Die Mutter aller Kräuter

| Text: Annette Feldmann |

Der Gewöhnliche Beifuß wächst wild und eher unscheinbar an Wegrändern und Flussufern. Er wird als Gewürzkraut in der Küche verwendet und findet bereits seit Langem Anwendung in der Volksheilkunde.

Wie die meisten Pflanzen, die von jeher viel und gern genutzt werden, ist auch der Beifuß unter zahlreichen Namen bekannt: Besen-, Fliegen- oder Gänsekraut, Melcherstengel, Himmelskehr, Buggel, Männerkrieg oder Weibpass. Das Wort „Beifuß“ selbst stammt vermutlich aus dem Althochdeutschen und bedeutet „schlagen“ oder „stoßen“. Vielleicht, weil das Kraut zerstoßen wurde, um es als Tee oder Salbe zu verwenden.

Einsatzgebiete gab es genug – und schon die Römer, Perser, Ägypter und Germanen nutzten die Blätter und die Wurzel der Pflanze. Bei Harnleiden und vor allem bei Frauenkrankheiten sowie in der Geburtshilfe machte man sich seine anregenden und entkrampfenden Eigenschaften zunutze. Daher stammt auch die Bezeichnung „Mutter aller Kräuter“. Der deutsche Mediziner und Botaniker Leonhart Fuchs schrieb in seinem „New Kreüterbuch“ von 1543: „Dise kreüter gesotten seind seer dienstlich den weibern zu dampff oder schweyßbädern / dann sie bringen jnen jhre kranckheyt / treiben auß das bürdlin und die todten frucht. Sie eröffnen auch die verschlossene muter / brechen und zermalen den stein / und bringen wider den verstandnen harn.“

Beifuß wurde früher zudem als probates Mittel erachtet, um epileptische Anfälle zu verhindern oder abzumildern. „… die alten, abgestorbenen schwarzen Wurzeln davon, sie sollen ein zuverläßig Mittel wider die fallende Krankheit seyn, und im Sommer um Johannistag gesammelt werden …“, so hieß es etwa in der „Onomatologia medica completa“ von 1755, einem volkssprachlichen medizinischen Lexikon. Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein benutzte man die Beifußwurzel, um Epilepsie zu „heilen“. In den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde die Wirkung von Beifuß vom Bundesgesundheitsamt überprüft. Das Ergebnis: „Da die Wirksamkeit bei den beanspruchten Anwendungsgebieten nicht belegt ist, kann eine therapeutische Verwendung nicht befürwortet werden.“ Heute findet Beifuß in der Pflanzenheilkunde hauptsächlich als Tee Verwendung, etwa gegen Bauchschmerzen und Verdauungsbeschwerden oder als Bad oder Öl für beanspruchte Füße. Bereits der römische Gelehrte und Offizier Plinius der Ältere empfahl, Beifuß an Schuhwerk oder Bein zu binden, damit die Füße beim Wandern nicht ermüden.

Als Küchenkraut hat Beifuß bis heute nichts von seiner Beliebtheit eingebüßt. Er ist u. a. mit dem Estragon und dem Wermut verwandt (daher auch die Bezeichnung „Wilder Wermut“), ist jedoch nicht ganz so bitter und schmeckt und riecht ein wenig milder, nach Minze und Wacholder. Als Gewürz finden Triebe und Blütenspitzen Verwendung. Beifuß – getrocknet oder frisch – sollte immer direkt mit in Pfanne oder Topf gegeben werden, da er erst durch die Hitze bzw. das lange Mitgaren seinen vollen Geschmack entfaltet. Er passt besonders gut zu schweren, kräftigen Fleisch-, Wild-, Hülsenfrucht- und Kohlgerichten und sorgt zusammen mit Thymian, Oregano, Salbei und Rosmarin für eine mediterrane Note.

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