hör iagen mit den hunden

| Text: PD Dr. Simone Schultz-Balluff |

Hörnerklang, Hundegeläut und Jägerschreie
Zur Akustik der Jagd im Mittelalter

Die Jagd im Mittelalter und in der frühen Neuzeit

Der junge Ritter Meleranz befindet sich in dem gleichnamigen Roman aus dem 13. Jahrhundert auf dem Weg zum Hof seines Onkels, König Artus, um dort in dessen Dienst zu treten. Der Weg dorthin ist voller Gefahren und führt immer wieder durch Wälder. Auf einer Freifläche angekommen, reitet Meleranz ein alter Mann entgegen, der sich auf das Jagen versteht (dem was wol ze iade kunt, v. 1921). Schnell stellt sich heraus, dass es sich um den Jägermeister des Königs handelt (sin jägermaister bin ich, v. 1953), denn als dieser ist er eindeutig zu erkennen: Er frt ainen schönen laithund/ an ainem sail sydin./ Ouch hieng an dem halß sin/ ain vil schönes jaghörn,/ das was mit gold beschlagen voren ‚Er führte einen wohlgestalteten Leithund an einem seidenen Seil. Zudem hatte er ein außerordentlich schönes Jagdhorn um den Hals hängen, das vorn mit Gold beschlagen war‘ (vv. 1922–1926). Das Jagdhorn und der Jagdhund kennzeichnen unverkennbar den Jäger, das seidene Führseil und der Goldbeschlag am Horn weisen ihn als den hoch im Amt stehenden Jägermeister aus. Dieser fordert Meleranz schließlich auf, mit ihm auf die Jagd zu kommen: Rit mit mir an disen stunden/ hör iagen mit den hunden ‚Reite nun mit mir und höre die Jagd mit den Hunden‘ (v. 1965 f.). Meleranz folgt dem Jägermeister zu seinen Jagdgehilfen, die mit der Hundemeute bereits auf ihn warten. Er fragt, ob sie einen Hirsch gesehen hätten, und einer der Gehilfen bejaht dies: Den grösten hirß, den ich ye gesach (v. 2022). Nun begibt sich der Jägermeister mit dem Leithund auf die Vorsuche, und als dieser die Fährte ausgemacht hat, werden die Meutehunde geschnallt. Sie verfolgen den fliehenden Hirsch, der allerdings so schnell ist, dass an drei Relaisstationen neue Hunde angesetzt werden müssen. Die Hunde jagen den Hirsch aus dem Wald hinaus auf eine Freifläche, begleitet wird dies vom Blasen des Horns durch den Jägermeister (Unnder wylen bließ er sin horen, v. 2069).

Die Jagdszene im ‚Meleranz‘ wird erstaunlich detailliert ausgestaltet: Es werden die Tageszeit (frühmorgens) und das jagdliche Personal genannt (Jägermeister und Jagdhelfer), zudem wird der Einsatz der tierischen Jagdhelfer (Leithund, Meutehunde) und des Jagdhorns beschrieben. Die gesamte Szene führt deutlich die Jagdstrategie vor Augen: Vorsuche, Hetze, Relaisstationen für frische Hunde, Stellen des Wildes. Dies ist insofern markant, da die gut 200 Verse umfassende Darstellung für den Erzählverlauf des Romans keine Relevanz hat; sie dient lediglich dazu, den jungen Ritter Meleranz an den Artushof zu bringen.

Der Hörnerklang des Jägermeisters, das Geläut der Meute und die deutliche Aufforderung, das Jagdgeschehen hörend zu verfolgen, prägen die Darstellung – die einzelnen akustischen Elemente der Jagdgesellschaft verbinden sich zu einem spezifischen jagdlichen Klangteppich, der in den Wald hineingetragen wird und diese Szene untermalt.

Ausführliche Darstellungen jagdlicher Abläufe, wie hier in dem nachklassischen Artusroman von dem Pleier, begegnen vielfach in der Epik, vor allem die lautlichen Komponenten werden immer wieder aufgegriffen. In der Fachliteratur, die sich mit Anleitungen zur Ausbildung von Jagdhunden, dem Abrichten der Beizvögel, dem Fährtenlesen, Rezepten für Lockmittel oder den Gewohnheiten der Wildtiere befasst, spielt die jagdliche Akustik allenfalls am Rand eine Rolle (z. B. in der Hunde-ausbildung). Die Darstellungen komplexer jagdlicher Abläufe in epischen Texten bieten daher – trotz literarischer Formung und Einpassung – tiefere Einblicke in die zeitgenössische Jagdpraxis und stehen daher in diesem Artikel im Zentrum.

Die Akustik der Jagd

Vor allem im Wald, in dem die Jagd zumeist dargestellt wird, müssen die Orientierung und die Verständigung über das Hören bzw. akustische Signale erfolgen: Der Wald ist kein Schauraum, sondern ein „Raum des Ohrs“ (Schnyder 2008, S. 135), der erst über akustische Momente erfahrbar wird. Dies hat zur Folge, dass im Wald „andere Gesetze, andere Verhaltensregeln, andere Formgesetze“ (ebd., S. 125) gelten. Im Gegensatz also zu denjenigen Orten, die sich durch ihre visuelle Erfassbarkeit auszeichnen, wie z. B. Höfe, Burgen und Städte, muss mit der jagdlichen Aktivität im Naturraum auch ein Wechsel in der Wahrnehmung zum Auditiven hin erfolgen. In der mittelalterlichen Hierarchie der Sinne steht das Sehvermögen an oberster Stelle, dann erst folgt das Hörvermögen. Sobald gejagt wird, dreht sich diese Reihenfolge um: Der Sehsinn wird sekundär, und das Hörvermögen wird zum obersten Sinn. Für die Jagd ist dies insofern zentral, da die Sichtlinie die visuelle Wahrnehmung begrenzt, Klang und Laute können hingegen über weitaus größere Distanzen wahrgenommen werden (Layher, S. 22). Während das Gesehene immer in Distanz zum Betrachter bleibt, erreicht der Klang über die räumliche Ausbreitung die Hörenden unmittelbar: „Das Hörbare drängt in das Ohr und damit in den Körper ein“ (Layher, S. 23) – Klänge werden damit nicht nur hörbar, sondern auch spürbar.

Die besondere Akustik der Jagd wird in den Texten immer wieder beschrieben. Markant ist, dass nicht die Laute des Wildes thematisiert werden, sondern die der Jagdgesellschaft. Die lautlichen Komponenten Hörnerklang, Hundegeläut und Jägerschreie bilden einen Klangteppich, der charakteristisch für die Jagd ist und der die Akustik des Naturraums überformt.

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