Geteilte Erfahrungen sind doppelt so wertvoll

| Text: Simon K. Barr |

HALALI-Autor Simon K. Barr und Steve Hornady hatten schon länger geplant, in Russland auf mittelkaukasischen Tur zu jagen. Jetzt verwirklichten sie ihr Vorhaben und erlebten gemeinsam eine äußerst herausfordernde Hochgebirgsjagd.

Mit Steve zu jagen, das war schon lange mein Wunsch gewesen. Ich kenne Steve seit acht Jahren, und viele meiner Hochgebirgsabenteuer gehen auf seine Anregung und Inspiration zurück. Diese Reise sollte meine erste gemeinsame mit ihm werden. Leider mussten wir sie erst einmal verschieben. Steve hatte mir lapidar mitgeteilt: „Ich habe mir eine neue Hüfte gekauft und sie mir von meinem Orthopäden einbauen lassen.“ Doch als die Hüfte richtig drin war, wollte Steve sie unbedingt einem Gebirgs-Workout unterziehen – beachtlich, wenn man bedenkt, dass sein 69. Geburtstag in wenigen Wochen bevorstand.

Wir waren schon ziemlich ungeduldig, als das Flugzeug in Mineralnye Vody landete, unweit nördlich der russischen Grenze nach Georgien gelegen. Seit meiner Abreise von zu Hause hatte ich nicht weniger als sechs Waffenkontrollen über mich ergehen lassen müssen, eine jede davon geprägt von gefühlt endloser Untersuchung und mit zahlreichen Stempeln besiegelt. Es war angenehm zu hören, dass wir die erste Nacht in der Stadt verbringen würden.

Ich hoffte auf ein wenig Ruhe und Erholung vor der wahrscheinlich wenig komfortablen vor uns liegenden Fahrt ins Camp. Wir seufzten beide erleichtert auf und erwarteten, dass man uns unsere Betten zuwies. Doch die Hoffnung wurde umgehend wieder zerschlagen: Wir wurden in ein Auto gepackt, und ohne dass wir so recht wussten, wie uns geschah, karrte uns der Fahrer durch die unbeleuchteten Straßen der Stadt, um dann in einer finsteren Seitengasse anzuhalten. Eine Figur streckte die Hand aus dem Dunkel und verlangte unsere Pässe. Ich fand das wenig vertrauenerweckend, doch Steve beruhigte mich, dass das hierzulande völlig normal sei. Er verfügt über einige Russlanderfahrung, und so ergab ich mich in mein Schicksal.

Die Fahrt ging irgendwann weiter durch Nacht und Dunkelheit, nach Süden, in Richtung Kaukasus, bis sie gegen fünf Uhr morgens endete. Es begann gerade hell zu werden, und im ersten Licht konnte ich sehen, was uns erwartete. Es sah vielversprechend aus: Grüne Hügel breiteten sich vor unseren Augen aus, durch den Morgendunst schimmerten dahinter scharfe Grate und herausfordernd aussehende Gipfel. Ein paar Stunden Schlaf waren uns vergönnt, bevor es erst ans Einschießen der Waffen ging und dann daran, unser Gepäck für den bevorstehenden steilen Aufstieg auf ein Minimum zu reduzieren. Den Rest des Tages brüteten wir mit unseren Führern über der Landkarte, suchten nach vielversprechenden Jagdgebieten und legten endlich fest, wo wir unser Camp für die Woche aufschlagen würden. Steve und ich waren uns einig, dass wir gemeinsam jagen wollten. Auch wenn man uns nahelegte, dass wir einzeln und jeder für sich die besseren Erfolgsaussichten hätten: Eine geteilte Erfahrung verdoppelt sich im Wert. Sagt man.

Im Schutz der Dunkelheit des nächsten Morgens stiegen wir aufs Pferd und ritten los. Die Hänge der Hügel, die gestern noch so sanft und freundlich ausgesehen hatten, wurden bald steil, und das eiserne Untergestell meines Sattels drückte sich unangenehm durch das darüber geworfene Schaffell. Der Weg bergauf führte durch Grasland und an einigen verstreut weidenden Yaks vorbei, bis die Bäume seltener wurden und wir uns oberhalb der Baumgrenze befanden. Der Morgennebel war gnädig genug, das zu verhüllen, was noch vor uns lag. Wir ritten den ganzen Tag lang und brachten gut 15 Kilometer und 1 500 Höhenmeter hinter uns. Erholung von meinem unbequemen Sattel gab es nur an den Stellen, die für die Pferde zu steil waren. Dort saßen wir ab und führten die Tiere am Zügel weiter.

