Heiße Hirschbrunft in der Baranja
| Text: Oliver Dorn |
Die üppigen Landschaften der kroatischen Baranja gelten als wildreich und ihre Bewohner als gastfreundlich. HALALI-Redakteur Oliver Dorn besuchte mit zwei Freunden die Region an der ungarischen Grenze zur Rotwildbrunft.
„Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen“ – das wusste schon der deutsche Dichter Matthias Claudius im 18. Jahrhundert. Der Zusammenhang von Reisen und Beschreiben ist seitdem längst zu einer litera-rischen Gepflogenheit, ja zum Genre geworden. Was dem Reisenden heute der Reflexion des Erlebten dient, ist dem Leser morgen Unterhaltung und Anregung zugleich. Das wiegt gleich doppelt schwer, wenn die Reise im Kreise zweier Freunde unternommen wird und das gemeinsam Erlebte beim Schreiben wieder lebendig wird.
Die Baranja liegt im Nordosten Kroatiens und gehört zur Gespanschaft Osijek-Baranja. Gespanschaft bezeichnet eine regionale Einheit der Selbstverwaltung, von denen es in Kroatien insgesamt 20 gibt. Die Gespanschaft Osijek-Baranja grenzt an Ungarn, Serbien und das kroatische Slawonien. Die gesamte Baranja ist auch heute noch sehr landwirtschaftlich geprägt, was auf den besonders guten und fruchtbaren Boden und die passenden klimatischen Gegebenheiten zurückzuführen ist. Diese landwirtschaftliche Prägung ist in der Baranja häufig zu spüren, denn kleinere und größere Bauernhöfe finden sich nahezu an allen Ecken. Die Natur in ihrer Vielfältigkeit und Schönheit ist landschaftsprägend, und die Baranja vermittelt einen Eindruck davon, wie es ist, im größtmöglichen Einklang mit der Natur und ihren Anforderungen an den Menschen zu leben. Die ertragreiche Natur der Baranja bietet sich natürlich äußerst gut auch für Jäger und Angler an. Das gesamte Jagdgebiet umfasst circa 26 000 Hektar, wovon allerdings 7 000 Hektar reines Wildschutzgebiet sind. In den weitläufigen Wäldern findet man Wild in fast allen Varianten: Rotwild, Damwild, Muffel- und Gamswild ist ebenso vorhanden wie Axishirsche, Hasen, Braunbären, Wildkatzen, Luchse und Auerwild. Auch Fasane, Rebhühner, Gänse, Enten und Wachteln können mancherorts bejagt werden.
Die kroatische Baranja ist am linken, also nördlichen Ufer der Drau gelegen, einem Nebenfluss der Donau. Der größere Teil der Baranja liegt in Ungarn und bildet dort eine eigene Gespanschaft. Der kroatische Teil Baranjas ist charakteristisch wie ein Dreieck geformt, das von der Donau im Osten, der Drau im Südwesten und der ungarischen Staatsgrenze im Nordwesten abgegrenzt wird. In diesem Dreieck, so heißt es, zieht das Rotwild durch die weitläufigen Felder und Wälder. Wer sich also für die Rotwildjagd zur Brunft interessiere, sei in der Mitte der Region am besten aufgehoben, hatte ich schon von einigen kroatischen Jägerinnen und Jägern gehört.
Den Reiseveranstalter Miroslav Josipovic, genannt Miro, kannte ich über die sozialen Medien. Er ist hauptberuflich als Trockenbauer in Nürnberg niedergelassen – spricht daher gut Deutsch. Er erzählte mir von der Schönheit der Baranja und einem Revier dort, in dem schon der ex-jugoslawische Diktator Tito gejagt hatte. Der Revierpächter, sein Freund Stjepan Dolic, genannt Stipe, verfüge auch über eine passende Unterkunft in einem nahe gelegenen Ort namens Karanac in der Nähe von Beli Manastir. Wir wurden uns einig, und so buchten meine Freunde Boray und Patrick und ich im vergangenen Frühsommer drei Flüge nach Zagreb und reisten mit dem Mietwagen über das gut ausgebaute Autobahnnetz in die beschauliche Baranja.
