König der Löwen
| Text: Bastian Fuhrmann |
Valentin Grüner lebt seinen afrikanischen Traum in Botswana. Mit dem Modisa Wildlife Project will er sich um Umweltschutz und das Management natürlicher Ressourcen der Kalahari kümmern. Das dazugehörige Reservat wird größer als der Kruger Nationalpark sein. Mit ihm will Grüner auch beweisen, dass das Leben von Viehzüchtern im Einklang mit Raubkatzen möglich ist. Mit Sirga, einer 180 Kilogramm schweren Löwin, geht er in der Zwischenzeit auf die Jagd – und teilt sich mit ihr das Wildbret.
Fotos: Fabian Gieske
Der Kalahari-Sand vermischt sich mit dem verbrannten Diesel seines alten Jeeps und wirbelt mächtige Staubwolken auf. Als er ein zweites Mal in den Rückspiegel blickt, huscht die Silhouette des kleinen Häuptlingsjungen Oulé vor seinem geistigen Auge vorbei. Dann ein Löwe. Dieser verfolgt den Jungen durch die Savanne und holt ihn am Ende ein. Doch anstatt ihn zu töten, ringt er ihn zu Boden und schmiegt sich an ihn. Der Jeep fährt noch ein Stück weiter und hält schließlich an einem umzäunten Gelände. Der Fahrer steigt aus und tritt an ein Tor. „Sirga!“, ruft er. Kurz darauf hört man das durchdringende typische Raunen eines Löwen. Grüner befreit den Boden schnell von umliegenden Steinen und Stöcken, die ein Verletzungsrisiko darstellen können. Das knapp 200 Kilogramm schwere Raubtier läuft aufgeregt hin und her und stürzt sich schließlich auf Valentin, als dieser das schwere Tor öffnet. Man kann sich die dabei herrschenden Kräfte vielleicht wie die eines Gewichthebers im Moment des Reißens vorstellen. Die Löwin begrüßt Grüner ausgiebig, ihre Pranken umfassen dabei seine Schultern, die Krallen sind eingefahren. Grüner verschwindet förmlich im Fell der Löwin. Er kann ihr Gewicht zitternd für ein paar Sekunden halten, muss sich dann aber zu ihr auf den Boden legen. Sirga schmiegt sich an ihn und legt einen Großteil ihres Körpers immer wieder auf ihn, begräbt Grüner förmlich unter sich auf dem Boden – deswegen das rasche Entfernen sämtlicher Steine und Stöcke im Vorhinein. Auf die Frage, in welchem Verhältnis die Löwin zu Valentin Grüner stehe, entgegnet er: „Auch wenn ich Sirga von klein auf mit der Flasche aufgezogen habe, sieht sie in mir weniger ein Elternteil als einen treuen Kumpan.“
Von den sogenannten Löwendresseuren, die Löwen zu bändigen versuchen, gibt es weltweit vielleicht eine Handvoll. Einige haben auf Social-Media-Plattformen Millionen sogenannter Follower. Für die meisten aber ist es eine einzige Show unter freiem Himmel. Valentin Grüner hingegen ist schon die zeitraubende Pflege seiner Social-Media-Kanäle zu viel, er will eigentlich nur draußen in der Kala-hari sein. „Die meisten Löwen sind in einem Alter von ein bis zwei Jahren dem Menschen nicht mehr zugetan, und so werden vor allem viele junge Löwen rangeschafft, um ein entsprechendes Löwe-Mensch-Gespann sicher zu initiieren. Ist der Löwe zu alt und aufmüpfig, braucht es wieder jungen Nachschub“, sagt Valentin nachdenklich. „Das ist ein richtiges Business.“ Sirga ist mittlerweile zwölf Jahre alt und immer noch bei ihm. Bis auf ein paar zerschlissene Hosenbeine, einen Rippenbruch und ein paar Kratzer trägt Grüner keine sichtlichen Spuren dieser so besonderen Freundschaft davon. Nachdem er die Löwin verlassen in der Savanne fand, wachte er in den Anfangsmonaten Tag und Nacht über sie. Er päppelte sie auf, spritzte ihr Infusionen unter die Haut, als Sirga noch zu schwach war, Nährstoffe über die Nahrung und ausreichend Flüssigkeit aufzunehmen. Dabei schöpfte Grüner aus seinem Wissen, das er sich im Umgang mit Raubkatzen vordem in diversen Auffangstationen angeeignet hatte. Bevor er sich in Botswana niederließ, jobbte er in verschiedenen Wildparks und lernte dort eine Form des Tierschutzes kennen, von dem er nicht besonders viel hält. „Es ging im Grunde nicht um das einzelne Individuum, sondern nur um die Darstellung nach außen und um das schnelle Geld. Die meisten wollten einen Streichelzoo mit wilden Tieren. Das ist mir einfach zuwider, ich will das anders machen“, erklärt Valentin.
