Kanadagänse am Horizont – Südschweden im August
| Text: Jonas Nørregaard |
Skandinavien und Gänsejagd – zwei Begriffe, die fest zusammengehören. Sie klingen nach Wind, Wild und Weite, nach Sturmwolken, Kälte und Nässe. Doch auch ein warmer Sommermorgen im Hinterland der südschwedischen Küste kann ein großes jagdliches Abenteuer werden, wenn Gänse im ersten Morgenlicht anstreichen, berichtet HALALI-Autor Jonas Nørregaard.
Ein Brausen klingt vom Sund herüber ans Ende des frisch eingesäten Rapsfelds. Die Jäger packen ihre Flinten ein wenig fester, die Daumen liegen auf der Sicherung. Ihre Augen spähen durch die Lücken des Tarnnetzes. Kommen sie? Und: Kommen sie hierher? Dann erscheinen sie, tief, nur knapp über dem Horizont. Zwei zuerst, und dann werden es mit einem Schlag mehr. 30 Vögel streichen in einer langen Reihe auf die Jäger zu.
Hier geht es um Gänse. Kanadagänse. Große, starke, wunderschöne Vögel. Stingel und Kopf sind schwarz und weiß markiert, ihre Körper elegant braun und grau gefleckt, Keulen und Bürzel wieder schwarz und weiß. Sie kommen aus dem höchsten Norden Skandinaviens und rasten jetzt in den Buchten, bevor sie entscheiden, ob sie weiter nach Süden fliegen oder hier in Südschweden bleiben, bis das Wetter winterlicher wird.
Der Schof ist 30–40 Meter über Grund angestrichen. Jetzt stellen sie die Schwingen steif und steuern mit den Handfedern. Sie blicken nach unten, sehen andere Gänse am Boden sitzen. Ein paar Hundert sind es: Artgenossen, dazu Grau- und Weißwangengänse. Die Kanadier rufen hinunter, die anderen unten antworten in der Gänsesprache. Alles sieht friedlich aus, so fällt der Schof ein. Die Jäger sind angespannt, aufmerksam und bereit.
Die ersten vier oder fünf Gänse haben die Latschen ausgefahren und setzen zur Landung an, mitten zwischen den Vögeln, die sie auch aus der Nähe noch für ihre Verwandten halten.
Dass es sich um ein von den beiden Jägern geschickt angelegtes Lockbild handelt, werden sie nicht mehr merken. Denn jetzt kommt das Signal.
Kristofer, der im linken Schirm liegt, ruft: „Jetzt!“
Gleichzeitig klappen die Liegen auf. Die Jäger spannen die Bauchmuskeln an, richten sich auf. In fließender Bewegung, die von langer Übung und Erfahrung zeugt, kommen die Flinten an die Schulter. In schneller Folge fallen vier Schüsse. Drei Gänse fallen auf die Weizenstoppeln zwischen der Rapssaat.
Die ersten Sonnenstrahlen erscheinen am Horizont. Kristofer springt auf, rennt aufs Feld und sammelt die drei erlegten Gänse auf, platziert sie im Lockbild, sodass sie ebenfalls als Lockvögel dienen. Schnell jetzt, mehr Wild streicht an!
Kristofer steckt von Kopf bis Fuß in Tarnkleidung. Im Schirm ist man zwar bestens gedeckt, aber gelegentlich schafft ein Jäger es nicht schnell genug zurück dorthin. Geschieht das, kann man seinen Mitjägern die Chance auf weiteren Jagderfolg nur dadurch retten, dass man auf offenem Feld in die Hocke geht und sich so klein macht wie irgend möglich. Da ist Volltarn hilfreich.
Das Tosen draußen auf dem Sund hält nun dauerhaft an. Hunderte, nein Tausende von Gänsen stehen auf, hungrig nach der langen Reise aus dem Norden. Die Felder an der Küste locken mit frischen Kohlsprossen, Druschresten, ungeernteten Karotten und anderen Leckerbissen.
Auf meiner Stirn erscheinen erste Schweißtropfen. Der Augustmorgen folgt einer Serie ungewöhnlich heißer Tage. Und ist es auch noch früh, so hat das Feld doch viel Wärme gespeichert und gibt sie nun ab. Es wird heiß.
Kristofer, der eben noch die letzte Gans aufgestellt hat, schafft es gerade noch rechtzeitig, in seine Liege zu hechten und die Klappen zu schließen. Da streichen schon die nächsten Gänse an. Rechts kommen einige Kanadier herein, aber der Hauptflug besteht aus Weißwangengänsen und hält direkt aufs Lockbild zu.
Weißwangen haben jetzt Schonzeit. Doch Kristofer hat eine Sondergenehmigung und darf sie bejagen. Fallen sie in großer Zahl auf der frischen Saat ein, ist der Schaden beträchtlich. Jannik, der seinen Schirm weiter links hat, ruft Kristofer, der sich noch nicht orientieren konnte, einen kurzen Lagebericht zu: „Weißwangen direkt vor uns, zwei Kanadier etwas weiter rechts …“ Kristofer packt seine Benelli und antwortet: „Fertig? Jetzt!“ Die Szene wiederholt sich. Kristofer schießt zwei Weißwangengänse, Peter eine dritte und eine der beiden Kanadagänse. Es ist eine höchst effiziente Jagd, und sie beruht nicht nur auf Jagdglück. Vor diesem strahlenden Augustmorgen lag einiges an Arbeit und Planung. Kristofer Hansson, der die Jagd in langen Streifen von Malmö bis nach Helsingborg hinauf und bis zur Universitätsstadt Lund im Osten managt, schöpft bei der Gänsejagd aus jahrelanger Erfahrung. Er hat sie vor 15 Jahren zu seinem Beruf gemacht.