Leise Missverständnisse und laute Tanten

| Text: Ilka Dorn |

Auf jede verpasste Chance folgt eine neue, tröstet sich HALALI-Redakteurin Ilka Dorn während einer Jagdreise in der grandiosen Bergwelt der französischen Pyrenäen. Und kann nicht ahnen, wie verflixt knapp und kurios es diesmal mit dem Hirsch werden wird.

Fragte man mich, welcher Ort oder welche Gegend mich auf meinen vielen Reisen in den vergangenen Jahren besonders fasziniert hat, würde ich ohne Zögern die französischen Pyrenäen nennen. In jagdlicher Hinsicht sind die abgelegenen Täler und Höhen dieser Bergkette, die die Iberische Halbinsel vom restlichen Europa trennt, eine unvergleichliche Attraktion mit weitestgehend unberührter Tier- und Pflanzenwelt. Auch wenn der Tourismus mit Wanderern und Radfahrern zunimmt, wirkt die Region mit ihren einsamen Bergdörfern noch wildromantisch und abgeschieden, ja fast verschlafen. Doch die Menschen, denen man dort begegnet, sind offenherzig und liebenswürdig.

Deshalb freute mich das Angebot des französischen Jagdreiseveranstalters Pierre-Jean Lacombe, mit dem ich bereits vor drei Jahren zur Gamsjagd in die südlichen französischen Pyrenäen gefahren war (siehe HALALI 03/2017), nun zur Hirschbrunft in die Haute-Garonne zu reisen, ganz besonders.

Auch diesmal wollten wir das Abenteuer filmisch dokumentieren, weshalb mich meine Freundin Tanja Dautzenberg und unser Kameramann Michael Buss begleiteten. Wir flogen von Frankfurt nach Toulouse, anschließend fuhren wir mit dem Leihwagen in die Berge nahe der Ortschaft Boutx, die ziemlich genau in der Mitte des lang gezogenen Höhenzuges liegt. Von dort führte uns eine kurvenreiche Passstraße hinauf zu dem kleinen, schon etwas in die Jahre gekommenen Skiort Le Mourtis.

Pierre-Jean bietet hier die Möglichkeit an, mit einer französischen Jagdgesellschaft auf Rotwild zu jagen. Die Jagdart ist ursprünglich, traditionell und steht ganz im Zeichen des gemeinschaftlichen Erlebnisses. Der Besitzer der kleinen Pension, in der wir Quartier beziehen, ist gleichzeitig der Vorsitzende der Jagdgesellschaft. Während er uns freundlich begrüßt, trudeln nach und nach die weiteren Gäste, die mit uns gemeinsam jagen werden, im Hotel ein. Jetzt lernen wir auch unseren Jagdführer Eric kennen, der uns die nächsten drei Tage begleiten wird.

Parlez-vous français?

Schon oft hatte ich mir vorgenommen, endlich Französisch zu lernen, es aber leider aus Zeitgründen immer wieder aufgeschoben. Immerhin konnte ich mir inzwischen einige Alltagswendungen und auch ein paar Vokabeln aus der Jagdsprache aneignen. Richtig verständigen kann ich mich auf Französisch aber leider nicht. So geht es auch Tanja und Michael. Eric wiederum spricht kein Wort Englisch, sodass es für unser Team nicht ganz leicht ist, die kommenden Tage zu organisieren. Schließlich möchten wir ja nicht nur jagen, sondern auch filmen, was ohnehin einen höheren Planungsaufwand erfordert. Dass sich unser Aufenthalt in den Pyrenäen zu einer meiner ereignisreichsten und spannendsten, jedoch jagdlich gesehen auch schwierigsten Jagdreisen entwickeln würde, konnten wir freilich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.

Für den ersten Abendansitz wählt Eric eine kleine Wiese am Rand eines alten Bauerngehöfts, kaum 20 Minuten Autofahrt von der Pension entfernt. Im Schatten einer Scheune parken wir das Auto und folgen einem kleinen Trampelpfad den Berg hinauf. Still ist es hier, nur die Grillen zirpen auf den Wiesen, und aus der Ferne schallt mitunter das Glockengeläut von Weidetieren zu uns herüber. Die Sonne brennt zu dieser Stunde noch heiß vom Himmel, sodass Eric ein mäßiges Tempo vorgibt und immer wieder innehält, um Wiesen und Waldränder abzuglasen.

Pferderennen im Wald

Erst als die Sonne hinter den Bergspitzen verschwunden ist, umrundet Eric die nächste Bergkuppe und nimmt einen kleinen Stand hinter Farnbüschen ein. Ansitzeinrichtungen sucht man hier vergebens, wir nehmen also kurzerhand auf dem Trampelpfad für unseren Abendansitz Platz. Es scheint ein bewährter Ort zu sein, zwei leere Patronenhülsen, die ich in der Erde finde, zeugen davon. Unter uns erstreckt sich eine Wiese, dahinter ein größeres Waldstück. In unserem Rücken versperrt ein Gruppe Bäume die Sicht auf die Wiese, von der wir gekommen sind.

