Lebensräume im Wandel – von Generalisten und Spezialisten
| Text: Dr. Johanna Maria Arnold und Dr. Janosch Arnold |
Die Anpassungsfähigkeit von Wildtieren an ihre Umwelt entscheidet über ihre Populationsgröße und ihr langfristiges Überleben. Je flexibler eine Wildtierart hinsichtlich ihrer Nahrung und ihrer Raumnutzung reagieren kann, desto besser findet sie sich auch in sich wandelnden Lebensräumen zurecht. In Zeiten des Klimawandels trennt diese Fähigkeit die Gewinner von den Verlierern.
Landschaft und Menschen
Die Landesfläche ist zu großen Teilen vom Menschen geprägt, sei es durch die landwirtschaftliche oder forstliche Nutzung oder auch durch Verkehrs- und Siedlungsflächen, und auch relativ ungenutzte Bereiche werden von Erholungsuchenden besucht. Jeder Quadratkilometer ist bereits mehrfach belegt: Produktionsstätte, Wasserspeicher und Erholungsraum, um die wichtigsten zu nennen. Und dazwischen müssen unsere Wildtiere Raum für ein artgerechtes Leben finden. Je nachdem, wie ihre Ansprüche, auch hinsichtlich der Größe und Vernetzung der Lebensräume, sind, desto besser oder schlechter kommen sie zurecht. Die Veränderungen durch den Klimawandel können Lebensräume und deren Ausstattung verschlechtern, aber auch neue schaffen. Auch neue, durch den Menschen eingeführte Wildtier-arten beanspruchen Lebensraum für sich. Nicht selten kommt es zu Konflikten, wenn menschliche Interessen auf die Bedürfnisse der Wildtiere treffen. Für den Ausgleich dieser unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse braucht es oft Zugeständnisse und die Abstimmung vielerlei Akteure. Dabei gerät manchmal in Vergessenheit, dass die Räume für Wildtiere immer kleiner werden, wodurch diese in Bedrängnis geraten können.
Heimat von Mensch und Wildtier
Unsere heimischen Landschaften sind vielseitig und abwechslungsreich. Weite Ebenen und Offenlandflächen, verbunden mit den Stromtälern von größeren und kleineren Flüssen, wechseln sich mit den bewaldeten Mittelgebirgslandschaften ab und reichen im Süden mit den von Gletschern überformten Regionen bis an den Alpenrand. Im Norden grenzt das Land an Nord- und Ostsee, die mit Salzwasser, Watt und Gezeitenströmungen einem ständigen Wandel unterworfen sind. Das Land bietet den Menschen gut bebaubares Ackerland, auf dem auch anspruchsvolle Kulturen wie Gemüse, Wein- oder Obstbau gelingen. Großzügige Waldgebiete mit verschiedenen Mischungen von Laub- und Nadelhölzern sowie Sträuchern liefern wertvolle Holzprodukte und laden zu Erholung und Naturgenuss ein. Auch die zahlreichen größeren und kleineren Seen sowie regionale Besonderheiten tragen zur landschaftlichen Schönheit und Vielfalt bei. Diese diversen Landschaften stellen auch Wildtierlebensräume dar und sind Grundlage dafür, dass zahlreiche Tier- und Pflanzenarten ein Zuhause finden.
Flächennutzung und Lebensraumtypen
Eine Gesamtübersicht über die Flächennutzung in Deutschland gibt das Umweltbundesamt (UBA 2024): Deutschland hatte im Jahr 2022 eine Fläche von 357 595 km². Die Flächennutzung wird in den Grundstücks-
katastern inspiziert und fortlaufend mithilfe von Luftbildern und Satellitendaten überprüft und ergänzt. Das UBA stellt die Nutzung folgendermaßen dar:
• Landwirtschaftliche Nutzfläche: 50,4 %
• Wälder: 29,9 %
• Gehölzflächen: 1,1 %
• Fläche für Siedlung und Verkehr (Flächen für Wohnen, öffentliche Zwecke oder Gewerbe, auch Erholungsflächen, Friedhöfe und Verkehrsflächen): 14,5 %
• Seen, Flüsse, Kanäle und nahe Küstengewässer: 2,3 %
• Sonstige Flächen: „Abbauland“ wie Kies- oder Braunkohlengruben sowie „Unland“ wie Felsen, ehemaliges Militärgelände oder Abraumhalden und ungenutzte Vegetationsflächen wie Heideland, Moore, Sümpfe und Gewässerbegleitflächen
Offenland
Unter Offenland versteht man die Feldflur: Ackerland und Grünland. Aus Sicht der Wildtiere ist das Offenland, anders als Waldgebiete, geprägt von schnelleren Lebensraumveränderungen. Saat und Ernteaktivitäten wechseln sich häufig mehrmals im Jahr ab. Feldfrüchte, Bodenbedeckung und Aufwuchshöhen variieren und unterliegen steten Veränderungen hinsichtlich Äsung, Deckung und Mikroklima. Charakteristische Vertreter des Offenlandes sind das Rebhuhn, der Fasan, der Feldhase und das Hermelin. In der Vergangenheit haben diese Tierarten von einer extensiven Landwirtschaft mit ihren Brachflächen profitiert, die Äsungspflanzen in hoher Qualität und Quantität sowie Versteckmöglichkeiten bereitgestellt hat. Durch die Intensivierung der Landnutzung, hervorgerufen durch den ökonomischen Druck auf die Landbewirtschafter, verschlechterten sich die Lebensbedingungen der Offenlandarten. Nahrungsangebot und Deckungsstrukturen gingen verloren, und besonders die Bodenbrüter wie das Rebhuhn gingen als Verlierer aus dieser Entwicklung hervor. Durch den Verlust der Insektenvielfalt und -biomasse fehlt vielen Bodenbrütern wichtige Nahrung, die die Tiere anfälliger für schlechte Witterungsbedingungen, Krankheiten und Prädation durch Fressfeinde macht. Auch im Offenland kommt es immer wieder zu Störungen von Wildtieren durch Erholungsuchende oder frei laufende Hunde während der Brut- und Setzzeiten.
