Die vergessenen Waldjäger

| Text: Dieter Stahmann |

Ein unbekanntes Zeitalter zwischen Eiszeit und Neolithischer Revolution (Mesolithikum)

Zwischen dem Ende der Eiszeit um 9 600 v. Chr. und dem Beginn der Landwirtschaft mit der Neolithischen Revolution um 5 000 v. Chr. lag ein Zeitalter, das im Geschichtsbewusstsein fast vergessen ist. Die Gründe dafür sind der Mangel an archäologischen Funden und ihre geringe Attraktivität. Dabei war die Mittlere Steinzeit (Mesolithikum) oder Nacheiszeit eine Periode, in der die Menschen unter mit der Gegenwart vergleichbaren Umweltbedingungen von Jagd, Fischerei und Sammeln lebten. Ihr Jagdwild war auch damals Rotwild, Reh- und Schwarzwild und dazu etwas seltener Auerochse und Elch. Es waren diese Jäger, die in fast 5 000 Jahren den vegetativen Übergang von der Eiszeit (Pleistozän) zum gegenwärtigen Klima (Holozän) bewältigten und in dieser Zeit die Art der Jagd entwickelten, wie wir sie heute kennen.Nachdem es bereits in der letzten Phase der Eiszeit etwas wärmere Perioden gegeben hatte, stiegen seit 9 600 v. Chr. die Temperaturen über einen kurzen Zeitraum um sechs Grad an, womit sie höher lagen als heute. Die Folge war eine langsame Veränderung der Vegetation. Zunächst entstanden in Mitteleuropa lockere Kiefern- und Birkenwälder. Auch die Fichte breitete sich aus. Mit dem Anstieg des Meeresspiegels um etwa 7 000 v. Chr. wurden die großen Flüsse zurückgestaut, und es entstanden Seen und Sumpfniederungen. In dem feuchteren Klima wanderten die Laubbäume wie zuerst Hasel, dann Eiche, Ulme, Linde und Esche ein und bildeten einen dichten Mischwald.

Während die Rentierjäger der Norddeutschen Tiefebene den Rentieren gefolgt waren und sich nach Norden bis nach Schweden zurückzogen, standen die verbliebenen Menschen in den neuen Biotopen vor veränderten Aufgaben der Ernährung und Lebensführung. Eine gemeinsame Jagd auf Herdentiere der Steppe wie auf Rentier und Pferd in den letzten Phasen der Eiszeit war nicht mehr möglich. Die Jäger mussten sich jetzt auf die Waldjagd einstellen, die eine völlig andere Jagdtechnik erforderte. Der englische Archäologe Steven Mithen beschreibt in seinem Buch „After the Ice“ die Änderungen und ihre Folgen gegenüber der Jagd in der Eiszeit: „Da die Wildtierherden (in der Eiszeit) unvorhersagbare Wanderungen machen konnten, brauchten die Eiszeitjäger alternative Jagdpläne, die sie jederzeit umsetzen konnten. Um diese Probleme zu lösen, war die Information entscheidend – Wissen über den Standort und die Bewegungen der Tiere, über die benachbarten Jägergruppen, über weitere Pläne und was in Krisen zu tun war. Die Kunst, die Mythologie und die religiösen Rituale dienten zur Kenntnis der Verhältnisse und dem ständigen Fluss der Informationen […] Das Leben im dichten Waldland stellte nicht die gleichen Anforderungen. Die Wildtiere wurden jetzt überwiegend in einem 1:1-Verhältnis bejagt; es gab keine Massentötungen und es musste kein Überfluss verteilt werden.“

Nach der Auffassung von Steven Mithen führten die nicht mehr erforderliche Zusammenarbeit der Gruppen und die fehlende Notwendigkeit der ständigen Information zu einem anderen Sozialleben und mit seltenen Ausnahmen auch zum Ende der Höhlenmalereien, obwohl die Jagd immer noch die Existenzgrundlage war. Die Familiengruppen wurden sesshaft und jagten auf Standwild. Sie wechselten oft ihren Lagerplatz, wahrscheinlich saisonal oder wenn die Wildbestände in ihrem Wohngebiet erschöpft waren. Sie lebten hauptsächlich in Zelten, Hütten waren selten. Im Bergland wurden wie in der Eiszeit Höhlen und Felsvorsprünge genutzt, im Flachland wohl Zelte aus Tierfellen. Da auch Fische zu ihrem Speiseplan gehörten, wurden die Lager gern an Seen oder Flüssen angelegt.

Statt Mammut und Waldelefant wurde jetzt das Rotwild die wichtigste Wildart, dazu kamen Reh und Wildschwein und die heute in Mitteleuropa ausgestorbenen Arten Auerochse, Wisent und Elch. Bei Rottenburg am Neckar (Lkr. Tübingen) wurde ein Siedlungsgebiet aus der Zeit um 5 500 v. Chr. ausgegraben, dessen Knochen-Fundobjekte gut das Beutespektrum dieser Periode in ihrer letzten Phase wiedergeben:

Wildart Objekte
Rothirsch 300
Reh 422
Wildschwein 199
Auerochse 81
Biber 108
Haushund 3
Wolf 1
Elch 1
Marder 3
Rotfuchs 29
Hase 1
Vögel 13
Sumpfschildkröte 29
Perlmuschel 1

Die Hauptwaffen waren Pfeil und Bogen mit einer Reichweite von bis zu 50 m sowie die Speerschleuder, mit der Ziele bis zu 30 m erreicht werden konnten. Eine Verbesserung der Wirksamkeit der Pfeile wurde dadurch erreicht, dass man die Pfeile nicht nur an der Spitze, sondern auch an der Seite mit kleinen Feuersteinsplittern (Mikrolithen) besetzte, was eine größere Wunde als bei der Aufpilzung der heutigen Gewehrgeschosse verursachte und eine Nachsuche auf der Schweißfährte erleichterte. Als Jagdhelfer wurde in dieser Zeit auch der Hund verwendet. Welche Aufgaben er bei der jetzt üblichen Einzeljagd hatte, ist nicht genau bekannt, aber wahrscheinlich wurde er bei der Nachsuche und der Verfolgung von angeschossenen Tieren eingesetzt, die im Wald ja viel schwieriger war als in der offenen Steppe. Eine wichtige Erfindung dieser Zeit war das geschäftete Feuersteinbeil, das aber nicht zur Jagd, sondern zum Fällen von Bäumen und zur Holzbearbeitung benutzt wurde. Neben dem Feuerstein wurden das Geweih und die Knochen vom Rothirsch zur Herstellung von Werkzeug und Speerspitzen verwendet.

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