Leuchtend roter Sommerhauch
| Text: Gabriele Metz |
Wenn sich seine behaarten Stängel mit den prachtvoll roten Blüten vor goldgelber Getreidekulisse unter stahlblauem Himmel im Wind wiegen, ist endgültig der Sommer da. Nachdem er durch Pestizide in Deutschland beinahe gänzlich aus den Getreidefeldern verdrängt wurde, leuchtet der Klatschmohn inzwischen wieder häufiger an Acker- und Feldrändern.
Angesichts seiner leuchtend roten Farbe verdient er zweifellos Applaus. Doch den Namen Klatschmohn erhielt die Pionierpflanze durch ein altes Liebesorakel bei dem die Blüte zwischen den Händen zerklatscht wird. Solange diese Blüten noch in den Knospenhüllen stecken, wohnt ihnen ein ganz besonderer Zauber inne. Aus ihnen lassen sich nämlich Klatschmohnpüppchen basteln, was nicht nur Kinderherzen erfreut. Dazu erntet man die Knospenhüllen, öffnet sie vorsichtig und zupft die hauch-dünnen Blüten einfühlsam in Form. Dann steckt man eine Fruchtkapsel auf den gekürzten Blütenstiel. Fertig ist das Püppchen mit seinem rauschenden Ballkleid. Auch Hochzeitskleider haben eine Verbindung zu Klatschmohn. Im antiken Griechenland überschüttete man Brautpaare mit Mohnblüten, weil diese die Fruchtbarkeit des frisch vermählten Paares beflügeln sollten. Hintergrund des Ganzen: Die Pflanze war der griechischen Fruchtbarkeitsgöttin Demeter geweiht. Im christlichen Glauben spielt das attraktive Ackerkraut ebenfalls eine Rolle: Klatschmohn und reife Getreideähren stehen in der christlichen Bildsprache für das Blut und den Leib Christi.
Auch geschmacklich bietet der Klatschmohn so einiges. Trotz seines minimalen Giftgehalts, den Alkaloide verursachen, lassen sich die Blätter der – noch vor der Blüte stehenden – Pflanze in Salaten verarbeiten oder wie junge Spinatblätter kochen. Ihr Geschmack erinnert an den von Gurken, überrascht aber mit einer Haselnussnote. Ausgereifte Samenkörner sind eine exzellente Zutat für Süßspeisen, und auch auf der knusprigen Kruste eines Brötchens machen sich die winzigen schwarzen Kügelchen bestens. Aus den Samen gewonnenes Öl gilt aufgrund seines exquisiten Geschmacks als Spezialität.
Aus der Naturheilkunde ist der Klatschmohn ebenfalls nicht wegzudenken. Seine beruhigende und schlaffördernde Wirkung ist ebenso bekannt wie sein lindernder Effekt bei Husten, Heiserkeit und Hautproblemen. Aus getrockneten Blütenblättern lässt sich ein wunderbarer Tee ansetzen, und zu Sirup verkocht offenbaren sich vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Als herrlich entspannender Badezusatz lassen sich sowohl Mohnblütentee als auch auch -tinktur verwenden. Da wächst die Lust, selbst Klatschmohn zu ernten. Doch wann? Die Hauptblütezeit ist im Mai und Juni, wobei es bis in den August hinein blühende Bestände gibt. In Deutschland gedeihen vier wild wachsende Arten: der am weitesten verbreitete Klatschmohn, der Sandmohn, der Saatmohn und der Salzburger Alpenmohn, den weiße Blüten zieren und der in Deutschland fast ausschließlich in den Allgäuer und Berchtesgadener Alpen vorkommt.
Der Klatschmohn ist seit der Jungsteinzeit in Mitteleuropa heimisch. Der als typischer Getreidebegleiter geltende Lichtkeimer gelangte damals mit dem Getreide in nördlich gelegene Regionen. Durch den vermehrten Einsatz von Pestiziden ab den 1950er-Jahren wurde der Klatschmohn zunehmend verdrängt. Der Einsatz von Breitbandpestiziden dezimierte jedoch nicht nur den Mohn, sondern auch die blauen Kornblumen und viele weitere Ackerwildkräuter – bis hin zum fast vollständigen Verschwinden. Die vermehrte Reinigung des Saatguts trug das Ihre bei. Doch der Mohn überlebte auf Ausweichflächen. Der Wind trug seine Samen auf den Boden neu angelegter Straßenböschungen, auf Schuttplätze und auf brachliegende Flächen. Heute leuchten die roten Blüten wieder häufiger an Acker- und Feldrändern. Dazu tragen neue, naturverträglichere Pestizide und zugleich ein wachsender Naturschutzgedanke bei.