Von 2016 bis 2022 sank der Anteil landwirtschaftlicher Nutzfläche in Deutschland um 2 430 km². Die wichtigsten Gründe dafür sind die Zunahme der Fläche für Siedlung und Verkehr um 2 648 km² im gleichen Zeitraum sowie der Flächenverfall für den Tagebau. Aber auch die Zunahme der Wälder und Gehölze erfolgte zum Teil zulasten landwirtschaftlicher Flächen. Spitzenreiter in Sachen landwirtschaftlicher Fläche ist Schleswig-Holstein mit einem Anteil von 68,2 %; die anderen nördlichen und östlichen Bundesländer folgen. Die Art der Flächennutzung beeinflusst die Bio-diversität und die Umweltbelastung. Meist gilt: Tier- und Pflanzenarten profitieren etwa von einer extensiven Bewirtschaftung, intensiv bewirtschaftete landwirtschaftliche Flächen können die Natur belasten. Durch Störungen, Anreicherung von Gewässern mit einem Überfluss an Nährstoffen (Eutrophierung) oder Ausräumung ökologisch wertvoller Landschafts-bestandteile wie Knicks, Wällen, Hecken oder Feldgehölzen, Gewäs-serbegradigungen, Bodenverdichtung oder Flächenversiegelung verlieren Lebensräume an ökologischem Wert.
Wald
Grundeigentümer der deutschen Waldflächen sind der Bund (4 %), die Länder (29 %), die Gemeinden und Körperschaften (19 %) sowie die Privatwaldbesitzer (48 %). Sie alle tragen durch ihre Waldbewirtschaftung direkt zur Lebensraumbeschaffenheit bei. Es gibt Nadelwälder, Laubwälder und Mischwälder, und alle stellen unterschied-liche Lebensräume für Wildtiere dar. Wälder weisen ein günstiges Mikroklima auf, bieten Nahrung und Deckung. Der Lebensraum bleibt über einen längeren Zeitraum stabil. Je naturnaher und strukturreicher Wälder gestaltet sind, desto vielfältigere Äsung und Kleinsthabitate stellen sie bereit. Auf den Wald spezialisierte Bewohner sind die Waldschnepfe, das Auerhuhn und die Wildkatze. Wälder bieten großräumige Rückzugsgebiete für Wildtierarten wie den Rothirsch oder den Luchs. Waldbäume können insbesondere vom Schalenwild wie dem Reh, dem Rothirsch, dem Mufflon, Sika- oder Damhirsch verbissen oder durch Schäle beeinflusst werden. Je nach waldbau-licher Zielsetzung können hier Wildschäden entstehen, aber auch positive Einflüsse durch den Wildeinfluss sind gegeben. Die Gesellschaft stellt hohe Ansprüche an den Wald: Er soll Holz liefern, Erholungsraum sein, das Klima schützen und für frisches Wasser sorgen. Gleichzeitig ist er auch Lebensraum für Tiere und Pflanzen sowie Biodiversitätsbewahrer. Menschen können durch ihre Aktionen im Wald oft unbewusst Störungen verursachen.
Zwischen 2016 und 2022 nahm die als Waldfläche definierte Fläche in Deutschland um 624 km² zu. Rechnet man Gehölze noch dazu, so betrug der Zuwachs 1 481 km². Überdurchschnittlich hohe Waldflächenanteile finden sich in siedlungsarmen, für eine intensivere Landwirtschaft weniger geeigneten Mittel- und Hochgebirgslagen, etwa dem Harz, dem Thüringer Wald, dem Sauerland, der Eifel, dem Schwarzwald, dem Bayerischen Wald und in den Alpen. Wälder haben, ähnlich wie Gewässer, Moore und Heiden, einen besonderen ökologischen Stellenwert. Neben der Schadstofffilterung der Luft und Bildung sauberen Grundwassers schützen sie die Böden vor Erosion und das Klima, indem sie das Treib-hausgas Kohlendioxid (CO2) binden. Sie dienen wie viele Naturschutzgebiete den Erholungs- und Freizeitbedürfnissen der Bevölkerung.