Hoppa waidman, frisch vnd hayl, so wirt dir auch dein tayl!

| Text: PD Dr. Simone Schultz-Balluff |

Tipps aus der Satteltasche? Ein handliches Jagdbuch aus dem 15. Jahrhundert im Einsatz

Die Jagd im Mittelalter und in der frühen Neuzeit

 

Wissen über die Jagd – Texte und Bilder

Erst ab dem 15. Jahrhundert wird die Jagd kontinuierlich in Fachtexten thematisiert, für die Jahrhunderte vorher beschränkt sich die jagdliche Fachliteratur auf wenige Beispiele. Die ältesten Texte zur Beizjagd stammen aus dem 13./14. Jahrhundert und sind lateinisch abgefasst. Das Fachschrift-tum zur Jagd auf Haarwild und zur Vogeljagd ist (bis auf ganz wenige Ausnahmen) von Anfang an deutschsprachig.

In den Jahrhunderten zuvor begegnet die Jagd in vielen anderen Textsorten: Im Roman werden höfische Jagden dargestellt, und jagdliches Verhalten wird thematisiert, in Rechtstexten werden die Rahmenbedingungen für die Jagd festgehalten oder konkrete Fälle ausgefaltet (z. B. in Urkunden). Auch die Lyrik, die Chronistik, Predigten und Briefe thematisieren die Jagd und erlauben spannende Einblicke. Daneben geben bildliche Zeugnisse Auskunft über die Jagd in vormoderner Zeit: Zwar sind die deutschsprachigen Fachtexte, im Gegensatz zu den französischen, kaum oder gar nicht bebildert, aber jagdliche Szenen finden sich z. B. auf Jagdteppichen, Wandmalereien, Kronleuchtern, aber auch an den Seitenrändern von religiösen Texten oder von Heilsteppichen.

All diese Quellen zusammengenommen geben einen Eindruck von der Jagd in einer vergangenen Zeit und bilden die Grundlage einer Reihe von Artikeln, an deren Anfang der hier vorliegende steht. Ausgehend von einzelnen markanten Texten oder Textzeugen wird der Themenbereich der Jagd in vormoderner Zeit aufgeschlossen, zudem werden Aspekte der jagdlichen Fachsprache, wie z. B. die Herausbildung und Bedeutung von Fachbegriffen, festen Formeln und Redensarten, berücksichtigt. Hierfür wird auf Text- und Bildzeugnisse aus dem deutschsprachigen Raum zurückgegriffen.

Ein kleines Jagdbuch im Einsatz

Gerade mal die Größe eines Reclam-Heftchens hat eines der aussagekräftigsten Jagdbücher aus dem ausgehenden Mittelalter: Der in der Universitätsbibliothek München unter der Signatur 8° Cod. ms. 354 aufbewahrte Codex ist um 1450 entstanden, misst 15 x 10,5 cm, umfasst 85 Blätter und enthält deutschsprachige Fachtexte zur Jagd, von denen einige hier erstmalig überliefert sind. Das Buch beginnt mit der ‚Älteren deutschen Habichtslehre‘, Arzneien für Jagdvögel und einer einseitigen Anleitung zur Beizjagd mit dem Habicht. Es folgt die ‚Lehre von den Zeichen des Hirsches‘, der eine ganzseitige Federzeichnung vorangeht. Daran schließt sich die älteste Sammlung von deutschsprachigen Waidsprüchen zu Hirsch, Sau, Bär und Hase an, es folgen Texte zu Vogelfang, Hasen-suche, Wolfs- und Fuchsfang. Diverse christliche Segen, Beschwörungsformeln, Schutzgebete und Anweisungen zum Umgang mit Pferden beschließen das Buch.

Der mit Kalbsleder bezogene Holzdeckel zeigt deutliche Abnutzungsspuren, es fehlen zehn der zur Stabilisierung angebrachten sogenannten Buckel, und die Schließe ist defekt. Die Texte stammen von mehreren Schreibern und sind mal mit mehr, mal mit weniger Sorgfalt aufgeschrieben worden. Während die ersten Texte noch reichhaltig verziert sind, zeigen die übrigen Texte keine Verzierungen mehr, vermutlich weil sie nur noch schnell hinzugefügt wurden. Dafür sind extra Seiten frei gelassen worden, die nach Belieben ausgefüllt werden konnten. Diese offene Anlage des Codex, seine handliche Größe und die Abnutzungsspuren weisen darauf hin, dass dieses Buch für den Gebrauch angefertigt wurde – und auch gebraucht wurde. Doch wofür genau?

