Lutz Heck – der Mann für Görings Wahn

| Text: Bertram Graf von Quadt |

Zoodirektor, Visionär, Nazi – drei Begriffe, die Lutz Heck gleichermaßen kennzeichnen. Er hatte kühne Ideen, für die er über Leichen ging. Geblieben ist davon wenig. Der Versuch eines Porträts von HALALI-Autor Bertram Graf von Quadt

Sommer 1941. Schüsse hallen durch den Urwald von Bialowieza weit im Osten Polens, einstmals Jagdrevier der russischen Zaren. Aber es sind weder russische Adelige noch polnische Regierungsmitglieder, die hier Jagd auf Wild machen. Das deutsche Polizeibataillon 322 macht Jagd auf Menschen. Reichsfeldmarschall Hermann Göring, Reichsjägermeister im Nebenberuf, will das Revier für sich, und er will diesen letzten Urwald Europas menschenleer haben. Denn die Elche, Hirsche und Wisente, die hier ihre Fährten ziehen, reichen Göring nicht. Er will noch wilderes, noch wehrhafteres, noch germanischeres Wild hier haben: den Auerochsen, den Urstier.

Göring hat schon seit Langem ein Auge auf diese Wildnis geworfen: Von 1933 bis 1938 hatte er jedes Jahr auf Einladung der polnischen Regierung hier gejagt. Der Plan, sich Bialowieza anzueignen, muss in dieser Zeit entstanden sein. Das zeigt sich deutlich auf einem Foto anlässlich der Jagdausstellung in Berlin 1937. Göring steht mit mehreren Männern vor einem Kartentisch, im Hintergrund prangt ein ausgestopfter Wisentbulle. Auf dem Tisch liegt eine Reliefkarte, Tierfiguren darauf. Die Karte zeigt den Urwald von Bialowieza. Zwei weitere Details in diesem Bild sind wichtig: Auf dem Tisch liegt ein mächtiges, in Silber gefasstes Horn eines Auerochsen. Am linken Bildrand steht ein Mann im Mantel mit Hitlerbärtchen: Lutz Heck, Direktor des Berliner Zoologischen Gartens. Heck, Göring, Auerochs und Wisent: In diesem Spannungsviereck spielt die Geschichte des Bialowiezer Urwalds im Dritten Reich.

Lutz Heck ist eine Schlüsselfigur in diesem Spiel, das sich als ein sehr unheiliges herausstellen wird. Lutz wird am 23. April 1892 in eine Zoologenfamilie hineingeboren, deren Vater sie begründet hat. Sein Vater Ludwig war, bevor er den Berliner Zoo übernahm, Oberlehrer. Studiert in Straßburg, Darmstadt, Gießen, Berlin und Leipzig. Zoologe nach Bildung und Leidenschaft. Poliert 1886 den Kölner Zoo auf, geht dann 1888 nach Berlin und macht aus einer Ansammlung von Käfigen, einem Antilopenhaus und einer Elefantenpagode einen der bedeutendsten Zoos Europas. Sohn Lutz folgt ihm vor Ort in den Fußstapfen, Sohn Heinz geht nach München, um den dortigen Zoo auf Vordermann zu bringen.

Lutz übernimmt den Berliner Zoo 1932 von seinem Vater. Aber schon einige Jahre zuvor hat er sich sein eigentliches Steckenpferd erkoren: Heck jr. will Wild wiederansiedeln, dass es seit Jahrhunderten nicht mehr gibt. Elefanten und Tiger kann sich jeder provinzielle Tiergarten halten. Aber ausgestorbenes Wild, das ist ein Kronjuwel. So beginnen Lutz und parallel sein Bruder Heinz in den 1920er-Jahren ein Projekt: die Rückzüchtung des Auerochsen aus bestehenden Rassen domestizierter Rinder. Lutz Heck schreibt in dem Jagdmagazin „Wild und Hund“:

„Wenn alle Lebewesen das Erbgut ihrer Vorfahren […] in sich tragen, so ist durch irgendwelche Erbgänge auch wieder eine völlige Trennung möglich, ähnlich wie ein Mosaik wieder in die einzelnen Bausteine auseinander zerlegt werden kann.“
Aus verwilderten korsischen Rindern, französischen und spanischen Kampfstieren will er alles wegzüchten, was nicht nach Urstier aussieht. Sein Bruder Heinz setzt eher auf Zweinutzungsrassen wie Schottisches Hochlandrind, Ungarisches Steppenrind, Niederungsrind sowie Angler Rind.

Der Auerochse stammt ursprünglich aus Mesopotamien, verbreitet sich aber über ganz Eurasien, Nordafrika und Indien. Im Runenalphabet, im älteren Futhark, hat diese Art einen eigenen Buchstaben: „n“ für „uruz“ – Auerochs. Seit 1627 gilt die Wildart als ausgestorben. Die Brüder Heck haben als Vorlage für ihre Zuchtversuche nur Beschreibungen und Abbildungen wie die in Conrad Gesners „Historiae animalium“ aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, eine Meißener Porzellangruppe aus dem Jahr 1730 sowie Reproduktionen älterer Gemälde. Zudem beziehen sie sich auf die prähistorischen Höhlenzeichnungen von Altamira und Abrigo de los Toros in Spanien. Auf dieser dünnen Basis beginnen sie ihre Arbeit.

1932 wird in München ein Stier geboren, der zu 75 % aus korsischem und zu 25 % aus Angler Rind, Niederungs-, Steppen- und Hochlandrind besteht. „Glachl“ gilt als der erste Zuchterfolg. Da weder Lutz noch Heinz Heck ein genaues Bild des Urstiers haben, proklamieren sie den „Glachl“ (bayrisch für „groß, grobschlächtig“) als Wiederauferstehung des Auerochsen. Ungefähr um diese Zeit wird der Reichsjägermeister Göring auf die Zucht aufmerksam.

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