Die Baranja setzt in ihrer Entwicklung neben der altbewährten Landwirtschaft auch vermehrt auf den Tourismus als zweites Standbein. In diesem Sinne werden bestehende Anziehungspunkte für Touristen ausgebaut und saniert, zudem werden immer neue, meist kleinere Familienhotels, Kureinrichtungen und Freizeitsport-Komplexe gebaut. Und so war es nicht verwunderlich, dass sich unsere Unterkunft in Karanac als top ausgebauter Neubau mit allem möglichen, für eine reine Jagdwoche eigentlich unnötigem, Komfort darstellte. Aber warum nicht? Miro und Stipe erwarteten uns im Haus und begrüßten uns auf das Herzlichste. Auch Stipe spricht gut Deutsch, da er eine Weile in Österreich gelebt hat. Wir brachten die Koffer in unsere Zimmer und saßen auch direkt schon wieder im Auto – da wir sonntags am späten Abend angereist waren, schien alles im Ort schon zu schlafen, daher fuhren wir zwei Dörfer weiter in ein Restaurant, das eigens für uns noch geöffnet hatte. Miro hatte uns eine besondere Spezialität versprochen. Als wir das Restaurant betraten, erfüllte ein Duft nach Paprika und Fisch den ganzen Raum. Es gab eine köstliche ungarische Fischsuppe. Das Besondere daran ist, dass sie mit ganzen, ausgenommenen Fischen gekocht wird. So erhielten wir an schon am Anreisetag einen paprika-, fisch- und grätenreichen Eindruck der regionalen Küche der Baranja.
Zudem liegen das alte Tito-Jagdhaus samt Wirtschaftsgebäuden mitten im Revier auf einer großen Lichtung. Auch dort kann man, wenn man möchte, übernachten – allerdings mit deutlich weniger Annehmlichkeiten. Es dämmert schon, als wir uns im Revier treffen und uns für die Morgenpirsch vorbereiten. Die Brunft sollte hier vom Datum her eigentlich bereits in vollem Gange sein, wir lauschen in die Dunkelheit hinein und hören – nichts. Es ist zu warm. Aber was soll’s, es ist der erste Morgen, und wir sind guten Mutes. Patrick pirscht mit Miro, Boray mit dem ortsansässigen Jäger Istvan und ich mit Stipe. Wir wünschen uns gegenseitig Waidmannsheil und verschwinden sternförmig in drei Richtungen. Es ist noch ruhig im Wald, so gehen wir langsam Schritt für Schritt gegen den Wind auf einer breiten, gemähten Schneise tiefer in den dunklen Wald hinein. Ab und an halten wir inne, lauschen und nutzen die Wärmebildkameras, um nicht versehentlich in Wild hineinzulaufen. Die Schneisen erinnern mich an die Jagd in der Sologne, wo die Reviere ähnlich für die Drückjagd oder die Venerie, hoch zu Ross, erschlossen werden. Hier, in der Baranja, wird allerdings nur gepirscht, oder man wartet eine Weile auf den massiven Hochsitzen, die auf großen Waldkreuzungen stehen, und lauscht in den Wald hinein oder passt das Wild ab, das das frische Gras der Schneisen äst.
So geht es von Schneise zu Schneise. Auf einigen sind Wild- oder Wühl-äcker angelegt, und so treffen wir an diesem Morgen mal auf Reh-, mal auf Schwarzwild, das auf diesen Flächen äst oder nach Fraß wühlt. Als die Sonne schon vom Himmel brennt, kommen wir an einen Kanal, der zwar trocken ist, aber an einigen Stellen durch solarbetriebene Pumpen so viel Wasser führt, dass Sauen und Rotwild diese zum Suhlen nutzen. An diesem Morgen aber bekommen wir weder ein Stück Rotwild in Anblick, noch bemerken wir irgendein Brunftgeschehen. Gegen 09:30 Uhr treffen wir unsere Freunde im alten Tito-Jagdhaus zum Frühstück. Wir genießen den starken Kaffee und tauschen uns aus. Lediglich Boray, der vom bereits betagten Istvan geführt wird, bekam Rotwild – auch starke Hirsche – in Anblick. Allerdings standen alle Stücke im dichten Bewuchs und waren somit nicht frei für einen waidgerechten Schuss. Patrick und Miro haben, wie wir, nur Rehwild und Sauen im Bestand entlang der Schneisen gesehen. Immerhin. Wir verabschieden uns, um etwas Schlaf nachzuholen.