Messer mit Seele – Scharfe Klingen von der Loire

| Text: Gabriele Metz |

Nur einen Steinwurf von der Grabstätte Leonardo da Vincis entfernt, verfolgt Willy Thibault seinen Lebenstraum mit ebenso unermüdlicher Akribie und Kreativität, wie es einst der berühmte Universalgelehrte tat. Wobei der Franzose keine Flugmaschinen baut, sondern mit Leidenschaft Messer schmiedet.

Die Anfahrt ist spektakulär. Das französische Königsschloss von Amboise erhebt sich majestätisch über die Loire, Europas letztem ungebändigtem Strom. Die Kapelle Saint-Hubert, in der sich das Grab des Universalgelehrten Leonardo da Vinci befindet, verbirgt sich noch hinter Baugerüsten, doch schon bald öffnen sich ihre Pforten wieder für Besucher. Die Straße schlängelt sich mitten durch die historische Altstadt. Mittelalterlich anmutende Gassen, malerische Hausfassaden, gemütliche Bistros und Restaurants laden zum Verweilen ein. Doch ich habe keine Zeit einzukehren. Auf mich wartet Willy Thibault, ein Messermacher, dessen Kreationen Herzblut, Know-how und ganz viel Kreativität vereinen.

Als ich an seinem Atelier eintreffe, empfängt mich ein Hüne mit Vollbart und krausen Augenbrauen. Es ist eiskalt, doch das scheint der Franzose gar nicht zu bemerken. Die nächsten Stunden verbringen wir gemeinsam zwischen Flachstahl, Schmiedeofen, Schleifmaschinen und Schränken voll edler Hölzer und anderer Materialien. Willy ist mit Feuereifer bei der Sache, und ich verfolge gebannt jeden einzelnen Arbeitsschritt bis hin zum vollendeten Messer. Als er es schließlich stolz in den Händen hält, reicht ein Blick in seine glücklich funkelnden Augen, um zu begreifen, dass sein Firmenname keine leere Versprechung, sondern Programm ist.

L’âme de Will. Ein bisschen Französisch muss man schon verstehen, um dieses Wortspiel zu begreifen. Denn dann verwandelt sich Wills Seele in eine scharfe Klinge. Sie verstehen nur Bahnhof? L’âme bedeutet Seele, und Will ist die Kurzform von Willy. Ausgesprochen klingt l’âme wie lame, was sich wiederum mit Klinge übersetzen lässt. Tatsächlich steckt jede Menge Herzblut in den Kreationen des Franzosen Willy Thibault, dessen beeindruckende Körpergröße nicht über seine filigrane Fingerfertigkeit hinwegtäuschen sollte.

Feinste Handwerkskunst

Seine Messer sind feinste Handwerkskunst, von der Klingenspitze bis zum Griff. Eine Leidenschaft, die über einen Umweg begann. 20 Jahre lang verwöhnte Willy die Gaumen französischer Gourmets und Gourmands mit allerbestem Fleisch. Hochwertige Messer hielt der Metzgermeister und Feinkosthändler damals täglich in den Händen. Mit der Zeit entwickelte sich mehr daraus. Das Handwerkszeug beflügelte eine neue Passion: die Messermacherei. „Anfangs fertigte ich in meiner Freizeit Messer für mich, dann auch für Freunde“, erzählt der Franzose, den die Kunst, edles Schneidwerkzeug zu kreieren, nicht mehr losließ. Er arbeitete sich immer tiefer ein, lernte dazu, perfektionierte sich und gab schließlich sogar den Beruf des Metzgermeisters auf, um sich voller Elan seiner neuen Leidenschaft zu widmen. Ein Projekt mit durchschlagendem Erfolg. Heute kann sich der Autodidakt, der vor zwei Jahren sein eigenes Messeratelier in der französischen Königsstadt Amboise eröffnete, kaum vor Anfragen retten.

Besonders begehrt ist das Klappmesser Ambacienâ, dessen Name auf die Zeit der Gallier zurückgeht, in der Amboise noch Ambacium hieß (aus dieser Zeit stammt auch der noch heute gebräuchliche Name für die Einwohner der Stadt: Ambaciens). „Mich interessiert dieser geschichtliche Hintergrund sehr und somit lag es nahe, das Ambacienâ zum Markenzeichen meiner Handwerkskunst zu machen“, sagt Willy mit einem Hauch von Stolz in der Stimme. Sein Faible für Geschichte zeigt sich auch beim nummerierten Messermodell 1470. Denn in diesem Jahr wurde der zukünftige französische König Karl VIII. in Amboise geboren. Dieser verstarb dort allerdings auch nur 27 Jahre später, nachdem er sich den Kopf an einem nied-rigen steinernen Türsturz gestoßen hatte und es infolgedessen zu einer Hirnblutung gekommen war.

„Das Am’bis ist eine Variante des Ambacienâ und inzwischen fast ebenso beliebt“, freut sich Willy. Tisch-, Küchen-, Bowiemesser und Dolche runden sein schnittiges Sortiment ab, und die passenden Messertaschen aus edlem Leder fertigt er gleich dazu. Ein Messermodell erlangte sogar Berühmtheit. Willy fertigte ein Hackmesser für Stéphanie Hein, Frankreichs erste offiziell ausgezeichnete Metz-germeisterin (Meilleure ouvrière de France en Boucherie). Die 31-Jährige gab ihre Karriere als Steuerberaterin auf, um sich dem Fleischer-Metier zu widmen, und inspirierte Willy zu einer Messerkreation, die sie nun täglich bei der Arbeit begleitet.

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