Wer benutzt ein solches Jagdbuch?

Über den Auftraggeber und den Einsatz des Jagdbuches wissen wir nichts. Der älteste Besitzvermerk stammt erst aus dem 16./17. Jahrhundert: Wolf A Schmidt zue Ebersreit gehört daß Wait Büechell wer mirs stüllt der ist ein dieb vnnd ain Schellm in der heut dis Büechell ist alt 100 Jar (‚Wolf A Schmidt aus Ebersreuth [bei Regensburg] gehört dieses Jagdbüchlein. Wer es mir stiehlt, der ist ein Dieb und ein Betrüger in seiner Haut. Dieses Buch ist 100 Jahre alt‘). Dieser Eintrag zeigt ein Sammlungsinteresse, aber auch eine Wertschätzung gegenüber dem zum damaligen Zeitpunkt gut 100 Jahre alten Jagdbuch.

Ein Sammlungsinteresse kann bereits für die Entstehungszeit um 1450 angenommen werden: Die ‚Ältere deutsche Habichtslehre‘, die ‚Lehre von den Zeichen des Hirsches‘ und die Waidsprüche stammen aus dem 14. Jahrhundert und sind erst Jahrzehnte später in diesem Jagdbuch zusammengeführt worden (Lindner 1956). Die Textauswahl muss im Zusammenhang mit dem jagdlichen Selbstverständnis seines Besitzers gesehen werden.

Markant ist die Zusammenstellung von Texten zur Beizjagd, zur Jagd auf Hochwild (Rot- und Schwarzwild) und Niederwild (Hase), zum Vogelfang und zur expliziten Prädatorenbejagung (Wolf und Fuchs). Damit werden die Bereiche der hohen Jagd, die den Fürsten vorbehalten war, und der niederen Jagd des landsässigen Adels kombiniert (Rösener 2004). Das Profil des Buchbenutzers aus der Mitte des 15. Jahrhunderts ist also weniger das eines Spezialisten auf einzelne Tierarten oder für bestimmte Jagdarten, sondern mehr das eines ‚jagdlichen Allrounders‘. In diese Richtung weist auch die einzige erhaltene ganzseitige Federzeichnung.

Die Abbildung zeigt links einen Jäger mit kurzem Spieß (auch Fangeisen, Schweinespieß oder Jagdspieß; Schlag 1997 I), das Horn blasend, und einen (Leit-)Hund am Riemen. Diverse Bäume und Pflanzen markieren den Naturraum, die kantigen Steinbrocken und Felsen geben einen topographischen Hinweis auf bergiges Gelände, darin verborgen sind ein ungerader Zwölfer und zwei Alttiere. Die Tierkörper sind perspektivisch verkürzt und wurden wohl nach einer Bildvorlage erstellt (Bodemann 2017), besonders markant ist der sich am Windfang kratzende Hirsch. Die sichtbaren roten Lecker beim Alttier unten rechts und beim Hirsch sind ein Zeichen für die Erschöpfung nach der Hetze. Dargestellt werden also mehrere Ereignisse, die nicht gleichzeitig, sondern zeitlich nacheinander stattfinden (Simultandarstellung). Ein Flechtzaun (Andeutung eines Tiergartens, Lindner 1956) beschließt die Szene am unteren Rand und läuft nach rechts in eine Ranke aus, nach links in einen Baum, von dem ein Vogel davonfliegt. In dem Schriftband über dem Jäger stehen die Buchstaben K B R O D, die sich bislang nicht entschlüsseln ließen, wohl aber Namensinitialen sein dürften. Am oberen Rand findet sich mit einer nicht kolorierten und einer kolorierten Weiserhand die Überschrift Das jed puech (‚Das Jagdbuch‘).

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