Nicht nur, dass die ausgewachsene Löwin den Menschen Valentin Grüner immer noch neben sich duldet, sie gehen auch gemeinsam auf die Jagd und teilen am Ende sogar das Wildbret miteinander. Lesen Sie diesen Satz jetzt ruhig noch einmal. Diese Form der Jagd ist möglicherweise ein absolut einzigartiges Verhalten. Zoologiebewandte wissen: Innerhalb eines Löwenrudels herrscht beim Fressen eine feste Rangordnung, da es in der Wildnis ums nackte Überleben geht. Die stärksten Männchen dürfen zuerst ans erlegte Stück, dann die ranghöchsten Weibchen und zu-letzt die Jungen. Ein solches Verhalten fordert nicht selten ein Löwenleben. „Irgendwann zeichnete sich ab, dass ich Sirga zum Wild führen wollte, das sie in ihrem Reservat selbst erlegen sollte. Dort gibt es Gnus, Elenantilopen und Oryxantilopen. Löwen jagen jedoch im Rudel, und da nur ich zugegen war, erlegten wir es eben gemeinsam“, erklärt Grüner. „Bei der Jagd hält ein Löwe das erbeutete Stück Wild normalerweise fest und zerrt es zu Boden, ein anderer Löwe geht dem Tier dann an die Kehle und nimmt ihm die Luft zum Atmen. Sirga packte ihre erste Elenantilope irgendwann, hielt sie fest, aber konnte nicht Richtung Kehle, sonst wäre die Antilope entkommen. Also schritt ich ein und habe sie mit dem Messer erlöst“, erzählt der 37-Jährige in ganz und gar nicht selbstverständlichem Ton. Valentin Grüner ist dankbar für die Zeit, die er mit der Löwin verbringen darf, und er ist sich vollkommen bewusst, dass diese einzigartig ist.
Doch die Jagd mit Sirga hat nicht nur Grüners Horizont erweitert, sondern auch seine Sinne geschärft. Zweimal in der Woche geht er mit der Löwin 30 bis 40 Kilometer spazieren – barfuß, um sich dem Geräuschpegel seiner tierischen Begleiterin anzupassen. „Mit ihr tauche ich förmlich in die Natur ein und werde ein Teil von ihr. Geduld ist das wichtigste Utensil unserer Gemeinschaftsjagd. Sirga harrt manchmal so lange aus, da können es locker Stunden werden, die wir an ein und demselben Fleck verbringen. Ich bin sogar schon öfter mal erschöpft eingeschlafen neben ihr“, erzählt Grüner mit einem Lächeln. Davon profitiert er auch, wenn er gerade nicht mit der Löwin jagen geht, sondern allein auf der Pirsch ist, um Fleisch für sein Camp zu besorgen. „Ich ernähre mich zu 100 Prozent von Wildbret. Für mich und meine Leute hier gibt es nichts Ökologischeres. Aber wusstest du, dass die EU hier in Botswana zwei bis drei Millionen Rinder angesiedelt hat, um den Fleischhunger der Europäer zu stillen? Ist das nicht absurd?“, fragt Grüner nachdenklich und zeigt in die Weite der Kalahari. „Die Steppe wurde durch viele Zäune durchtrennt, große Wandernetze von Millionen von Gnus wurden einfach unterbrochen. Vielen Tierarten wurde so auch der Zugang zu Trinkwasser verwehrt. Das gesamte ökologische System, das sich bis dahin selbst reguliert hat, ist am Boden. Sie sind alle weg. Sicher waren es ein bis zwei Millionen Tiere“, erklärt er. „Und jetzt liegt natürlich die Bevölkerung im Clinch mit den Löwen, Leoparden und Geparden, die von den Gnus auf die angesiedelten Rinder umgestiegen sind – ja wechseln mussten. Hatten sie denn eine andere Wahl?“, fragt Grüner, und in seiner Stimme schwingt Bitterkeit mit.