In letzter Minute!

| Text: Ilka Dorn |

Wenn man einer alten chinesischen Weisheit Glauben schenken darf, findet ein schlechter Anfang selten ein gutes Ende. Doch ob das auch auf die Jagdreise von HALALI-Redakteurin Ilka Dorn an die kroatische Adria so zutrifft, erfahren Sie hier.

Ich war völlig aus dem Häuschen. Endlich schien mein großer Traum zum Greifen nahe. Lange schon wollte ich mir den Wunsch erfüllen und mit meiner Freundin Tanja Dautzenberg zusammen eine Jagdreise nach Sibirien zur Blattjagd auf starke Sibirische Rehböcke unternehmen, doch so richtig klappen wollte es bislang nicht. Aber jetzt lag das Angebot vor mir, ich musste nur noch meine Unterschrift daruntersetzen, und schon würden wir Ende August nach Sibirien fliegen. Ich rief meine Freundin an und lud sie zum Essen ein, um alle Einzelheiten noch einmal mit ihr zu besprechen und ein bisschen zu feiern. Das war am 20. Februar 2022. Vier Tage später befahl ein russischer Despot, zwingendes Völkerrecht mit Füßen zu treten und entsetzliches Leid über die Menschen in der Ukraine zu bringen …

Wir sagten die Reise sofort ab. Mein Traum ausgeträumt, vielleicht für immer, denn ich kann mir heute nicht vorstellen, dass ich es mir jemals wieder wünschen würde, dorthin zu reisen. Eine Jagdreise, egal wohin, kam erst einmal nicht in Betracht. Wir nahmen eine ukrainische Familie bei uns auf und kümmerten uns um andere Dinge. Der Frühling flog nur so an uns vorbei, und als der Sommer sich ankündigte, erwachte bei mir auch wieder die Reiselust.

Eine Alternative zum Sibirischen Rehbock war schnell gefunden. Da ich bislang noch kein Jagdglück auf Muffelwidder hatte, stand diese Wildart noch auf meiner persönlichen Wunschliste. Zeitlich waren wir spät dran und die meisten Möglichkeiten bereits ausgebucht. Da mir die Pyrenäen so gut gefallen hatten, interessierten wir uns näher für die Muffeljagd in Spanien – allerdings waren die Jagdangebote außerhalb der großen Jagdgatter sehr begrenzt, und letztlich kam dort keine Jagdmöglichkeit zustande. Auch unsere Kontakte nach Frankreich hatten aufgrund der zunehmenden Wolfsbestände in den Teilen der französischen Alpen, in denen noch vor Jahren gute Muffelbestände zu verzeichnen waren, keine Jagdgelegenheit mehr anzubieten. Es war wie verhext, und es schien fast, dass ich in diesem Jahr auf eine Jagdreise ganz verzichten müsste.

Mein Mann war es, der uns dann auf die richtige Idee brachte, indem er uns Kroatien als Reiseziel vorschlug. Er selbst, immer wieder von der Herzlichkeit der Menschen und den vielseitigen Jagdangeboten in diesem Land begeistert, hatte gerade eine Reise zur Hirschbrunft dorthin gebucht. Warum eigentlich nicht? Die Muffelbestände an der kroatischen Adria sind außerordentlich gut, und auch ich hatte ja bereits positive Erfahrungen dort gemacht. Wir kontaktierten Miroslav, unseren Ansprechpartner und Vermittler hier in Deutschland, und besprachen mit ihm die Einzelheiten. Drei Tage hatten wir für die Jagdreise inklusive Filmaufnahmen eingeplant, dazu noch den An- und Abreisetag. „Kein Problem“, kam es von Miroslav im Brustton der Überzeugung, „das schaffen wir locker …“ Keine vier Wochen später saßen Tanja und ich zusammen mit unserem Kameramann Michael endlich im Flugzeug auf dem Weg nach Zagreb, der Reise konnte also nichts mehr im Wege stehen.

In Zagreb angekommen, erwartete uns Miroslav bereits am Flughafen. Der Waffentransport war völlig problemlos. Doch wir hatten durch das Kameraequipment viel Übergepäck, mussten in München einmal umsteigen, da viele Flugverbindungen coronabedingt gestrichen worden waren, und vor uns lagen noch knapp zwei Stunden Autofahrt, bis wir die kroatische Adria rund um die Kvarner Bucht endlich erreichten. Als jedoch vor uns das Meer in Sicht kam und wir die Küstenstraße entlangfuhren, die uns zum kleinen Ferienort Novi Vinodolski bringen würde, waren alle gut gelaunt und voller Vorfreude auf die kommenden Tage.

Novi Vinodolski liegt eine halbe Stunde südlich von Rijeka entfernt, dort, wo die Berge der Mala Kapela, ein Teilgebirge des Dinarischen Gebirges, ins Meer abfallen. Der Ort ist mit seinen schönen Stränden und seiner immergrünen Vegetation im Sommer ein beliebter Ferienort. Jetzt, Ende Oktober, präsentierte er sich eher ruhig und beschaulich. Hier verließen wir die Küstenstraße, um ins Landesinnere zu gelangen, wo wir auch schon bald unser Ziel erreichen sollten. Kaum mehr als ein paar Häuser zählt der kleine Ort Ledenice, der in der Nähe von Breze liegt, einem Ort, der es durch die Dreharbeiten für die Winnetou-Verfilmungen zu einer kleinen Berühmtheit geschafft hat.

