Respekt vor dem Wild

| Text: Ilka Dorn |

Jede Jagd ist anders als die vorhergegangene. Jeder Schuss ist anders als der vorige. HALALI Redakteurin Ilka Dorn erlebt anläßlich einer Süd-Afrika Reise, wie sich aus einem sicheren Schuss Selbstzweifel ergeben und schließlich die Verantwortung für das Wild zum guten Ende führen.

Prolog

Draußen ist der erste Schnee gefallen. Doch die Freude währt nur kurz, denn schon hat die feuchtkalte Novemberluft die weiße Pracht in ein matschiges Etwas verwandelt. Genau das richtige Wetter, um es sich, in eine warme Decke gekuschelt und mit dem Laptop auf den Knien, zu Hause auf dem Sofa so richtig gemütlich zu machen und von der letzten Jagdreise zu träumen und die Eindrücke zu Papier zu bringen. Doch so einfach geht es mir diesmal nicht von der Hand und die Geschichte will nicht so leicht erzählt werden. Hatten doch die Erlebnisse in Südafrika, von denen ich heute berichten möchte, eine nachhaltige Wirkung auf mich und nach wie vor bin ich mir nicht sicher, ob ich darüber berichten sollte oder nicht. Nun könnte man es sich leicht machen und einfach eine andere Geschichte erzählen, denn erlebt haben wir viele, doch lässt mich diese eine Begebenheit einfach nicht los, so dass ich mich letztlich dafür entscheide, sie niederzuschreiben.

Jeder Jäger ist sicher schon einmal an dem Punkt gekommen, an dem er nicht auf sich stolz war, an dem nicht alles so einfach geklappt hat und an dem er an sich gezweifelt hat. Auch ich kann mich davon nicht freimachen. Fehler passieren, doch wenn es bedeutet, das einem Tier Leid angetan wurde, dann kann man das nicht so einfach abtun. Mir geht so etwas immer ganz besonders an die Nieren, denn wenn ich nicht zu 100% sicher bin, dass ich einen sauberen Schuss abgeben kann, dann lasse ich den Finger gerade. Doch auch das ist Jagd und wir alle sind nicht perfekt, so dass ich mich schon allein deshalb entscheide, darüber zu berichten, damit auch andere davon lernen können.

Die Große Karoo

„Krach!“, mit einem unangenehmen Geräusche setzt der Toyota Hilux auf einem großen Stein auf. Glen, unseren Jagdführer, scheint es nicht weiter zu kümmern und fährt er unbeirrt weiter. Jetzt um diese Jahreszeit sind hier in Südafrika viele der Wege ausgewaschen und nur mit den robusten Geländefahrzeugen zu befahren. Mein Mann Oliver und ich halten uns links und rechts am Geländer neben den Sitzen fest, haben aber dennoch unsere liebe Müh´, das Gleichgewicht zu halten. Die Kamera habe ich mittlerweile wieder gut verstaut, doch die Ferngläser, die vor uns auf der Ablagefläche liegen, rutschen hin und her. Wir hängen sie uns lieber um, bevor sie noch an der Seite herausfallen. Das schwere Fahrzeug heult jetzt auf, ein Reifen dreht durch bevor er schnell wieder Grip bekommt und den Hilux die steile, felsige Stelle Meter für Meter weiterbringt. Doch jetzt neigt sich das Auto beängstigend weit nach rechts, und während uns die Schwerkraft in die Seite des Hecks drückt, schauen wir mit einem unbehaglichen Gefühl dort den Abhang hinunter. Ein paar Steine werden unter den Reifen nach hinten wegeschleudert, während das Fahrzeug langsam wieder in die Horizontale kommt und die nächste Serpentine nimmt. Wir atmen auf, denn jetzt ist der Weg weniger steil und nicht mehr so steinig. Glen schaltet in den nächsten Gang und beschleunigt etwas, so dass wir uns wieder darauf konzentrieren können, uns umzuschauen und nach Wild Ausschau zu halten. Unter uns liegt das Tal durch das sich der kleine Fluss Sundays River schängelt, an den Seiten türmen sich die Klippen von Willow Slopes auf und am endet können wir gerade noch so unsere Lodge erkennen, die inmitten von grünen Wiesen am Rande des Buccara Wildlife Reserve liegt.

