Frank und frei – Frank van Driel liebt das Spiel mit der Wahrnehmung

| Text: Gabriele Metz |

Ein Foto oder vielleicht doch ein Gemälde? Diese Frage stellt sich der Betrachter unweigerlich, wenn er die Werke des niederländischen Kunstfotografen Frank van Driel betrachtet. Tatsächlich sind es ausschließlich Fotografien. Allesamt mit Tageslicht aufgenommen, ohne jegliche nachträgliche Bildbearbeitung. So faszinierend die Technik, so verblüffend sind die Motive des leidenschaftlichen Jägers und Naturliebhabers, der vor Kurzem seinen ersten Bildband „To Be Frank“ veröffentlicht hat.

Der Weg zum niederländischen Kunstfotografen Frank van Driel führt durch ein Nadelöhr. Genau genommen über eine ausgesprochen schmale Steinbrücke, die selbst einem geübten Fahrer Nervenstärke abverlangt. Diese gehört zu den Überresten des mittelalterlichen Klosters Het Pand, im Herzen von ’s-Hertogenbosch. In dem geschichtsträchtigen Gemäuer befindet sich seit 2009 das Atelier des Künstlers, der mit seinen fotografierten Stillleben internationale Erfolge feiert und aktuell seinen ersten Bildband veröffentlicht hat. Doch wo befindet sich der Eingang? Als sich eine kleine Holztür im Mauerwerk öffnet und ein Mann mit Poncho und Haardutt hervortritt, lüftet sich das Geheimnis. Diese Tür ist der Eintritt in eine andere Welt, fernab des quirligen Lebens der Hauptstadt der niederländischen Provinz Noord-Brabant, die zugleich der Geburtsort des berühmten Malers der Spätgotik und Renaissance, Hieronymus Bosch, ist.

Es ist ein Ort der Ruhe und Kontemplation. Allerdings auch ein Ort des kreativen Chaos. Der kleine, wohlig warme Raum gleich links neben der Eingangstür, in dem sich van Driel am allerliebsten aufhält, erinnert ein wenig an die Zauberwelt von Harry Potter. Von der Decke baumelt ein Rabe. Auf der Fensterbank türmen sich Steine, Nüsse, Holzstücke und Gläser. Auf dem Tisch daneben stehen grünlich schimmernde Flaschen mit ballonförmigen Bäuchen. In einer Silberschale stapeln sich Austernschalen, deren Inneres kunstvoll bemalte Keramik ziert. Steingut, getrocknete Früchte, antikes Porzellan, Zinnkännchen, eine historische Waage mitsamt Gewichten, Bilderrahmen, Kerzenständer, Spitzenstoffe … und inmitten alledem: ein Schreibtisch mit Rechner, Verstärker und Lautsprecherboxen. Geschichte trifft auf Modernes. Eine Verschmelzung, die sich auch in den Werken des 55-Jährigen wiederfindet.

Geschichten auf den zweiten Blick

„Möchten Sie einen Bossche Bollen probieren?“, fragt van Driel und zeigt auf zwei jeweils sage und schreibe zwölf Zentimeter Durchmesser umfassende Kugeln. Die mit Schokolade überzogenen und üppig mit Schlagsahne gefüllten Windbeutel sind eine Spezialität der Region und schmecken unwiderstehlich gut zum starken Kaffee. Doch sie sind nicht die einzige außergewöhnliche kulinarische Spezialität, die van Driel schätzt, doch dazu später mehr. Erst einmal geht es ins Obergeschoss. Dorthin führen schmale Klostergänge und mehrere steile Treppenaufstiege. Oben angelangt, pfeift der Wind durch das historische Gebälk. Um einen Stützbalken türmen sich Bücher. „Die nehmen die Luftfeuchtigkeit auf“, schmunzelt van Driel. Kühl ist es hier in dieser Jahreszeit. An den Wänden hängt Fotokunst vom Feinsten. „Wissen Sie, was das ist?“, fragt der Fotograf und zeigt auf ein Foto, das eine Schale mit leuchtend roten Flusskrebsen, einem Bauernbrot und gelblichen geäderten Gebilden in einem Tongefäß zeigt. „Innereien?“ – „Fast richtig! Es ist der Rogen eines besonderen Fisches, den man früher als Delikatesse schätzte“, erklärt der Mann, dessen Vorfahren der Fischerei und der Jagd verschrieben waren. Ein Erbe, das er selbst mit Leben füllt. Als leidenschaftlicher Jäger verbringt er viel Zeit im eine halbe Stunde von ’s-Hertogenbosch entfernt gelegenen eigenen Revier. „Freitags zur Jagd zu gehen ist für mich etwas Besonderes. Das ist ein zusätzlicher freier Tag. Ein Stückchen mehr Wochenende – ein Secret Holiday“, lacht van Driel. In seinem Revier leben viele Schwäne, die der Vater von drei eigenen und drei weiteren Patchworkfamilien-Kindern auch bejagt. „Es sind so viele Schwäne, dass es zu einer massiven Verunreinigung der Weiden kommt. Die Kühe fressen das Gras dann nicht mehr. Deshalb ist es sinnvoll, die Anzahl der Schwäne zu kontrollieren“, sagt der jagende Künstler. Und so kommt es durchaus vor, dass er Gäste mit Schwanen-Carpaccio verwöhnt und seine Kinder, von denen zwei zurzeit den Jagdschein machen, mit Schwanen-Sandwichs in die Schulpause gehen. Schwäne sind übrigens auch Thema eines Foto-Kunstwerks, das nicht etwa Leonardo da Vincis „Leda mit dem Schwan“ zeigt, sondern eine luftig bekleidete junge Frau mit langen blonden Haaren, die einen erlegten jungen Schwan mit noch nicht ganz weißem Gefieder in der rechten Hand hält und nachdenklich aufs Wasser blickt.

Still und doch in Bewegung

Hinter einem Tisch mit nostalgischer Stuhlgruppe und Schreibmaschine aus Großvaters Zeiten ziehen zwei Fotodrucke die Aufmerksamkeit auf sich. Sie zeigen die Rücken zweier unbekleideter Frauen, die ihre Haare durch die Luft zu wirbeln scheinen. Die beiden Akte repräsentieren eine weitere Stilrichtung, die van Driel zurzeit mit Begeisterung verfolgt: Stillleben, die sich in Bewegung befinden und somit im Grunde ein künstlerisches Paradoxon verkörpern. Doch gerade dieser vermeintliche Widerspruch reizt den Niederländer, und die technische Umsetzung ist überzeugend. Hier offenbart sich das Spiel mit der Wahrnehmung überdeutlich, das für van Driel so charakteristisch ist. Er reizt die Facetten der menschlichen Wahrnehmung aus, verblüfft bei jedem seiner Werke mit unerwarteten Details, die sich meist nicht direkt auf den ersten Blick offenbaren. Gleichzeitig erzählt er mit seiner Kunst Geschichten, durch die der Betrachter ganz neue Erfahrungen gewinnt. So verschmelzen Elemente der Vergangenheit mit jenen der Gegenwart und mitunter auch mit Elementen der Zukunft. Die hohe Passion für einen unverwechselbaren Purismus, die Geschichte und die Natur sind stets erkennbar.

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