Eine Jagd-Odyssee in Neuseeland

| Text: Jonas Nørregaard |

Es ist in der Tat das „andere Ende der Welt“: Kaum ein Jagdland liegt so weit von Europa entfernt wie Neuseeland. Und doch kommt uns die Tierwelt dort bekannt vor: Rothirsch, Gams, Wildschwein – alle wurden sie hier ausgesetzt. HALALI-Autor Jonas Nørregaard hat in Neuseeland auf eigene Faust gejagt.

Prolog

April 2020. In zwölf Stunden geht der Flug. Pass in der Tasche, Ausrüstung abgestimmt, Fitness vorhanden, Schüsse auf nahe und weite Distanz geübt, alles abgehakt. Die Termine sind bestätigt, das Netzwerk läuft. Monate der Vorbereitung liegen hinter mir, jetzt soll alles Wirklichkeit werden. Die Tasche ist gepackt, ein Monat voller Abenteuer in Neuseeland wartet. Es kann losgehen! Vollbremsung! Der Premierminister hält eine Pressekonferenz ab, und Dänemark fährt alles runter – die Welt fährt alles runter! Der Abenteuermonat zerfällt zu einem Häuflein Nichts. Die Tasche bleibt erst mal für längere Zeit stehen – gepackt, bereit, falls dieser surreale Zustand namens „Corona“ plötzlich enden sollte. Aber wie wir alle wissen: Der Moment lässt auf sich warten. Ich entpacke die Tasche und verstaue den Inhalt wieder, gemeinsam mit meinen Träumen und Erwartungen.

Schneller Vorlauf – April 2023

Die Tasche steht wieder bereit. Alles fühlt sich an wie vor drei Jahren: Die Liste ist bis zum letzten Detail abgehakt. Doch da ist dieser nagende Zweifel im Hinterkopf, ob das Abenteuer diesmal wirklich beginnt. Wird die Erwartung nochmals zur Enttäuschung und dann wieder Erwartung? Doch diesmal hebt der Flieger ab, und 33 Stunden später setzt er zur Landung auf Neuseelands Südinsel an. Kaum hat das Flugzeug die Küstenlinie passiert, ziehen freundlich aussehende Grasberge unter uns hinweg. Links grüßt der Mount Cook mit seinem schneebedeckten Gipfel, gleich setzen wir in Queenstown auf. Nun beginnt das Abenteuer wirklich. Franz und ich haben einiges vor: von Hirsch bis Wallaby, von Süd nach Nord. Los geht’s!

Südwärts: Regenwald. Der Pfeil fliegt.

Die Blätter unter meinen Füßen rascheln, aber wenn ich mich wie ein Tai-Chi-Künstler bewege, komme ich lautlos voran. Langsamer als der Minutenzeiger einer Uhr schiebe ich mich voran, in einer Stunde habe ich kaum einige Hundert Meter zurückgelegt. Mannshohe Farne, südliche Birken, Lianen und andere Pflanzen, die ich noch nie gesehen habe, formen einen Irrgarten, aber glücklicherweise funktioniert das GPS auf meiner Uhr. Der Bogen liegt in der Hand, ich lausche. Da: ein Röhren in einem Habitat, das in keiner Weise dem entspricht, was Rotwild bevorzugt. Aber hier, in der südlichen Hemisphäre, scheint dies das optimale Biotop zu sein. Blätter knistern, Äste knacken, ich halte augenblicklich still. Mein Herz setzt einen Schlag lang aus.  Ich halte den Atem an und sinke langsam auf die Knie. Das Geräusch kommt rasch näher. Ich erkenne jetzt einen dunklen Schatten, der direkt auf mich zuhält. Ich fasse den Bogen fester, lege den Pfeil auf die Sehne …

Franz und ich sind vor gerade mal zwei Stunden aus dem Auto gestiegen. Wir hatten die ersten Tage darauf verwandt, das neuseeländische Rotwild zu überlisten. Der Zeitpunkt hätte nicht besser sein können: Wir waren direkt zu Beginn der Hirschbrunft auf der Südinsel angekommen. Bis jetzt hatten wir uns auf die Bogenjagd konzentriert, und mehrere Male hätte es beinahe geklappt – aber eben nur beinahe. Der Hirschruf war im Dauereinsatz, Franz hatte den Code des Wildes dechiffriert und einige längere „Gespräche“ mit brunftigen Hirschen geführt. Nach fünf Tagen der „Beinahe-Chancen“ hatten wir beschlossen, ab jetzt mit der Büchse zu jagen. Unser neuer Freund (ein Schaffarmer, den wir getroffen hatten) hatte uns großzügig eine Hütte als Wohnung überlassen und uns zudem erlaubt, sein Land zu betreten, sodass wir einige dahinterliegende öffentliche Reviere erreichen konnten, die noch unbejagt waren. Eben dieser Farmer hatte uns erzählt, dass er vor einigen Tagen in just dem Wald, den ich gerade betrat, ein wahres Orgelkonzert gehört hätte.

Franz und ich waren sofort gemeinsam losgezogen, kamen aber rasch überein, dass zwei Menschen einfach viel zu viel Lärm machten. So war er mit seiner Büchse zum Waldrand zurückgekehrt, ich setzte meine Pirsch mit dem Bogen fort. Möglicherweise würde ich so Rotwild Franz’ Stand am Waldrand zudrücken.

Der schwarze Schatten im Wald hat Gestalt angenommen. Es ist kein Hirsch, sondern ein wildes Schwein, das im Zwielicht des Regenwaldes riesengroß scheint. Es muss ein Keiler sein, der da einen Wechsel hält, der ihn jeden Moment 15 Schritt vor mir passieren lassen muss. Als er kurz hinter einen Farnwedel taucht, spanne ich den Bogen, finde automatisch mit dem Absehen sein Blatt, schwinge im Troll leicht vor und lasse los. Der Pfeil fliegt. Die kleine Leuchtdiode in der Nocke glimmt auf, zieht eine Leuchtspur auf das Wild zu. Ich höre, wie der Pfeil am Blatt aufschlägt.

Sie finden den Artikel spannend und möchten ihn gern weiterlesen?
Dann lohnt es sich, das ganze Heft zu kaufen.