Die Große Karoo ist eine hügelige Halbwüstenlandschaft, die sich vor allem durch geringe Niederschläge, die trockene Luft, der wolkenlose Himmel und die extremen Hitze- und Kälteperioden auszeichnet. Die Sandsteinformationen, die hier viel zu finden sind, sind typisch für die Große Karoo. Die extremen Hitze- und Kälteunterschiede haben im Laufe der Zeit den porösen Sandstein geformt und wahre Skulpturen und Kunstwerke erschaffen. Auf mich wirkt es so, als hätten Riesen mit den Felsen Steintürme errichtet, ganz so wie man sie zuhauf an steinigen Stränden findet, nur eben sehr viel größer und imposanter. Wir können uns gar nicht satt sehen – so malerisch und imposant sind diese Felsformationen am Rande der Klippen.

Jetzt haben wir das Felsplateau erreicht. Vor uns erstreckt sich eine flache Ebene mit niedrigen Sträuchern, Sukkulenten und Savannengras. Glen stoppt das Auto, steigt auf die Trittfläche an seiner Seite und glast die Fläche vor uns ab. Eine Handvoll Springböcke äugt in unsere Richtung, scheint sich aber sonst nicht weiter um uns zu kümmern. Sehr weit entfernt sehen wir in großen Fluchten einen Strauß davon eilen, doch mehr sehen wir erst einmal nicht. Die Hitze lässt die Luft flirren und wahrscheinlich ist das der Grund, warum noch so wenig Wild auf den Läufen ist. Am Morgen konnten wir uns bereits vom Wildreichtum dieser Region überzeugen, immer wieder stießen wir auf unserer Erkundungsfahrt durch die felsige Landschaft auf Zebras, Giraffen, Impalas, Gnus, Wasserböcke und Springböcke. Doch jetzt scheint das Wild noch träge und faul im Schatten zu liegen.

Glen steigt wieder ins Auto und wir setzen die Fahrt fort. Hier in Afrika ist dies die übliche Form der Bejagung. So kann ein relativ großes Gebiet bejagt werden, ohne das Wild übermäßig zu beunruhigen. Man fährt mit dem Auto herum, welches in der Regel vom Wild nicht als Bedrohung wahrgenommen wird, und hält nach Wild Ausschau. Bei der„Spot and Stalk“-Methode geht es darum, möglichst das Wild zu sehen, bevor es die Jäger bemerkt. Sollte passendes Wild entdeckt werden, nähert man sich dem Wild zu Fuß und erlegt das Wild auf der Pirsch mit dem Schiessstock.

Jetzt wird die Vegetation links und rechts wieder dichter und vor uns tauchen ein paar der bizarr anmutenden Felsformationen auf. Ein Zeichen, dass das Plateau hier endet, und für uns, das wieder eine beschwerliche Fahrt in Serpentinen den Hügel hinab bevorsteht. Ich hänge mir das Fernglas um, verstaue die Kamera und wappne mich auf was kommt. Glen schaltet einen Gang herunter, legt die Differentialsperre ein und fährt an den Rand des Plateaus. Langsam geht es abwärts, doch wir kommen nicht weit. Glen stoppt nur für einen ganz kurzen Augenblick das Auto, legt den Rückwärtsgang ein und fährt wieder auf das Plateau zurück. Hier dreht er das Auto um und entfernt sich weiter vom Rand des Plateaus. Hinter einem größeren Flesen parkt er, steigt aus und kommt zu uns ans Heck des Geländewagens.

Wasserbock in Anblick

Unterhalb des Plateaurands hatte Glen eine Gruppe Wasserböcke entdeckt. Diese will er sich jetzt einmal näher anschauen, ob dort nicht ein passender Bock dabei ist. In aller Ruhe können wir uns fertig machen, weit genug vom Wild sind wir noch entfernt. Ich lade die Waffe fertig, Glen überprüft den Wind und schon geht es im Gänsemarsch vor zum Plateaurand. Dort angekommen suchen wir hinter einem halbhohem Strauch ein Deckung und beobachten die Stücke. Ein wenig unterhalb von uns stehen auf knapp 400 m drei Wasserböcke. Das Gelände ist unübersichtlich und mit halbhohen Sträuchern und großen Steinblöcken übersät. Trotz ihrer Größe sind die Wasserböcke hervorragend getarnt und lassen sich auf die Entfernung nur schwer ausmachen.

