Freizeitvergnügen mit Nährwert

| Text: Dr. Volker Pesch |

Imkern liegt voll im Trend. Auf dem Land und sogar in den Städten widmen sich immer mehr Menschen dem goldenen Saft. Doch intensive Landwirtschaft und Krankheiten machen den Bienen zu schaffen. Für diesen ersten Teil seines Beitrags hat HALALI-Autor Dr. Volker Pesch einen konventionell arbeitenden Imker besucht.

Der Erfolg dieses Romans hat alle überrascht: Maja Lunde erzählt in „Die Geschichte der Bienen“ vom existenziellen Band zwischen Bienen und Menschen. Das hört sich eher nach Nischenliteratur an. Doch die Verkaufszahlen sprechen eine andere Sprache: Der Roman ist in Deutschland das meistverkaufte belletristische Buch des Jahres 2017. Wer den Markt kennt, der weiß, dass nicht die literarische Qualität allein über Erfolg und Misserfolg eines Titels entscheidet. Aber auch nicht nur der Zufall.

Ein Buch muss vielmehr das richtige Thema zur richtigen Zeit bringen. Und das ist hier gleich in dreifacher Hinsicht gelungen: Erstens ist das dramatische Insekten- und Bienensterben über die Medien ins allgemeine Bewusstsein gehoben worden, zweitens sind die Deutschen große Honigfreunde, und drittens beschäftigen sich immer mehr Menschen mit dem Imkern. Aus dem Rentnerhobby von einst ist eine hippe Freizeitbeschäftigung mit Nährwert geworden.

Folgerichtig ließ sich der Verlag nicht lumpen und bewarb das Buch in den Großbuchhandlungen mit Kundenstoppern voller Honiggläser. Möglicherweise war darin Honig aus regionalen Imkereien. Preiswerter wäre eine „Mischung von Honig aus EU-Ländern und Nicht-EU-Ländern“ gewesen. Im besten Fall war es „Echter Deutscher Honig“.

Eine große Marke

Die Marke dürfte hierzulande ähnlich bekannt sein wie „Nutella“ oder „Prinzen Rolle“. Im Unterschied zu diesen stammen Gläser mit dem markanten grün-gelben Etikett aber nicht aus einem Großkonzern, sondern von einem der rund 130 000 deutschen Imker und ihren 820 000 Bienenvölkern. Für die allermeisten ist dies Hobby oder Nebenerwerb, im Durchschnitt hält jeder Imker nur 6,9 Bienenvölker. Ein Volk produziert 20 bis 30 Kilogramm Honig, sodass die deutschen Imker insgesamt zwischen 15 000 und 25 000 Tonnen Honig pro Jahr ernten. Klingt viel, aber dies deckt gerade einmal 20 Prozent des Verbrauchs, die Nachfrage ist deutlich größer: Mit einem Pro-Kopf-Verzehr von 1,1 Kilogramm sind die Deutschen Weltspitze (alle Zahlen: Deutscher Imkerbund e. V., Stand: Februar 2019).

Wer seinen Honig unter der Marke „Echter Deutscher Honig“ verkaufen möchte, muss sich besonderen Qualitätsrichtlinien unterwerfen. Der Honig muss ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland erzeugt werden und naturbelassen sein. Letzteres bedeutet unter anderem, dass der Honig nicht wärmebehandelt wird und ihm weder Inhaltsstoffe entzogen noch zugesetzt werden. Sein Wassergehalt muss unter 18 Prozent liegen. Über die Marke wacht der Deutsche Imkerbund, auch mit Kontrollen als Stichproben oder bei konkretem Verdacht auf Verstöße gegen die Richtlinien.

Unter den Imkern findet diese Praxis nicht nur Zuspruch, unter anderem weil die Lizenzvergabe an die Mitgliedschaft im Deutschen Imkerbund geknüpft ist. Es gibt daher viele Imker, die ihren Honig nicht unter der Marke „Echter Deutscher Honig“ verkaufen, aber deswegen keineswegs schlechtere Qualität produzieren.

Weder Nostalgiker noch Ideologe

Zu diesen Imkern gehört Jürgen. Auf seinem Hof in Vorpommern, der schon lange nicht mehr landwirtschaftlich betrieben wird, hält der über 80-Jährige an die 30 Bienenvölker. Damit gehört er zu den Großen seiner Zunft. Vom Banner neben der Einfahrt lacht eine gezeichnete Biene, die sicher nicht zufällig an die Biene Maja erinnert, neben dem Schriftzug „Honig aus eigener Imkerei“. Als ich auf den Hof fahre, um mir die Imkerei anzusehen, glaube ich ganz kurz, Karel Gott singen zu hören, und drifte in Kindheitserinnerungen ab. Aber ich werde bereits erwartet. Imker, heißt es immer, freuten sich über Interesse an ihrer Arbeit und wären sehr auskunftsfreudig. Ich erkläre daher freiheraus, dass ich über ihn und seine Imkerei schreiben möchte, woraufhin Jürgen mich skeptisch von oben bis unten mustert. „Sie stehen doch bestimmt auf bio oder so was“, sagt er. Ich bin überrascht. Sehe ich so aus? Und ist Honig aus eigener Imkerei nicht irgendwie immer „bio“?

