Pirsch zwischen Donau und Drau

| Text: Oliver Dorn |

Vor einigen Jahren durfte HALALI-Autor Oliver Dorn spannende Jagdtage in der französischen Sologne erleben. „Stalk and Walk“ nannte er das Pirschen auf tagaktives Wild in den abgelegenen Waldgebieten fernab jeglicher Metropolen. Ein Angebot des Jagdreiseveranstalters Forst Eibenstein auf der Messe Jagd & Hund 2024 versprach tagaktives Wild in der kroatischen Baranja. Ein guter Grund für die Jagdfreunde Oliver und Mark, abermals eine gemeinsame Reise nach Kroatien anzutreten.

Die Baranja und ihre unverwechselbare Schönheit kennenzulernen hatte ich bereits im Herbst 2023 die große Freude, als ich dort die Hirschbrunft mit zwei Freunden erleben durfte. Jetzt sollte es ein zweites Mal in das Land zwischen Donau und Drau gehen – dieses Mal allerdings auf Schwarzwild. Genauer gesagt auf tagaktives Schwarzwild in der Region um Zlatna Greda. Begleiten sollten mich mein langjähriger Jagdfreund Mark und als Kameramann Ralf, mit dem wir beide ebenfalls schon sehr lange freundschaftlich verbunden sind. Der Reiseveranstalter plante uns für Anfang Oktober ein, und wir drei bereiteten uns mit viel Freude auf die gemeinsame Reise vor. Dann kam es, dass ein wichtiger Termin unsere Pläne durchkreuzte. Ralf und ich mussten beide zu einer Kundenveranstaltung, die wir nicht ablehnen konnten. Ein neuer Reisetermin musste her – und wurde im November gefunden. Glück für uns, wie sich später herausstellen würde.

Das Reiseziel Zlatna Greda

Zlatna Greda befindet sich im östlichen Teil der Baranja, etwa 30 Kilometer von Osijek entfernt, und liegt am nörd-lichen Eingang zum Naturpark Kopački rit unweit der Draumündung. Zu diesem ca. 24 000 Hektar großen Gebiet gehören auch mehrere Flussarme und Seen in der Nähe der Donau. Das Gebiet ist eines der größten und wichtigsten erhaltenen Sumpfgebiete in Europa. Es grenzt an den ungarischen Nationalpark Duna-Dráva und einen Teil eines
Naturschutzgebiets in Serbien. Kopački rit ist also ein gigantisches Feuchtbiotop, das sich über drei Länder erstreckt. Und es steckt voller Wild. Die Region unterhält dort das „Haus in der Natur Zlatna Greda“, eines der beliebtesten Ausflugsziele in Slawonien und der Baranja – ein wahres Paradies für Abenteurer und Naturfreunde. Unser gastgebendes Forstamt dort ist seinerseits bekannt für starke und stärkste Rotwildtrophäen. Leider werden bei größeren Überschwemmungen große Flächen vom Wasser überflutet. Zwar machen diese Überschwemmungen das Gebiet zu einem der wichtigsten Fortpflanzungsgebiete für Fische in Europa, jedoch verändern sich auch das Erscheinungsbild des Gebiets und die Bewegungsmöglichkeiten in Abhängigkeit von der Dynamik der Überschwemmungen. Das hätten wir zu unserem ersten Reisetermin sicherlich deutlich zu spüren bekommen, denn Ende September hatte eine Donau-Flutwelle Kroatien mit einem Höchststand von 708 Zentimetern erreicht. So auch die Region um Zlatna Greda.

