Rechgeiß vnd Rechböck – Ein Steckbrief zum Rehwild im Mittelalter

| Text: Prof. Dr. Simone Schultz-Balluff |

Die Jagd in Texten und Bildern des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit.

Im ‚Buch der Natur‘ von Konrad von Megenberg (entstanden in der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts) sind dem Rehwild nur wenige Zeilen gewidmet. Diese enthalten in aller Kürze Informationen über die lateinischen Bezeichnungen, eine allgemeine Charakterisierung und spezifisches Verhalten:

Von dem reche etc.

Capreola zu latin heisset zu tuczsch ein reche. Plinius spricht rupicapra heissz ein wilde geisz. Vnd das ist ein grymigs tierlin vnder sinem geslecht. Aber vnder den andern tieren ist es forchtig vnd senffter. Derhande bocke hant grossen krieg vmb die geiszlin wan sy in der brünfft lauffent sinde.

Das lateinische Capreolus heißt auf Deutsch Reh, Plinius sagt, Rupricapra bedeutet wilde Geiß. Unter seinen Artgenossen ist es ein kampfwütiges Tierlein. Aber unter anderen Wildtieren ist es zurückhaltend und unterwürfiger. In der Brunft tragen die Böcke große Kämpfe um die Geißen aus.

Die bildliche Darstellung des Rehwilds ist in den spätmittelalterlichen Büchern recht unspezifisch, zumal das weibliche Rehwild und nicht der Gehörn tragende Bock abgebildet wird. Der Muffelfleck als typisches Unterscheidungsmerkmal wird nicht bildlich umgesetzt, weibliches Reh- und Rotwild sehen daher sehr ähnlich aus. Eine Zuordnung ergibt sich nur über den zumeist mit abgebildeten Rothirsch, wie die Zusammenschau aller möglichen Tiere bei Konrad von Megenberg zeigt (vgl. die Abbildung links): Während Esel, Wildschwein, Auerochse, Kamel, Hund, Steinbock, Elefant, Pferd, Löwe und Hase jeweils als ein-zelne Vertreter abgebildet sind, werden Hirsch und Alttier spiegelbildlich dargestellt – das Reh fehlt jedoch.

Reh- und Schwarzwild waren nicht nur in der deutschsprachigen Jagdliteratur jahrhundertelang „Stiefkinder der Jagdliteratur“, so Kurt Lindner. Dementsprechend erfährt man sehr wenig über das im Schatten des Rotwilds stehende Wildtier.

Fährtenlesen und Trittsiegel

Wie sehr das Rehwild im Zusammenhang mit dem Rotwild gesehen wird, zeigt der Eintrag über das Trittsiegel, der vom Bock ausgehend formuliert wird:

Spuren von einem rehbockh

Sein fueß jst ein wenig runder vnd lenger dann der geyß vnd vergleicht sich jn vielen zeichen mitt dem hirschen. Der geyß fueß jst dünne, schmahl, jst schier eine vergleichung mitt willdtbreth. (Hohenlohesche Handschrift, Kap. 65)

Trittsiegel von einem Rehbock

Sein Fuß ist ein wenig runder und länger als der der Geiß und stimmt in vielerlei Merkmalen mit dem des Hirsches überein. Der Fuß der Geiß ist dünn, schmal, so wie der des Alttiers.

[Weibliches Rotwild wird entweder als tier oder wildbret bezeichnet; Anm. d. Verf.]

 

Wildacker und Fütterung

Eine ausführliche Anleitung für die Anlage von Wildäckern für Rehwild und zur Winterfütterung enthält die Hohenlohesche Handschrift, ein Jagdbuch aus dem 16. Jahrhundert. Für einen Wildacker, der auch von anderem Wild angenommen wird, nimmt man Hafer, Buchweizen, Wicken, Erbsen, Rot- und Braunkohl, Rüben und anderes Sommergetreide. Sobald der Acker blüht, werden die Pflanzen mit einem Brei aus Roggen-, Weizen- und Hafermehl und Salz besprengt. Dies soll man nach jedem Regen wiederholen. Dazu kann man noch einen Salzstein legen. Für die Winterfütterung werden zusätzlich Haferstroh und Misteln empfohlen, die auf Stöcke oder Pfähle gebunden werden, dazu können
Eicheln, Bucheckern und Hafer ausgestreut werden.

Standorttreue und Salzlecke

Eine weitere Maßnahme, um das Rehwild standorttreu zu machen, ist das Errichten von Salzlecken. Hierfür werden abgeschlagene Eichenstämme eingegraben und Löcher hineingebohrt, die mit Salzlauge gefüllt werden, schließlich soll man den Stamm noch mit Urin bestreichen (Das Weidwerk in der Haushaltung in Vorwerken, Kap. 1). Schließlich soll man einige Rehe an Hunde gewöhnen: Diese lässt man von Hunden dorthin hetzen, wo sie andere Rehe finden, die dann schließlich gemeinsam mit den zahmen Rehen zurück zu der Salzlecke kommen. Der Verfasser des Jagdbuchs weiß, dass dies nur im Winter funktioniert: Innsonderheit jm wintter, wan sich die reher gerne zusammen haltenn, welches sie jm sommer nicht thun. (ebd.) Im Jagdbuch des Cornelius Latomus (Kap. 37) besteht die Lecke für Rehwild auf der Basis von Fenchelkraut. Auch hier wird darauf gesetzt, dass ein Reh an die Lecke kommt und wieder zu den anderen Rehen zurückkehrt. Diese nehmen den Geruch des Fenchels wahr und folgen dem Reh zu der Lecke.

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