Jagd auf dem Lehrplan – draußen mit „Bliv NaturligVis“
| Text: Jonas Nørregaard |
Eine Schulklasse auf der Jagd – ein in Deutschland nur schwer vorstellbarer Gedanke. Dazu ist die Jagd in diesem Land zu sehr „in Verruf“ geraten, zu sehr die Pädagogik darauf ausgerichtet, Kinder vor Erfahrungen zu schützen, die ihre Eltern oder Lehrer selbst als verstörend empfinden würden. Doch in anderen Ländern Europas ist dieser Gedanke völlig normal. HALALI-Autor Jonas Nørregaard berichtet von einem Naturprojekt in Dänemark.
Vorsichtig schiebt das Reh sein Haupt durch die dicke Hecke zwischen den beiden Feldern. Die Sonne scheint ihm ins Gesicht. Es kaut vorsichtig an einem Weidenblatt, äugt umher. Ist da draußen alles sicher? Offensichtlich, denn das Reh tritt heraus. Die 20 Augenpaare bemerkt es nicht, die jede seiner Bewegungen intensiv vom gegenüberliegenden Waldrand aus auf 120 Meter Entfernung beobachten. In der warmen Herbstsonne nimmt es einen Äser voll Klee auf, dann verlässt es diese Welt. Den Freudenschrei aus 20 Kinderkehlen hört es nicht mehr.
Wir sind auf der Jagd, mit Drittklässlern der Grundschule von Syddjurs und „Bliv NaturligVis“ (zu Deutsch: Natürlich bleiben) – einer gemeinsamen Initiative des Dänischen Jägerverbandes und des Dänischen Sportfischerverbandes. Beide Verbände stellen einen breiten Querschnitt durch die Gesellschaft dänischer Jäger und Angler dar. „Bliv NaturligVis“ wird von der Nordea Foundation unterstützt, einer unabhängigen Stiftung, die sich des Themas Lebensqualität angenommen hat.
In Dänemark ist es schon lange Tradition, Kindern und Jugendlichen aus Stadt und Land die Leidenschaft für Natur, Jagd und Fischerei nahezubringen, indem ihnen ein Einblick in die Kunst gegeben wird, aus dem Überfluss der Natur zu schöpfen. So entstehen immer wieder neue junge Botschafter für die Jagd und das Fischen.
Früher hatten die meisten Kinder ein völlig natürliches Verhältnis zum Tier als Nahrungsquelle. Sie wussten sehr wohl, dass für die Frikadelle auf dem Teller ein Tier sein Leben lassen musste. Heute ist das anders: Fleisch ist etwas, was in Folie eingeschweißt im Supermarktregal liegt. Woher das Tier kommt, ob es ein gutes Leben hatte – diese Fragen sind nicht mehr relevant.
Das „Bliv NaturligVis“-Projekt verfügt über präzise abgestimmte Lernprozesse dazu, wie man Kinder in Jagd oder Fischerei einbindet. Normale Jäger und Angler werden aus- und fortgebildet, damit sie von sich aus in Schulen oder Kindergärten gehen und dort über ihre Passion sprechen. Ferner nehmen sie Kinder mit auf echte Jagden oder ans Wasser zum Fischen. Zusätzlich sind Lehrmaterialien vorhanden, die in den Lehrplan von Vor- und Grundschulen passen. Den Schulen selbst stehen mehrere Online-Plattformen zur Verfügung, auf denen die Jagd im Fokus steht. Hier kann das Thema spielebasiert präsentiert werden, beispielsweise in einem Steinzeitjäger-Szenario.
Zurück zu Waldrand und Schulklasse: Franz und Peter sprechen immer noch im Flüsterton mit den Kindern, obwohl das längst nicht mehr nötig wäre. Doch sie wollen die Spannung aufrechterhalten, den Moment, der sich von einem „Wir müssen still sein, denn das MUSS jetzt klappen“ in die Stille des Respekts vor einem genommenen Leben wandelt. Keines der Kinder scheint furchtsam oder traurig über das, was gerade vor ihren Augen geschehen ist. Die meisten zittern vor Aufregung und wollen das Wild, das draußen im Feld liegt, genauer anschauen.
Tags zuvor haben Franz und Peter die Kinder in der Schule besucht und den ganzen Tag mit ihnen darüber gesprochen, was sie draußen zu sehen bekommen würden, sowie über alles, was danach geschehen würde. Zuerst hatten die Kinder die Gelegenheit, offen über ihre Gedanken und Gefühle zum Thema Jagd zu sprechen. Dann legte Franz ein Seil auf den Boden. An einem Ende befand sich ein Schild: „Bäh, Jagen ist böse!“, am anderen ein anderes: „Hey, Jagen ist supercool!“ Die Kinder verteilten sich über die ganze Länge des Seils, mit einer leichten Tendenz zur Mitte hin. Den Rest des Tages beschäftigte sich die Klasse mit Populationsdynamik in Form von Spielen draußen auf dem Sportplatz sowie mit Jagdtechnik und -ausrüstung drinnen im Klassenzimmer. Auf dem Pausenhof spielten sie Spiele wie „So bewegt man sich beim Jagen“ oder „So still muss man sein“. Die Lehrer der Klasse nahmen begeistert an allen Aktivitäten teil.
Das Konzept von „Bliv NaturligVis“ ist auch im Ausland bekannt geworden, ebenso wie die Tatsache, dass in Dänemark ganze Schulklassen auf echte Jagden mitgenommen werden. Der gesamte Prozess wird über den Tag von einem Filmteam des kanadischen Senders „Wild TV“ für die TV-Show „The Urban Huntsman“ begleitet. Danny, der Host, nutzt Pausen für Gespräche und Interviews mit den Kindern über das, was sie gerade erleben. Die Kamera läuft mit.