Einen Sommer lang

| Text: Detlev von Liliencron |

Zwischen Roggenfeld und Hecken Führt ein schmaler Gang; Süßes, seliges Verstecken Einen Sommer lang. Hat mit Ähren sich das Mieder Unschuldig geschmückt, Sich den Hut verlegen nieder In die Stirn gerückt. Noch ein Blick in Weg und Weite, Ruhig liegt die Welt, Und es hat…

Zwischen Roggenfeld und Hecken
Führt ein schmaler Gang;
Süßes, seliges Verstecken
Einen Sommer lang.

Hat mit Ähren sich das Mieder
Unschuldig geschmückt,
Sich den Hut verlegen nieder
In die Stirn gerückt.

Noch ein Blick in Weg und Weite,
Ruhig liegt die Welt,
Und es hat an ihre Seite
Mich der Sturm gesellt.

Wenn wir uns von ferne sehen,
Zögert sie den Schritt,
Rupft ein Hälmchen sich im Gehen,
Nimmt ein Blättchen mit.

Finster kommt sie langsam näher,
Färbt sich rot wie Mohn;
Doch ich bin ein feiner Späher,
Kenn die Schelmin schon.

Zwischen Roggenfeld und Hecken
Führt ein schmaler Gang;
Süßes, seliges Verstecken
Einen Sommer lang.

Detlev von Liliencron
(* 1844; † 1909)