Eric zeigt uns, aus welcher Richtung er das Wild erwartet, damit wir Stativ und Kamera ausrichten können. Wir möchten es zunächst auf den Hirsch versuchen und die Jagd auf das Kahlwild noch ein wenig hintanstellen.

Nun wird es merklich kühler, und wir müssen nicht lange warten, bis wir die ersten Hirsche melden hören, bald auch im Waldstück hinter der Wiese. Unsere Pulsfrequenz ist bereits beträchtlich angestiegen, als sich von links Kahlwild nähert und auf die Wiese vor uns zieht. Nicht weit dahinter vernehmen wir einen noch unsichtbaren Hirsch. Unser Kameramann signalisiert uns, dass das Licht nun schwindet. Das Kameralicht lässt den Beobachter ja erfahrungsgemäß früher als das Büchsenlicht im Stich. Umso mehr hoffen wir, dass sich der Hirsch nun möglichst bald blicken lässt. Irritiert über anschwellendes Glockengeläut blicken wir Eric an, doch der zuckt nur mit den Schultern und flüstert Unverständliches. Schafe? Ziegen? Oder sogar Kühe? Das Kahlwild ist wie vom Erdboden verschluckt, stattdessen hören wir das Stampfen und Trampeln einer ganzen Herde, die sich rasch zu nähern scheint.

Und dann sind sie da, tauchen urplötzlich aus dem Schatten der hohen Bäume neben uns auf. Erst jetzt wird uns klar, dass wir mitten auf dem Trampelpfad einer Herde Pferde hocken! Die Gäule stürmen in hohem Tempo links und rechts von uns durch den Farn, der uns so gute Deckung verschafft hatte. Vom Farn bleibt nicht viel übrig, aber dank Erics beherztem Einsatz, der sofort aufspringt und wild die Arme schwenkend die Herde an uns vorbeidirigiert, bleiben wir und unsere Kamera unversehrt.

Die Pferde, die unseren Ansitz so jäh beendeten, grasen nun friedlich auf der Wiese unter uns und lassen sich nicht weiter stören. Am Auto angekommen, lauschen wir noch ein wenig der imposanten Geräuschkulisse, denn jetzt hören wir das Röhren der Hirsche von allen Seiten. Mal laut, mal leise, mal nah, mal fern: Von überall melden Hirsche. Die Brunft scheint auf ihrem Höhepunkt angelangt zu sein. Idealer hätten wir den Zeitpunkt also gar nicht gewählt haben können. Wir freuen uns riesig auf den nächsten Tag.

Früh raus, hoch hinauf

Um vier Uhr klingelt der Wecker. Noch müde von der gestrigen Anreise und einem langen ersten Abend, schälen wir uns aus den Betten. Trotz der frühen Stunde ist für alle Jäger ein kleines Frühstück vorbereitet. Eric möchte mit uns höher in die Berge hinauf und am Rand des kleinen Skigebiets pirschen gehen. Das hat den Vorteil, dass wir noch ein ganzes Stück den Berg hinauf mit dem Auto fahren können, denn die Wege sind dank der Pistenfahrzeuge gut ausgebaut. Der Horizont verfärbt sich bereits rötlich, als Eric am Rand einer Skipiste sein Auto abstellt. Von hier geht es zu Fuß weiter. Wir schnallen unser Gepäck auf den Rücken und machen uns auf den Weg. Noch ist die Sicht im ersten Licht der Dämmerung begrenzt und die Bergwelt ruhig. Nur weiter unten können wir einige Hirsche melden hören, während es hier auf fast 1 800 Höhenmeter ziemlich still ist.

Wir folgen einem kleinen Grat, glasen immer wieder die mit Heidekraut bewachsenen Wiesen unter uns ab und bestaunen einen spektakulären Sonnenaufgang über wunderschönem Gelände. Weiter unten können wir auf 800 Meter Entfernung ein kleines Kahlwildrudel ausmachen, das immer weiter hinabsteigt. Ein passender Hirsch ist jedoch nicht dabei. Jetzt, wo die Sonne aufgegangen ist, dreht der Wind und weht uns aus dem Tal ins Gesicht. Eric sucht ein kleines Felsplateau auf, von dem wir einen weiten Blick auf die Wiesen und die angrenzenden Wälder unter uns haben. Der Platz scheint verheißungsvoll zu sein. Wir können es uns hier erst einmal bequem machen und ein wenig ausruhen, denn noch tut sich nichts. Leider ändert sich das auch nicht im Laufe der nächsten Stunden, sodass wir unseren Ansitz aufgeben und langsam zum Hotel zurückkehren.

An diesem Morgen ist auch bei den anderen Jagdgruppen nichts geschossen worden. Lediglich gestern Abend sind zwei Hirsche und ein Schmaltier zur Strecke gekommen. Ein befreundeter Jagdführer berichtet Eric von einem vielversprechenden Hirsch, den er am Rand eines kleinen Bergdorfes auf einer Wiese gesichtet hat. Eric lässt sich die Stelle genau beschreiben – das Ziel für den Abendansitz steht nun fest.

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