Anreise mit Hindernissen

Mitte November war es dann so weit. Wir drei starteten von Düsseldorf aus, der Flug ging dann über München nach Osijek. Es sollte eine deutlich kürzere Reise als im Jahr 2023 werden, denn in Zagreb mussten wir damals einen Mietwagen nehmen und eine mehrstündige Autofahrt hinter uns bringen. Osijek lag da schon deutlich näher am Zielort – nur die diensttuende Flughafenpolizei kannte sich so gar nicht mit der Waffeneinfuhr aus. Der EU-Feuerwaffenpass langte ihnen nicht – nein, um eine Waffe einführen zu können, hätte sie vorher im Ursprungsland ausgeführt werden müssen. Eine gute halbe Stunde später fanden wir eine einvernehmliche Lösung, die der kroatischen Bürokratie schmeichelte, und wir konnten die Waffe einführen. Mein Hinweis, dass das in Zagreb eigentlich immer ganz einfach gewesen sei, half an dieser Stelle übrigens gar nicht. Im Gegenteil. Wie verabredet holt uns der Reiseveranstalter am Flughafen ab, und eine gute Viertelstunde später sitzen wir im SUV und fahren in Richtung Zlatna Greda. Der Weg dorthin führt uns durchs alte Osijek, das sicher einen abendlichen Besuch wert ist, durch alte Dörfer, wie ich sie von meiner ersten Baranja-Reise kenne, entlang abgeernteter Felder schließlich durch tiefen Wald. Neugierig hängen wir an den Fenstern des Wagens und kommentieren die umgebrochenen Straßenränder, und es dauert nicht lange, bis wir die ersten Sauen sehen. Ungläubig schauen wir uns an. Es ist erst kurz nach Mittag! Unser Fahrer erklärt uns, dass das hier völlig normal sei.

Die Fahrt geht weiter, und wir passieren das „Haus in der Natur Zlatna Greda“ und seine anliegenden Familienattraktionen vom Kletterpark bis zum Naturlehrpfad: alles sehr gepflegt und – alles verlassen. Gut, es ist keine Saison, und auch die umliegenden Häuser sind teils bewohnt, teils dem Verfall überlassen. Also ideal, um Wild wieder tagaktiv werden zu lassen. Wir verlassen den dichten Wald und biegen auf einen meterhohen Damm ab. Auch hier sprechen die Zeichen eine eindeutige Sprache: Es gibt reichlich Schwarzwild. Als wir auf den Hof des Gästehauses des Staatsreviers Baranja fahren, sehen wir an der umgebrochenen Wiesenfläche, dass die Sauen bis auf den Hof kommen. Das Jagd- und Gästehaus macht einen guten Eindruck, und auch die Zimmer enttäuschen nicht. Wir ziehen uns um, treffen uns im Jagdzimmer zu Kaffee und Briefing. Der Forstamtsleiter spricht gutes Deutsch, die Pirschführer verständliches Englisch. Warum wir keine Gummistiefel dabeihätten? Zur Pirsch? Ja, die Wege könnten nass sein – na, das werden wir später sehen. Die Freigaben sind großzügig. Gebucht hatten wir jeder einen reifen Keiler, der, wie avisiert, in dem Revier ohne große Probleme bei der Tagespirsch erlegt werden könnte. Frischlinge, Überläufer könnten ebenfalls erlegt werden. Außerdem sähe es das Forstamt gerne, wenn auch Kahlwild und schwächere Hirsche erlegt würden. Und natürlich Schakale. Geplant sind fünf Pirschgänge, montagnachmittags bis in den Abendansitz hinein, dienstagmorgens und -nachmittags bis in den Abend hi-nein, dasselbe am Mittwoch. Für Donnerstagvormittag ist die Abreise vorgesehen.

Zombie-Wald

Es ist mittlerweile früher Nachmittag, und wir haben den obligatorischen Probeschuss absolviert. Mark und ich er-halten jeweils einen Pirschführer zugeteilt. Mich begleitet außerdem Ralf, um zu fotografieren und zu filmen. Wir verlassen den Hof des Jagdhauses und fahren auf den Damm. Mark und sein Jäger sind vor uns, biegen nach wenigen Minuten nach rechts ab und verschwinden aus unserem Blickfeld. Wir fahren eine Weile weiter und biegen dann nach links ab. Wir passieren die erste Baumreihe und stehen vor einem Arm der Drau. Die Ufer sehen aus wie nach einem Tsunami. Bäume, Äste, Büsche, Dreck stapeln sich, und ein Bagger arbeitet daran, die natürliche Ordnung wiederherzustellen. Der Dacia Duster des Jägers durchfährt eine abgesteckte Furt (links und rechts erkenne ich Brückenreste), und wir fahren in einen Wald, wie ich ihn nie zuvor gesehen habe. Alles, jeder Baum, jeder Strauch ist bis in gut anderthalb Meter Höhe in ein fahles, totes und kaltes Grau gehüllt. Es wirkt auf uns, als würden wir durch eine graue Gaze blicken. Was hier passiert sei, wollen Ralf und ich wissen. „Das Hochwasser war da“, bekommen wir zu hören. „Bis vor wenigen Wochen stand uns hier das Wasser noch bis zur Brust. Das Wasser ging, der Dreck blieb.“ Dazu habe es eine Weile auch nicht geregnet. Wir können kaum glauben, was der Jäger uns da erzählt. Und da wir absolut keinen Handyempfang haben, fällt eine aufklärende Webrecherche erst einmal aus. Wir holpern also durch diesen gespenstischen, wie tot wirkenden Wald, bis unser Jäger den Wagen anhält, um einen am Wegrand geparkten Anhänger anzukoppeln. Weiter geht es in den Wald, der nie enden zu wollen scheint. Wir erinnern uns an die Sauen am Straßenrand von heute Mittag. Da schien alles ganz normal, aber das war ja auch auf der anderen Seite des gewaltigen Dammes. Jetzt befinden wir uns inmitten mehrerer Flussarme, auf einem mehrere Tausend Hektar großen Eiland – nicht allzu weit entfernt von der serbischen Grenze. Hier muss das Wasser tagelang gestanden haben. Wir können uns nicht vorstellen, hier auf Leben zu stoßen – allenfalls auf Zombies. Wir pirschen dann zwei gute Stunden über Wege durch diesen (sicher nur temporär) toten Wald. Eine verlassene Forstsiedlung mit Jagdhaus aus dem frühen 20. Jahrhundert unterbricht die Tristesse. Es gibt zahlreiche große Äsungsflächen mit gigantischen Jagdschneisen, wie ich sie auch im Jahr zuvor in der Baranja kennengelernt habe. Jede gesäumt von massiven Hochsitzen, die ebenfalls bis zur Brusthöhe mit einem grauen Schlammschleier überzogen sind.

