Die Scheibenmalerin – Veronika Stürzer bringt frischen Wind ins Brauchtum

| Text: Gabriele Metz |

Ihr Herz schlägt für das Handwerk, wobei sie vor allem auch Künstlerin ist. Die Vielseitigkeit der Kirchenmalerin Veronika Stürzer verblüfft: Ihre neueste Herausforderung findet sie in der Gestaltung von Schützenscheiben. Die Ergebnisse sind beeindruckend.

Eigentlich ist sie Kirchenmalerin und Vergolderin. Genau genommen sogar Malermeisterin. Veronika Stürzer, die ursprünglich aus dem bayerischen Gaißach stammt, pflegt somit ein Kunsthandwerk, dessen Tradition auf das Jahr 200 n. Chr. zurückgeht. Schon in der Lehrzeit zog es die junge Frau stets auf die Baustellen in Kirchen. „Ich halte mich schon immer ausgesprochen gerne in Kirchen auf. Das ist etwas ganz Besonderes und erfüllt mich – bereits in dem Moment, in dem ich meine Arbeitsstätte, die Kirche, betrete – zutiefst mit Ehrfurcht. Auf dem Gerüst entrückt man der eigentlichen Welt und widmet sich voll und ganz seiner Arbeit“, erinnert sich die 35-Jährige an die Zeit, in der sie kostbare Gemälde, Altäre, Figuren und Raumschalen inklusive Stuck in Kirchen restaurierte. Bis eine Stellenanzeige des Deutschen Museums in München ihr Leben veränderte. Vroni, wie Freunde die heute in Miesbach nahe des Tegernsees lebende Künstlerin nennen, arbeitete von nun an als Mitarbeiterin der Museumswerkstätten. Dort bemalt und lackiert sie alles Erdenkliche – bis hin zu überdimensionierten Blattlaus-Skulpturen. Sie genießt die Arbeit in dem 1903 von Oskar von Miller gegründeten Museum, dem größten und bedeutendsten naturwissenschaftlich-technischen Museum der Welt. „Den Wechsel zum Deutschen Museum schuldete ich zum einen meiner Neugierde, zum anderen der Motivation, mich immer weiterzubilden, Neues zu lernen und nie auf meinem Wissensstand zu verharren, meine Profession immer weiter zu verbessern. Und ich genieße es nach wie vor, dort zu arbeiten“, sagt Veronika Stürzer. Die Spezialität des Deutschen Museums sind in der eigenen Werkstatt angefertigte Dioramen, also Schaukästen. Dabei verschmelzen die Arbeiten von Bildhauern, Modellbauern, Schreinern und Elektronikern kunstvoll miteinander. „Ein Diorama ist eine Kombination aus 3D (Vordergrund modelliert bzw. maßstabsgetreu gebaut) und 2D (Hintergrund gemalt, aber trotzdem Tiefe erzeugend). Also eine vielseitige und immer neue Herausforderung“, sagt die leidenschaftliche Handwerkerin.

Virtuos mit Pinsel und Stift

Seit 2012 verwirklicht sich Veronika Stürzer nun im Deutschen Museum und liebt diese Aufgabe nach wie vor sehr. Doch parallel dazu bahnte sich schon bald die nächste Herausforderung an. Für einen Bekannten malte Vroni ihre erste Schützenscheibe. Eine Schützenscheibe? Bis dahin verband die Malermeisterin rein gar nichts mit dem Schützenwesen und dem damit verbundenen Brauchtum. Doch das sollte sich nun grundlegend ändern. Das erste Motiv entstand: ein Haifisch mit einer Tuba zwischen den Flossen! Kurios? Sicherlich. Aber auch Auftakt zu einer neuen Ära, mit der Vroni seitdem frischen Wind in angestaubte Schützenvereinsstuben bringt. Vorbei die Zeiten von Fuchs und Hase, Folklore und Idyll … – Die Bayerin, die virtuos mit Pinsel und Stiften umgeht, legt Wert auf einen persönlichen Bezug zu Motiv und Auftraggeber. Gefällt das Endergebnis schließlich auch noch dem neuen Schützenkönig, ist die Herausforderung gemeistert. 30 bis 40 Stunden investiert Vroni mitunter in eine kunstvoll gestaltete Scheibe. Dabei zählen vor allem kreative Motive, Detailgenauigkeit und Präzision. Und das vom Aufbringen der ersten Grundierung über die Konturierung bis hin zum Auftragen der zahlreichen Farbschichten. Die Tiefe, die beispielsweise ein lebendig wirkendes Gesicht auf der Schützenscheibe erfordert, erzielt sie mit Lasuren. Wasserfeste Buntstifte setzen punktuell Highlights und sorgen für das gewisse Funkeln in den Augen. Eine Aufgabe, die Vronis Leidenschaft beflügelt und zudem Kontinuität garantiert. Denn die am Rand der Ehrenscheiben vermerkten Spender und Sieger sind für sie zukunftsweisend. Der Sieger der regelmäßig wiederkehrenden Veranstaltungen der Schützenvereine – wie des Neujahrsschießens, des Nikolausschießens oder des Königsschießens – stiftet die nächste Scheibe und ist somit zugleich Vronis neuer Auftraggeber.

Das Beste – auf meine Art

Die größte Herausforderung der Scheibenmalerin liegt darin, den eigenen Ansprüchen zu genügen. Und die sind extrem hoch. „Solange ich mit einer Scheibe nicht zufrieden bin, geht sie auch nicht an den Kunden raus. Da mag kommen, was will!“, versichert Vroni. Gleichzeitig will sie die Schützenscheibenkunst entstauben und ins Hier und Jetzt bringen. Dabei stehen neue, moderne Motive im Fokus – stets in einer Wechselbeziehung zum Auftraggeber oder zu der umliegenden Region und ihrer tief verankerten Traditionsverbundenheit. „Und es sind ja nicht nur Männer in Schützenvereinen aktiv, sondern ebenfalls Frauen. Auch ihnen sollen meine Schützenscheiben gefallen“, betont Vroni, in deren Heimat fast jedes Dorf auch einen Schützenverein hat und das Brauchtum lebt. So betrachtete die begnadete Künstlerin von klein auf die Scheiben, die an den Wänden der Vereinsheime hingen. Sie studierte verschiedene Motive, Verzierungen und Details und malte sich gleichzeitig persönliche Umsetzungen aus. „Das mache ich übrigens noch heute, ganz automatisch und ausgesprochen gerne. Ich lasse mich inspirieren, fotografiere Details und baue sie dann vielleicht irgendwann in eines meiner Kunstwerke ein. Eigentlich male ich so, wie ich koche: Ich schaue mir verschiedene Rezepte an, nehme von allem das Beste und mache es dann so, wie ich will – auf meine Art“, lacht Vroni.

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