Ein Plädoyer für Unordnung im Wald
| Text: Katrin Burkhardt |
Je strukturärmer der Wald, desto wichtiger ist die Anlage von Äsungsflächen. Waldwildäcker und -wiesen schaffen ein artgerechtes Nahrungsangebot, mindern Verbiss- und Schälschäden und werden ganzjährig angenommen.
Jahrelang bestellen wir nun schon unsere Wildäcker und -wiesen. Von Anfang an dabei war – wie wir ihn inzwischen nennen – unser „Wildacker-Landwirt“ Hermann. Hermann ist eigentlich Handwerker, aber eben auch Landwirt im Nebenerwerb – und dies mit ganzem Herzen und nach alter Schule. Der durch und durch ortskundige Mann arbeitet selbstständig, und so ist es kein Einzelfall, wenn wir bei Revierfahrten feststellen, dass in einem Monat Flächen schon umgebrochen oder andere bereits gedüngt sind. Später im Jahr mulcht er einige Äsungsstreifen, und in die Anlage von Wühläckern, die längst unsere Kirrungen abgelöst haben, ist er natürlich auch eingebunden.
So viel Selbstständigkeit barg anfänglich auch Probleme, was bereits oben vorsichtig mit „alter Schule“ umschrieben worden ist: Disteln? Auf dem Wildacker eine Katastrophe! Brennnesseln? Bloß weg damit! Hermann mag es gerne „schier“, wie er sich auszudrücken beliebt. Was in der Feldmark sicherlich mancherorts zum Problem werden kann, ist auf unseren Flächen mitten im Waldrevier hingegen überhaupt kein Problem. Und so umkurvt Hermann inzwischen widerwillig Brennnessel- und Distel-horste an den Rändern unserer Äsungsflächen. Umkurven – das barg das nächste Problem, da zu sei-nem Verständnis auch noch die gerade Furche gehörte. Aber inzwischen sind wir uns einig und pflegen folgende Prinzipien:
Grundsätzlich sollten Wildäcker und -wiesen mosaikartig über das Revier verteilt sein. Viele kleine Flächen sind wertvoller als wenige große, denn so werden Wildkonzentrationen vermieden, und das Wild kann Störungen ausweichen. In der Regel haben diese Flächen eine Größe von 0,1 bis maximal ein Hektar und sollten auf die Bedürfnisse der vorhandenen Wildarten ausgerichtet sein. Auch hier galt es, Überzeugungsarbeit zu leisten, denn diverse Flächen fielen für Hermann in die
Rubrik „lohnt sich nicht“ oder „viel zu klein“.
Waldwildäcker und -wiesen liegen möglichst nahe an den Einständen, damit eine hohe Ausnutzung gewährleistet ist. Viele Waldwildäcker sind häufig „verwilderte“ Äcker, ehemalige Waldweiden oder ungenutzte Holzlagerplätze. Ein gewisses Maß an Bearbeitungsintensität muss dort gegeben sein, da-mit die Flächen auch jagdwirtschaftlich genutzt werden können. Andererseits sollten sie extensiv be-wirtschaftet werden: Masseleistung ja, aber nicht um jeden Preis (Hermann legt die Stirn in Falten). Denn neben ihrer eigentlichen Bestimmung können mehrere kleine, über das Revier verteilte Äsungsflächen wichtige ökologische Funktionen übernehmen: Sie vernetzen Biotope und stellen abwechslungsreiche Trittsteine dar. Dies gelingt aber nur, wenn nicht neue (landwirtschaftliche) Monokulturen auf diesen Flächen entstehen, sondern einem abwechslungsreichen Pflanzenbestand Raum gegeben wird. Dabei duldet der Heger auch andernorts unliebsame Pflanzen.
Die Mischung macht’s
Daueräsungsflächen besitzen aus Gründen der Wirtschaftlichkeit die größte Bedeutung, da sie pflege-leicht und gleichzeitig ertragreich sind. Eine Kombination aus diversen Grasarten in Mischung mit Klee bietet mehrjährige Äsung, eine unproblematische Aussaat (weitgehend witterungsunabhängig) und eine einfache Folgebehandlung. Wir verwenden beispielsweise Klee-Gras-Mischungen, dazu Wicken und Co.
Für leichte Böden kommt auch eine humusfördernde Gründüngung in Betracht. Ein streifenweises (nicht die ganze Fläche, Hermann!) Schlegeln im Sommer – frühestens Mitte Juli bis Anfang August – mit einem Schlegelmulcher (das Schlegelgut kann auf dem Acker verbleiben oder als Winterfutter geworben werden) oder ein Walzen im Frühjahr erwies sich bei uns als hilfreich und förderlich. Bei einer dem Revier angepassten Wilddichte bietet sich als Daueräsungsfläche ein blühendes Gemisch aus Kräutern und Wildackereintopfarten an, die zumindest zweijährig – bei Verwendung von perennierenden (mehrjährigen) Arten oft auch dreijährig – genutzt werden können. Die Anzahl summender und brummender Wildbienen, Schmetterlinge und Hummeln begeistert uns dabei ebenso wie der An-blick äsender Schalenwildarten oder Hasen!