schnepfen im Jagdrecht – mit Blick auf die Waldschnepfe
Schnepfenvögel unterliegen dem Naturschutzrecht und sind auf nationaler wie internationaler Ebene geschützt. Lediglich die Waldschnepfe darf in Deutschland bejagt werden; sie wird im Bundesjagdgesetz in der Gruppe des jagdbaren Federwildes gelistet. Gemäß § 2 Bundesjagdgesetz (BJagdG) zählt die Waldschnepfe zu den jagdbaren Arten und darf vom 16. Oktober bis zum 15. Januar eines Jahres bejagt werden. In zwei Bundesländern gilt für die Waldschnepfe aufgrund von Bestandsrückgängen eine ganzjährige Schonzeit: in Hessen und Berlin. Für das Jagdjahr 2022/23 wird eine bundesweite Jagdstrecke von 12 014 Stück für die Waldschnepfe angegeben (Deutscher Jagdverband 2024). Wie alle europäischen Vogelarten unterliegt die Waldschnepfe der EU-Vogelschutzrichtlinie (VSRL) und ist dort in Anhang II.1 aufgeführt. Sie darf folglich in allen Mitgliedsstaaten der EU bejagt werden. Außerdem ist die Waldschnepfe in Anhang II der Bonner Konvention von 1983 aufgeführt und somit eine Art mit ungünstiger Erhaltungssituation. Die Waldschnepfe gilt nach § 7 Abs. 2 Nr. 13 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) als besonders geschützte Art. In der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands (Ryslavy et al. 2020) findet sich die Waldschnepfe auf der Vorwarnliste. Daher fordern Naturschutzverbände die Entlassung der Waldschnepfe aus dem Jagdrecht oder aber eine ganzjährige Schonzeit. Waldschnepfen sind eher untypische Watvögel, denn sie leben nicht an der Küste oder in offenen Landschaften, sondern am liebsten in Wäldern. Sie bevorzugen feuchte Auen-, Laub- oder Mischwälder mit Struktur wie Schneisen oder Lichtungen und einer hohen Dichte an Waldinnenrändern als Orte des Balzgeschehens. Über den Brutlebensraum ist weiterhin wenig bekannt. Die Art ist als einzige Limikole nicht an Wasserflächen gebunden, sondern an Waldbereiche, und diese sollten vielfältig und strukturreich sein. Daher ist die Waldschnepfe auch sensibel gegenüber Habitatveränderungen in Richtung homogener Strukturen, wie z. B. Wälder in Reinbeständen. Bereiche mit lichten Beständen, die gekennzeichnet sind von einer ausgeprägten Krautschicht und durchlässigen Hochstaudenfluren mit Zwergsträuchern oder Farnen, kommen ihrem Deckungsbedürfnis entgegen. Waldnahe Wiesen, Stoppeläcker und Anbauflächen mit Wintergetreide sind vor allem auf dem Zug wichtige Nahrungsplätze (Holderried et al. o. J.). Hier können die sonst einzelgängerischen Waldschnepfen auch lokal und temporär in hohen Dichten vorkommen. Waldschnepfen zeigen keinen Geschlechtsdimorphismus. Sie sind äußerst scheu und tarnen sich nahezu perfekt in der Laub- und Streuschicht des Waldbodens – ihre Konturen gehen fast nahtlos in das sie umgebende Falllaub über. Mit ihren langen Schnäbeln, auch Stecher genannt, suchen sie nach Nahrung und nehmen dabei hauptsächlich Regenwürmer (bis zu 80 Prozent der Nahrung) aus dem Boden auf. Aber auch andere kleine Weichtiere wie Insekten, Larven, Spinnentiere, Samen und Pflanzenteile werden von ihr gefressen.