Die Jagd nach dem Echten

| Text: Bastian Fuhrmann |

Auf der Suche nach dem Ursprung des Jagdhundes führt der Weg unweigerlich in die Ardennen. Im belgischen Kloster Saint-Hubert gezüchtet, diente der Sankt-Hubertus-Hund bis ins 16. Jahrhundert königlichen Meuten. In der Mitte der Bundesrepublik findet man mit etwas Glück die Weser Vale Hunt. Ihre Art der reinen Bloodhound-Jagd ist einzigartig in Deutschland. Das Kennel hört auf eine eingeschworene Gruppe leidenschaftlicher Reiter, die der britischen Household Cavalry angehören. Ihr Oberstleutnant: König Charles III.

Die Gentlemen des Turf Clubs in London, nur ein Steinwurf vom Buckingham Palace entfernt, staunten sicher nicht schlecht, als zum alljährlichen Hunt Dinner der Household Cavalry des britischen Königshauses erstmals eine Frau in Form eines Masters erschien. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch Queen Elizabeth II. regierte. Fiona Freifrau von Elverfeldt sollte, wie es alle anderen Master vor ihr taten, von der in Deutschland stationierten Bloodhound-Meute berichten und über das Jagdjahr Auskunft geben. „Zugegeben, ich fuhr mit etwas Aufregung im Bauch nach London. Doch mein Vorgänger, Busso Freise, ein ehemaliger Offizier der Bundeswehr, erleichterte mir den Weg ungemein. Auch mein Vater Peter Vickery, einst Captain der King’s Royal Hussars, unterstützte mich in meinem Vorhaben. Und am Ende geht es ja um unsere Hounds und nicht um mich“, erzählt Fiona Freifrau von Elverfeldt begeistert. Das Ende des Hunt Dinners wurde dann noch gekrönt von einer exklusiven Führung durch die Royal Mews. Sämtliche Transportmittel von Queen Elizabeth II. standen dort. Ob Bentley, Rolls-Royce oder Land Rover. Ihre Kutschen und sogar ihre absolute Leidenschaft: die Pferde.

„In den Bentley durften wir uns sogar hineinsetzen. Durch Zufall stießen wir auf einen Autoatlas in der Rücksitztasche, der mutmaßlich Prinz Philip gehörte. Es war wohl sein Regiebuch. Schließlich fuhr er immer voran und gab den Weg durch London vor, egal, wie gut sich der Chauffeur auskannte, verriet uns der königliche Stallmeister“, erzählt von Elverfeldt mit einem Lächeln im Gesicht. Zurück in Deutschland, kümmert sich die Freifrau zusammen mit Master Rudolf Spellerberg und ihrem Mann Friedrich Freiherr von Elverfeldt um aktuell zwölf Bloodhounds. Die Meute unterstützt die Pferde und Reiter der Weser Vale Hunt, ein Konglomerat mit englischen Wurzeln, das auf mehr als 50 Jahre Historie zurückblickt – und die in ihrer Art des Jagens einzigartig in Deutschland sind. Bis in die 1990er-Jahre waren auch die Pferde der britischen Königin Teil der Meute.

Ein kurzer Abstecher zum Ursprung der Weser Vale Hunt: 1924 gründeten Offiziere des 15. Preußischen Reiter-Regimentes den Senne Parforcejagd-Verein in Paderborn. Jemand empfahl der noch jungen Meute den Kauf von acht englischen Bloodhounds. Gejagt wurde auf Schwarzwild und Fuchs. 1936 verbot jedoch ein neues Reichsjagdgesetz die Parforcejagd auf Wild in ganz Deutschland. Die Offiziere der Armee und zivile Enthusiasten begnügten sich fortan also mit Schleppjagden, die auf rein künstlichen Fährten arbeiteten. 1969 gründeten in Deutschland stationierte Offiziere des britischen Household Cavalry Regimentes daraufhin die Weser Vale Hunt. Denn das sogenannte Drag Hunting war bei ihnen so beliebt wie Minigolf bei Golfspielern. Sie vermissten die Jagd auf der reinen Fährte.

Mit einigen Flaschen Famous Grouse im Gepäck suchten sie schließlich nach dem idealen Austragungsort und schlossen mit Großeigentümern westfälischer Ländereien einen Pakt. Einen, der bis heute hält. Über ein spezielles Gebiet, das sich von der Sennelandschaft am Westhang des Teutoburger Walds aus über das lippische Detmold und Bad Driburg bis nach Höxter und Paderborn erstreckt, ritten fortan britische Offiziere und Freunde unter dem Wappen der Weser Vale Hunt den Bloodhounds hinterher. Tatsächlich kommen viele Gebiete den englischen Shires täuschend nahe. Wurden anfangs noch freiwillige Läufer für die Spurlegung eingesetzt, die sich eine halbe Stunde vorher auf den Weg machten, folgte bald das Pferd. „Im Gegensatz zu herkömmlichen Schleppjagdmeuten jagen unsere Hunde nicht auf einer künstlichen oder aromatisierten und somit viel intensiveren Fährte, sondern auf der natürlichen Spur eines Pferdes“, erklärt von Elverfeldt das strenge Regelwerk der Masters of Draghounds and Bloodhounds Association. „Dazu reiben wir mit einem Baumwolltuch die Hufe und Fesseln des auserkorenen Pferdes ab und halten es anschließend jedem einzelnen Bloodhound unter die Nase. Das spurlegende Pferd samt Reiter, der Quarry, macht sich dann mit einem Vorsprung von ungefähr zehn Minuten auf den Weg und galoppiert über Wiesen, Felder und Bachläufe und überspringt Hecken und gebaute Sprünge“, so von Elverfeldt. Pferd und Reiter harren dann versteckt aus, bis die Hunde den Quarry aufgespürt haben, zusammen mit dem Rest der Meute ist damit die erste sogenannte Line geschafft.

Was wir, während einer folgenden Line, dann aber zu sehen bekommen, fasziniert uns bis heute und demonstriert das Urvermögen und die Genialität des Hubertushundes noch einmal eindrucksvoll: Auf einer vielleicht vor zehn Tagen gedüngten und mit Kuhfladen übersäten Weide reitet das spurlegende Pferd die Form einer Acht, um kurze Zeit später an uns vorbeizugaloppieren und im angrenzenden Wald zu verschwinden. Dann hören wir die Bloodhounds aus der Ferne, tiefdunkel und so typisch im Laut. Allesamt kleben sie mit ihren Nasen am Weideboden. Und tatsächlich: Auch sie laufen der Spur der Acht nach und verschwinden schließlich im Wald. Die reitende Meute passiert uns und erreicht mit den Bloodhounds den Quarry, versteckt im Schatten einer Eiche. Wahrlich meisterhaft! Uns dämmert es, warum dieser Hund den Urtyp des Jagdhundes verkörpert.

„Ihr Urinstinkt und ihre Arbeitsfreudigkeit sind einfach unschlagbar. Am Ende kann unsere Spur sogar ein ande-res, nicht zur Meute gehörendes Pferd kreuzen, die Bloodhounds lassen sich nicht beirren und arbeiten konzentriert auf der richtigen Fährte weiter“, so Master von Elverfeldt.

„Sie schalten alle anderen Sinne kurzzeitig ab. Die Witterung ist alles, woran sie denken, wofür sie arbeiten“, erklärt die 44-Jährige, die sich zusammen mit Rudolf Spellerberg auch um die Reinheit der Bloodhound-Linie kümmert und immer wieder Nachwuchs aus niederländischen und englischen Kennel hinzuzieht.

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