Zu dieser Jahreszeit ist hier kaum noch etwas los. Ein wenig heruntergekommen und verschlafen wirkt das Dorf. Die wenigen Menschen, die wir hier auf der Straße sehen, beäugen uns neugierig. Ein kleiner Junge auf einem Fahrrad treibt seine Schafe quer durch den Ort auf eine andere Wiese. Hinter ein paar verfallenen Häusern erstrecken sich grüne, naturbelassene Weiden und Wiesen, auf denen wir immer wieder Pferde friedlich grasen sehen. Kein Zaun, kein Gatter hindert sie am Weglaufen, sie wirken fast wie Wildpferde, und man fühlt sich tatsächlich ein bisschen in einen der Winnetou-Filme hineinversetzt. Doch auch wenn die Pferde hier überall frei herumlaufen und manchmal auch plötzlich mitten auf der Straße stehen, haben sie dennoch einen Besitzer, der sich um sie kümmert.

Wir begrüßen unsere kroatischen Jagdführer Neven und Valentin, die uns abwechselnd die nächsten Tagen begleiten werden, und Neven lädt uns zum Abendessen zu sich nach Hause ein. Jetzt in der Nebensaison haben die meisten Restaurants im Umkreis geschlossen, sodass wir sein Angebot gerne annehmen. Wir werden herzlich von seiner Familie begrüßt und bei einem üppigen kroatischen Abendessen aufs Beste bewirtet. Wir nutzen die Chance, um uns auf den morgigen Jagdtag schon ein wenig einzustimmen. Miroslav und Neven schwärmen von dem wildreichen Revier in den höchsten Tönen und dass es nicht schwierig sein werde, zwei Muffelwidder vor die Kamera zu bekommen und zudem Jagderfolg zu haben. Ich halte mich ein wenig zurück, habe ich doch in der Vergangenheit schon mehrfach erlebt, dass es nicht immer ganz einfach ist, Jagd und Film unter einen Hut zu bekommen. Ein passendes Stück zu erlegen ist eine Sache, das dabei auch noch zu filmen, noch einmal eine ganz andere. Trotzdem klingt alles sehr vielversprechend, und wir freuen uns schon sehr auf den morgigen Tag. Noch müde von der Reise, wird der Abend nicht allzu lang, denn der nächste Tag beginnt bereits um 5 Uhr morgens. Wir packen noch rasch unser Equipment zusammen, bereiten die Filmkamera vor und fallen schließlich todmüde ins Bett.

Es ist noch stockdunkel draußen, als wir abgeholt werden und unser Gepäck in einem Pick-up verstauen. Das Jagdgebiet erstreckt sich von Novi Vinodolski entlang der nach Süden führenden Küstenstraße vom Meer bis hoch in die Hochebenen des Dinarischen Gebirges. Die Berge an der kroatischen Adria sind ein typisches Karstgebirge. Auf dem verwitterten Kalkstein findet man neben ausgedehnten Wäldern mit Buchen- und Kiefernbeständen viel karges, freies Felsgestein, das im Laufe der Zeit durch die Witterung ausgewaschen wurde und von unzähligen Rinnen und Karren durchzogen ist. Von der Hochebene aus erstrecken sich zur Küste hin tiefe, lang gezogene Täler – ein ideales Habitat für das Muffelwild, das hier neben Rot-, Reh- und Schwarzwild und dem Braunbären zu den Hauptwildarten zählt.

Erstes Ziel an diesem frühen Morgen ist ein Parkplatz an der Küstenstraße an der südlichen Reviergrenze. Hier wollen wir uns erst einmal orientieren und vielleicht schon nach erstem Wild schauen. Es dämmert bereits, doch noch ist alles grau in grau. Vor uns liegt eines dieser tiefen Täler, die sich quer zur Küstenlinie von der Hochebene hinunter bis zum Meer erstrecken. Sträucher und Bäume bedecken die felsige Landschaft, und mir fällt es daher nicht leicht, Wild zu entdecken. Doch auch hier hat längst die moderne Technik Einzug gehalten, und so können wir mit der Wärmebildkamera weiter oben am Hang auf ca. 500 m Wild ausmachen. Jetzt, wo wir wissen, wo das Wild steht, können wir es auch mit dem Fernglas bereits erkennen. Drei Stück Kahlwild und ein Hirsch ziehen den Berg hinauf weiter in Richtung des nächsten Tals. Jetzt können wir auch auf der linken Seite des vor uns liegenden Tals Wild entdecken. Diesmal ist es Muffelwild. 10, 20, nein, fast 30 Stück kann ich zählen. Sie ziehen zügig den Hang weiter hoch, immer wieder verdeckt durch Sträucher und Büsche. „Das fängt doch wirklich sehr vielversprechend an“, denke ich noch, während Valentin auf der anderen Seite weiteres Muffelwild ausmachen kann. Grundsätzlich ist es so, dass sich frühmorgens das Wild eher unten im Tal aufhält und im Laufe des Morgens langsam in Richtung Hochebene aufsteigt. Dort verbringt es meist den Rest des Tages im Verborgenen, um am späten Nachmittag wieder aktiver zu werden und sich an den Abstieg Richtung Küste zu machen. Die grundsätzliche Pirschtaktik ist also, morgens das Wild noch unten im Tal anzugehen, bevor es nach oben verschwindet, und abends von der Hochebene aus den Pirschweg anzutreten. So weit die Theorie …

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