Für das Rotwild gibt es frisch bestückte Raufen und für die Sauen große Wühlflächen, auf denen der Mais schimmert. Aber kein Wild kommt in Anblick. Als wir die x-te Fläche ergebnislos abglasen, wird unser Jäger zunehmend unruhig. Auch der Blick durch die mitgeführte Wärmebildkamera enttäuscht. Keine Wärmesignatur in der näheren Umgebung. Kein Leben. Wir laufen zurück zum Wagen und fahren eine Weile, um dann, es dämmert bereits, an einer gigantischen Äsungsfläche auf einem Hochsitz aufzubaumen. Angestrengt und voller Hoffnung, angesichts des großzügigen Äsungs- und Fraßangebots gute Hundert Meter vor uns, glasen wir die Waldränder ab. Doch nichts passiert. Es wird dunkel, als ich mit der Wärmebildkamera eine Signatur am Waldrand rechts vor mir ausmache. Auch der Jäger hat etwas entdeckt. Viel gesprochen wurde bislang nicht. Jetzt raunt er leise: „Schakal“ Und da kommt er auch schon und schnürt quer zur Fläche auf uns zu. Unsere Blicke treffen sich, es ist inzwischen zu dunkel für einen sicheren Schuss auf diese Entfernung. So baumen wir ab und gehen zum Auto, um den Rückweg anzutreten. Im Licht der Scheinwerfer wirkt der graue Wald noch gespenstischer, noch bizarrer. Wir nähern uns dem Drau-Arm und dem schützenden Damm. Plötzlich überfällt eine Sau nach der anderen den Waldweg, auf dem wir fahren. Überläufer, Frischlinge, einige reife Sauen sind auch dabei. Wir halten an und genießen den Anblick der Wildtiere, die ganz offensichtlich auf dem Weg sind, um die Äsungsflächen, die wir tagsüber verlassen vorgefunden haben, zu leeren. Als wir, den Flussarm hinter uns lassend, den Damm hinauffahren, trauen wir unseren Augen nicht. Ungezählte Stück Rot- und Schwarzwild ziehen in diesem Moment von der anderen Seite des Dammes, der Seite, die nicht von der Flut heimgesucht wurde, auf die, die wir soeben verlassen haben. Wir bleiben stehen, und ich nutze diesen Anblick, um Aufnahmen mit der Wärmebildkamera zu machen. Der Pirschgang findet dann noch vor dem Tor des Jagdhauses einen Höhepunkt, als wir durch eine Rotte Sauen hindurch auf den Parkplatz fahren. Die halten uns dann aber nicht mehr aus, als wir den Wagen verlassen und auf sie zugehen. Mark trifft etwas später ein. Erlegen konnte er nichts, hatte aber reichlich Anblick bei bestem Licht. Wir tauschen unsere Erlebnisse aus und berichten von völlig gegensätzlichen Natureindrücken an diesem ersten Jagdtag in Zlatna Greda.

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