Draußen ist besser
| Text: Bastian Fuhrmann |
Der Mensch nimmt mehr und mehr Lebensraum für sich ein und entfernt sich emotional doch immer weiter von der Natur. Weltweite Studien lassen tief blicken: In Amerika sind die Besucherzahlen von Nationalparks rückläufig, in Japan erkennen Kinder immer weniger Blumen, und in England verstehen sich die Kleinen
mehr auf Pokémon-Charaktere als auf die heimische Tierwelt. Und wie sieht es in Deutschland aus? In Mecklenburg-Vorpommern gibt es zum Glück die Stiftung Wald und Wild. Sie nimmt sich des Themas an und zieht mit Angel und Gummistiefel in den Kampf gegen die Naturentfremdung.
Wann haben Sie das letzte Mal in Richtung Wolken geschaut, um herauszufinden, wann Regen aufzieht? Sicher, Apps machen vieles einfacher – aber ist nicht vielmehr das Wachhalten unserer Sinne existenziell? Ist nicht der Verlass auf unsere Instinkte am Ende das, was Homo sapiens sapiens ausmacht? Sind wir nicht erst auf diese Weise dorthin gekommen, wo wir heute sind? Dass wir Menschen uns merklich von der Natur entfremden, beweisen mittlerweile auch internationale Studien. Ein deutsch-französisches Forschungsteam der Universität Leipzig hat beispielsweise in Nordamerika, Westeuropa und Japan herausgefunden, dass Nationalparks von einem Viertel weniger Menschen besucht werden als noch vor 25 Jahren. Camping- und Wanderaktivitäten sind ebenfalls deutlich rückläufig. Auch die Nachfrage nach Jagd- und Fischfanglizenzen nimmt insbesondere in Nordamerika immer weiter ab. In Kinderbüchern spielt die Natur ebenfalls eine oftmals nur noch untergeordnete Rolle. Abbildungen von Tieren und Naturschauplätzen weichen immer mehr urbanen Landschaften. In Kinderfilmen von Walt Disney und Pixar finden sich seltener Naturbilder als früher und wenn, dann sinkt die Artenvielfalt der gezeigten Tiere von Jahr zu Jahr. Doch die Nähe zur Natur, betont Annette von Karp von der Stiftung Wald und Wild, sei insbesondere bei Kindern so wichtig, da ihre späteren Werte und Vorstellungen gegenüber ihrer Umwelt bereits im frühen Alter geprägt werden. Seit sechs Jahren ist von Karp Geschäftsführerin der Stiftung und leitet das Projekt „Nettis Naturkinder“. Ziel dieses Projektes ist, der Naturentfremdung von Kindern und auch Erwachsenen entgegenzuwirken.
Ein wichtiger Teilaspekt ist auch eine regionale und saisonale Ernährung. Die Fröbel-Gruppe, eine Unternehmensgruppe mit mehr als 200 Krippen, Kindergärten und Horten in ganz Deutschland, war zu Gast bei der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern. Nicht nur Klein- und Schulkinder besuchen hier „Nettis Naturkinder“, sondern auch die Mitarbeiter der Fröbel-Bildungseinrichtungen sollen zukünftig mit „Netti“ nach „draußen“ mitgenommen werden, denn über diese Multiplikatoren erhöht sich die Reichweite der Naturbotschaft „Draußen ist besser“ enorm. „Den Anstoß dazu gab ein Beitrag der HALALI über das Naturprojekt „Bliv NaturligVis“ in Dänemark (siehe HALALI 04 | 2022), bei dem Kindern unverblümt das Zerwirken von frisch erlegtem Wild nähergebracht wird.
Viele Eltern waren natürlich erst einmal geschockt, sogar ein kleiner Shitstorm wurde ausgelöst, ich glaube, auch die Bild-Zeitung hat darüber berichtet“, erzählt von Karp mit einem Lächeln im Gesicht. „Doch es ist nun mal so, der Tod gehört zum Leben dazu. Was wir im Supermarkt, in der Fleisch- und Wursttheke finden, hat irgendwann einmal gelebt. Ich sehe meine Arbeit als wichtigen gesellschaftlichen Auftrag.“
Die leidenschaftliche Jägerin, die seit 13 Jahren im Besitz eines Jagdscheins ist, weiß längst, wie sie für diesen Auftrag die bei vielen Erziehungsberechtigten bestehenden Bedenken ausräumen kann. „Schon das Verständnis für unseren Kurs macht deutlich, wie weit die Lücke zwischen Mensch und Natur auseinanderklafft. Ein Großteil der Eltern denkt tatsächlich, nur weil wir die Kinder auf Bäume klettern lassen, wären wir eine Art Dschungelcamp, dabei machen wir die natürlichsten Dinge der Welt. Andere bekommen Panik, wenn wir den Kindern ein Messer zum Gemüseschneiden in die Hand geben. Bei meinem Besuch in Schulen, bei denen ich die Stiftung vorstelle, wurde ich auch schon begrüßt à la ‚Damit Sie es gleich wissen, meine Eltern leben vegan!‘“, erzählt von Karp mit einem zwinkernden Auge. Doch so schnell gibt die 52-Jährige nicht auf. Die Leidenschaft zur Natur prägte auch ihre Kindheit, und sie möchte einfach weitergeben, was vielen aufgrund bestimmter sozialer Umstände verwehrt ist.