Over!

| Text: Oliver Dorn |

Die Jagd mit der Flinte, vor allem auf Fasanen, wird hierzulande im seltener. Umso größer ist die Freude, wenn es wieder einmal nach England geht, um mit guten Freunden auf schnell und hoch fliegende Fasanen zu jagen.

Es ist Ende November, und wir befinden uns im malerischen Ort Bolton by Bowland im Norden Englands in der Grenzregion zwischen den Grafschaften von Lancashire und Yorkshire. Die Region ist bekannt durch ihre antiken Marktstädte, wie Clitheroe mit seiner normannischen Burg oder Skipton mit seinen weitläufigen Tälern. Historisch berühmt wurde der Ort aber im 15. Jahrhundert, als der bei Hexham geschlagene König Henry VI. in Bolton Hall Zuflucht fand. Diese Schlacht, geschlagen am 15. Mai 1464, markierte während der Rosenkriege das Ende des lancastrianischen Widerstandes im Norden Englands zu Beginn der Regierungszeit Eduards IV. von England. Insofern bietet die Region auch über eine Jagdreise hinausgehend einiges an Attraktionen.

Im Sommer des vergangenen Jahres hatte unser Freund Duncan Thomas, der in Lancashire lebt, uns vom Bolton Hall Shoot berichtet und uns zusammen mit Jim Smith, dessen Shoot Captain, ein Angebot für eine traditionelle Fasanenjagd unterbreitet. Da wir schon einmal in den dortigen Mooren zur Grouse-Jagd waren und dort, abgesehen von der langen Anfahrt mit dem Auto, wunderbare Tage verlebt hatten, nahmen wir gerne an. Schnell war eine bunte Truppe aus deutschen und englischen Freunden zusammengetrommelt, und auch das Finanzielle war rasch geregelt. Die Anzahl an Plätzen respektive Ständen war natürlich begrenzt. Für eine größere Geselligkeit während des Jagdtages wurden die Stände geteilt, was in England nicht unüblich ist. Und so zählten wir die Wochen und Tage, bis wir endlich zu unserer Reise aufbrechen würden.

Challenge Corona

Aber trotz all der Vorfreude auf die anstehende Reise, auf das Wiedersehen mit unseren Freunden und auf neue Bekanntschaften mussten wir doch die Entwicklungen der Corona-Fallzahlen und die damit verbundenen Reisebeschränkungen nach Großbritannien (um dorthin zu gelangen, mussten wir durch drei weitere europäische Länder hindurchreisen) im Auge behalten. Wöchentlich, fast täglich, riefen wir die einschlägigen Seiten der Auswärtigen Ämter auf und wägten die Chancen ab, die Reise überhaupt antreten zu können. Aber auch das Risiko, sich anzustecken und dann in England eine Woche in Quarantäne bleiben zu müssen, bedachten wir genau. Schließlich wurde die Reise unter Einhaltung zahlreicher Auflagen dann glücklicherweise doch möglich. Alle Freunde testeten sich vor Reiseantritt eine Woche lang täglich und stellten die Ergebnisse in die eigens errichtete WhatsApp-Gruppe. Wir alle waren gesund, geimpft und munter – so ging es an einem kalten Novembermorgen mit dem vollgepackten Auto los in Richtung Calais. Die Einreise nach Großbritannien verlief trotz Brexit und Corona dank sorgfältiger Vorbereitung problemlos. Fünfeinhalb Stunden versprach das Navigationsgerät, um zu unserem Freund Duncan zu gelangen, der uns für den Abend vor dem Shoot zu sich eingeladen hatte. Nach rund acht Stunden erreichten wir dann unser Ziel, und somit unsere Freunde, pünktlich zum Abendessen.