Für mich gehören Wasserböcke zu den schönsten afrikanischen Antilopenarten und standen schon immer auf meiner Wunschliste. Mit ihrem zotteligem, graubraunem Fell wirken sie eher gemütlich und behäbig, doch der äußere Eindruck täuscht. Hervorragend an ihre Umgebung angepasst, finden sie sich in dieser Landschaft bestens zurecht und sind oftmals so schnell wieder verschwunden wie sie aufgetaucht sind. Glen überprüft noch einmal den Wind. Wir müssen einen Bogen machen, um näher heranzupirschen. Die buschigen Speckboom-Sträucher schützen uns davor, dass uns das Wild mitbekommt und so kommen wir gut voran, obwohl wir immer wieder größeren Felsblöcke umrunden müssen, die hier überall herumliegen. Ein altes Windrad ist unser Ziel, noch einmal tief geduckt eine etwas offenere Fläche überqueren und wir sind am Ziel. Hinter einem Busch überprüfen wir noch einmal die Entfernung. Knapp 200 m!

Die Wasserböcke sind jetzt ein wenig weiter gezogen. Hier wird der Bewuchs höher und jetzt kann ich auch erkennen, dass noch weiteres Wild hinter den Büschen steht. Glen überlegt und flüstert mir zu, dass er doch lieber noch etwas näher heranpirschen würde. Das ist mir recht, denn das Wild ist nicht beunruhigt und hat uns nicht mitbekommen. Meinen Mann lassen wir hier am Windrad stehen und machen uns zu zweit auf, noch ein wenig näher zu pirschen. Auch wenn wenn die Distanz nur kurz ist, brauchen wir für die 40 m fast 10 Minuten, dann geht es nicht weiter. Glen stellt den Schießstock auf, ich lege die Waffe auf, ein kurzer Entfernungscheck – 154 m, das sollte passen.

Die drei Wasserböcke stehen direkt vor uns, das Wild hinter den Büschen ist weitergezogen. Einer der Wasserböcke hat ein etwas hellere Decke und die Hörner neigen sich ellipsenartig nach innen – den soll ich erlegen, flüstert mir Glen zu. Ich gehe in Anschlag, das Absehen liegt ruhig auf dem Wildkörper und schon lasse ich die Kugel fliegen.

Ich sehe das Wild nicht zeichnen, bin aber gut abgekommen. Die drei Böcke fliehen nach rechts, der von mir beschossene Bock verharrt kurz hinter einem Busch, macht eine unnatürliche Bewegung fast wie ein Taumeln und ich erwarte jeden Moment, dass er niedergeht. Doch dann ist er außer Sicht, denn jetzt versperrt mir ein dichter Busch vor mir das Sichtfeld. Glen legt seine Hand auf meine Schulter, lächelt mich zuversichtlich an und nickt. Ich bin beruhigt, wahrscheinlich liegt das Stück hinter einem großen Busch oder Felsen und ist einfach nicht zu sehen. Ich versuche mir noch einmal genau den Anschuss zu merken. Wir warten noch auf Oliver, dass er zu uns stößt und dann gehen wir los. Schon nach kürzester Zeit habe ich den Punkt, wo ich den Anschuss vermute, verloren. Zu gleich sieht hier alles aus und da wir immer wieder Büschen und Steinen ausweichen müssen und nicht in einer gerade Linie laufen können, habe ich den Busch vor dem der Wasserbock stand aus den Augen verloren.

Am Anschuss angekommen oder zumindest an dem Ort an dem wir diesen vermuten, finden wir nichts. Das Gelände ist hier viel unübersichtlicher als von der Schussposition aus betrachtet. Der Wasserbock könnte überall liegen, hinter dem nächsten Busch, Strauch oder Felsen. Was uns jedoch viel mehr beunruhigt ist das Fehlen von Schweiß. Wie überlegen gemeinsam und rekapitulieren. Glen ist sich sicher, dass das Stück gezeichnet hat. Ich kann dazu nichts beitragen, außer, dass ich ruhig war und ein gutes Gefühl beim Schuss hatte. Das leichte Taumeln ist uns beiden aufgefallen, doch dann ist der Wasserbock weiter, ohne dass wir ihn noch einmal gesehen haben.

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