Ein Irrtum, wie ich bald lernen werde. Jürgen führt mich zuerst zu einem sichtlich uralten, hölzernen Bienenhaus. Sein Vater habe ihm das geschenkt, in den 50er-Jahren, erzählt er, damit habe alles angefangen. Die Bienen fliegen zur einen Seite aus und ein, während der Imker vom Inneren des Hauses aus die Beuten behandeln kann. „Beuten“, so nennen Imker ihre künstlichen Gehäuse für Bienenvölker. Die „Hinterbehandlungsbeuten“ waren früher üblich. Sie sind aber weniger komfortabel für den Imker als moderne Beuten, weil sich die mit Waben und Honig gefüllten Rahmen nicht so einfach entnehmen lassen. Das aber muss der Imker gelegentlich zur Kontrolle und schließlich zur Honigernte tun. Auf der Arbeitsplatte im Bienenhaus liegen diverse Werkzeuge, die ein ähnliches Alter haben dürften wie ihr Eigentümer, auch Gänsefedern und nicht eben wenige tote Bienen. Es riecht sehr süßlich.

Jürgen ist weder Nostalgiker noch Ideologe. Gleich neben dem historischen Bienenhaus steht eine ganze Reihe moderner Stapelbeuten aus Styropor. Freimütig erzählt er, dass der Honig daraus zwar zwei bis drei Prozent mehr Wasser enthalte, weil die Dinger nicht atmen. Aber sie seien effizient zu handhaben und extrem pflegeleicht. Trotz seines hohen Alters sieht Jürgen das pragmatisch, die Bienen sollen Honig bringen und der Honig Geld, wenigstens so viel, dass er nicht draufzahlt. In guten Jahren macht er sogar einen kleinen Gewinn.

Allerdings sollte man, denke ich mir, seine Arbeitszeit nicht nach Mindestlohn bewerten. Der Gedanke verstärkt sich noch, als Jürgen mir seine Imkereiräume zeigt. Da sind Wannen und Behälter aus NiRo, aber auch hölzerne Gestelle, mehrere Schränke für dies und das, Regale voller Zubehör und Utensilien. Ich habe schon viele Werkstätten besucht, aber hier sind mir die meisten Dinge völlig unbekannt. Mein Blick fällt auf Kanister mit Gefahrgutsymbol, offensichtlich Chemikalien zur Schutzbehandlung der Bienen und Beuten. In einem anderen Raum lagern Eimer und Gläser voller Honig. Fast weißer Rapshonig steht neben goldgelber Sommertracht, Dutzende Gläser noch ohne Etiketten, aber den Unterschied erkennt auch der Laie. Zum Herbst wird noch der dunkle Waldhonig dazukommen, erzählt Jürgen, gewonnen aus dem Honigtau von Rindenläusen. Er gerät kurz ins Schwärmen. Hier ist alles reine Handarbeit, vieles scheint reichlich improvisiert, wie etwa die ehemalige Kühltruhe zur wohltemperierten Lagerung des Honigs vor der Abfüllung. Ein gewachsener Arbeitsplatz, denke ich, über bald 70 Jahre. Was wohl die EU-Hygieneverordnung dazu sagt?

Wir gehen zurück zum Bienenhaus, Jürgen zeigt mir seine „Weisel“. So heißen die Königinnen, die er hier in kleinen hölzernen Boxen züchtet. Es summt und surrt allüberall: Jürgens Millionen Arbeiterinnen sind emsig. Wenn ich mich konzentriere, erkenne ich, wie sie erst ein paar Meter aufsteigen und dann zielgerichtet in eine Richtung abschwirren. Sie fliegen jetzt die Linden an, erklärt der Imker, bei der alten Meierei. Auf den Internetseiten des Deutschen Imkerbundes habe ich Zahlen gelesen: Für ein Glas Honig müssen die Arbeitsbienen rund 40 000 Mal ausfliegen und dabei eine Flugstrecke von rund 120 000 Kilometern zurücklegen. Jede einzelne Biene startet täglich bis zu 30 Mal und besucht jeweils 200 bis 300 Blüten. Erstaunlich und faszinierend.

Sie finden den Artikel spannend und möchten ihn gern weiterlesen?
Dann lohnt es sich, die Ausgabe 02 | 2019 zu kaufen.