Am späten Nachmittag, auf etwa 2 900 Meter Höhe, endete der Ritt. Steve und ich schlugen unser Zelt auf und schoben uns umgehend ein. Es war recht schnell klar geworden, dass unsere Guides nicht von der sonderlich sympathischen Sorte waren: harte, undurchschaubare Burschen, deren Wortschatz im Wesentlichen aus „Los!“ und „Vorwärts!“ bestand. Schlag fünf Uhr nachmittags steckte ich in meinem Schlafsack, auch weil ich mich unmöglich hätte ans Lagerfeuer setzen können. Mit den Blasen, die ich mir auf dem Sattel geholt hatte, konnte ich ausschließlich stehen oder liegen.

Der Schlaf im Zelt und auf dem felsigen Boden war weder für mich noch für Steve so richtig erholsam, aber der Blick aufs Gebirge am nächsten Morgen und die kalte, frische Luft wirkten belebender als jeder Morgenkaffee. Wir hielten uns nicht lange auf; unsere beiden Führer Sasha und Omar wollten uns bei gutem Wetter möglichst rasch an Wild bringen. Beim Aufstieg merkte ich, dass ich auf diese Angelegenheit alles andere als vorbereitet war. Mit Ausnahme meiner nicht allzu lang zurückliegenden Jagdreise nach Nepal (siehe HALALI 02 und 03/2018) hatte ich bedeutend weniger trainiert, als ich es sonst vor einer Hochgebirgsjagd tue. Zudem waren die vergangenen Wochen im Beruf eher hektisch gewesen, so brachte ich noch nicht einmal die richtige Konzentration auf das vor mir Liegen-de auf. Wer je im Gebirge gejagt hat, weiß, dass Konzentrationsfähigkeit hier eine unabdingbare Lebensversicherung ist: Wir standen mitten in einer schier senkrechten Geröllhalde, in der man bei jedem unbedacht gesetzten Schritt nach unten hin abzurutschen drohte.

Während ich mit meinen eigenen Dämonen zu kämpfen hatte, wurde Steve von Muskelkrämpfen geplagt. Der Schmerz war sichtlich quälend, aber mit spartanischer Entschlossenheit und eisernem Willen marschierte er weiter bergauf. Gegen Mittag hatten wir dem Berg weitere 500 Höhenmeter abgerungen. Wir legten eine kurze Rast ein. Unsere Guides hatten vor, kurzerhand auf die andere Seite des Berges zu laufen, um zu sehen, ob sie eventuell auf Wild stießen, das sie uns dann in den Kessel zu unseren Füßen drücken könnten. „Das klappt nie“, so mein Gedanke.

Wir hatten rasch eine passende Position gefunden, uns dort mit guter Auflage eingerichtet und glasten den Talkessel ab. Sollte der Plan wider Erwarten aufgehen, wäre die Situation ideal. Die maximal mögliche Schussdistanz lag bei etwa 200 Schritt. Wir warteten und wachten, bis endlich eine Tur-Geiß und ein Jährlingsbock in den Kessel trollten, und kurz nach ihnen kamen unsere beiden Führer über den Grat. Einen leichten Erfolg würde es heute also nicht geben. Mit leichter Enttäuschung im Herzen stiegen wir zu viert wieder ab. Ich hatte es eilig, ins Camp zu kommen, denn in diesen steilen Geröllhängen wollte ich nicht nach Einbruch der Dunkelheit meinen Tritt suchen müssen.

In der Nacht wurde Steve erneut von Muskelkrämpfen heimgesucht. Am nächsten Morgen beschloss er, einen Ruhetag einzulegen, und schickte mich allein los. Sasha und Omar schonten mich nicht, gönnten mir keine Verschnaufpause, und nach einer harten Stunde waren wir gut 300 Meter über dem Camp. Dort kamen wir an das erste Rudel, aber unser Kundschafter hatte noch ein weiteres Rudel erspäht, das mehr Erfolg zu versprechen schien.

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