Frostiger Morgen

Um 6.30 Uhr reißt uns der Wecker aus dem viel zu kurzen Schlaf. Die heiße Dusche, der Instantkaffee aus der Minibar, aber vor allem die Vorfreude auf den Tag vertreiben die Müdigkeit. Eine Dreiviertelstunde brauchen wir, um über enge Landstraßen, durch frostige Täler und verschlafene Ortschaften nach Bolton zu gelangen. Wir treffen uns auf einem Bauernhof, der durchaus als Landgut bezeichnet werden darf. Frühstück, bestehend aus Sandwiches mit Bacon und HP Brown Sauce, Kaffee und Tee, gibt es in der zur Shoot Bar ausgebauten Scheune. Auch sind Schnelltests für alle ausgelegt, die von einem Mitglied des Bolton Hall Shoot Syndicates überprüft werden. Hier lernen wir auch Jim, den Shoot Captain, und Russell, seinen Gamekeeper, sowie alle am Tagesablauf beteiligten Treiberinnen und Treiber sowie Hundeführerinnen und -führer kennen. Die Gastgeschenke, wie diverse HALALI-Ausgaben, zwei Kästen Augustiner Hell und eine größere Zahl an von Duncan erbetenen deutschen Party Shots, werden dankend angenommen, und so kommen wir gut gelaunt ins Gespräch. Weitere Gäste erreichen den Hof. Ein in die Jahre gekommener Rolls-Royce rollt auf den Hof, auf dem alle Fahrzeuge abgestellt sind. Ein klassisch gekleideter Chauffeur steigt aus und öffnet die Türe des Fonds. Sein Fahrgast ist ein schrullig aussehender Herr, der einen grünen Jagdanzug, gekrönt von einem grünen Hut mit einer weißen Feder, trägt. „Die Iren sind da!“, ruft Jim Smith. Nach einem kurzen Moment der Sprachlosigkeit brechen alle in → schallendes Gelächter aus. Schnell wird uns klar, dass ein Jagdtag mit einer ordentlichen Portion Humor vor uns liegt. Nachdem alle den Auftritt „der Iren“ verdaut haben, werden die Stände verlost. Gegen 9.30 Uhr ertönt das Horn, und das Bolton Hall Shoot Syndicate bläst zum Aufbruch zur Jagd. Waffen und ausreichend Munition werden auf die ATVs und die übrigen geländegängigen Fahrzeuge verteilt, und so geht es hinaus aus Bolton in die umliegenden, noch frostbedeckten Felder. Das erste Treiben findet an einem Flüsschen statt, das sich elegant an einer bewaldeten Anhöhe vorbeischlängelt. Der warme Atem der Schützen steigt auf, während die Füße deutliche Spuren auf den von Reif überzogenen Wiesen hinterlassen. Bis alle Schützen stehen, dauert es etwas, denn einige Zäune müssen überquert werden, um die äußeren Stände zu erreichen. Mein Freund Gary Tate hat dafür gesorgt, dass uns leihweise Flinten zur Verfügung gestellt wurden, da wir, coronabedingt, für unsere eigenen keine Einfuhrgenehmigungen einholen wollten. Normalerweise schieße ich eine Querflinte, und so mache ich nun mit der Bockdoppelflinte ein paar Trockenanschläge und schwinge hin und her, um mich mit der Waffe vertrauter zu machen. Da ertönt auch schon das Hornsignal. Das erste Treiben des Tages beginnt. Die Treiberschar bewegt sich von links nach rechts auf der Anhöhe und im Hang, ihre Plastikfahnen schlagend. Was bei uns das Hopp-Hopp ist, ist hier das harte Klatschen dieser Plastikfahnen, das die Vögel hochschrecken lässt. Die ersten Schüsse fallen weit links, einige Vögel steigen auf, fliegen eine Parade im Hang vor den Schützen und fallen wieder ein. So kommt natürlich kein Schuss infrage. Jetzt fallen erste Fasanen bei meinen Nachbarn. Immer wieder hallt es „Over!“ aus dem Hang und von der Kuppe. Ich blicke konzentriert in alle Richtungen. Die Vögel fliegen hoch und schnell in den blauen Himmel hinein. Jetzt knallt es auch bei mir. Aber ich bin wohl noch → zu steif an diesem frostigen Morgen, denn außer Luft treffe ich nichts. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Duncan hinter mir steht und jeden meiner Schüsse kommentiert. So lese ich dann nach dem Schlusssignal meine verschossenen Hülsen auf und schiebe etwas betrübt die Flinte ins Futteral zurück. Zusammen mit den benachbarten Schützen geht es zurück zu den Fahrzeugen, während die Spaniels und Labrador Retriever noch im Hang und auf den Wiesen die erlegten Fasanen auflesen und den Picker-ups apportieren. An den Autos angekommen, wartet auch schon die erste kulinarische Überraschung auf uns: der erste Snack und der erste Drink. Es gibt herzhafte warme Würstchen im Brotteig, Senf und einen heißen, pfeffrig-scharfen Tomatensaft mit Schuss – das sollte den Kopf und die Glieder etwas beweglicher machen.

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