Ritterschlag
| Text: Dr. Wolfgang Fleck |
Im niedersächsischen Garlstorf baut Franz Ritter feine 98er-Repetierbüchsen. Er ist einer der wenigen Meister seiner Zunft, die das Büchsenmacherhandwerk noch ganzheitlich begreifen. Er versteht sich gleichermaßen auf die beiden Grundwerkstoffe des klassischen Waffenbaus: Metall und Holz. HALALI-Autor Dr. Wolfgang Fleck hat ihn besucht.
Wie kaum eine andere Epoche ist die Moderne geprägt durch eine rationelle Produktionsweise, die auf der Idee der Arbeitsteilung aufbaut. Sie ermöglicht höchste Effizienz durch Spezialisierung. Die Engländer beginnen in diesem Sinn die Kunst des Waffenbaus schon früh zu reorganisieren und verteilen die Tätigkeiten des Büchsenmachers auf vier Spezialisten: Stocker, Lockmaker, Barrelmaker und Finisher. Dies mag die Evolution von Virtuosen ihrer jeweiligen Disziplin befördern, führt aber zu einem Schwund der Generalisten. Auch in Deutschland sind Alleskönner mittlerweile die Ausnahme geworden. Die Holzarbeiten etwa werden von vielen Manufakturen an externe Schäfter vergeben. Doch Franz Ritter ist einer von jenen wenigen Büchsenmachern, deren Liebe nicht nur dem Stahl, sondern auch dem Holz gilt.
Alte Schmiede
Wer am Telefon oder im Laden ein norddeutsches „Moin“ von Ritter erwartet, ist überrascht. Sein Timbre klingt nach tiefem Süden – und das ist kein Wunder: Ritter ist Österreicher; er stammt aus der Buckligen Welt, der hügeligen Region zwischen Graz und Wien. Seine Begeisterung fürs Tüfteln und Basteln lässt bei ihm schon früh einen Berufswunsch reifen: Er will Büchsenmacher werden. Glücklich ist, wer seine Berufung so klar spürt und ihr folgen kann. Ritter lässt sich in Ferlach ausbilden und geht nach seinem Abschluss zu Münch nach Aachen, arbeitet dann einige Jahre bei W. & O. Dittmann, erwirbt anno 2005 den Meistertitel und macht sich 2011 selbstständig. Er lebt und arbeitet in Garlstorf, einem kleinen Dorf mit tausend Seelen, ganz ziegelrot, ganz Fachwerk, im Süden Hamburgs, am Nordostrand der Lüneburger Heide gelegen, eine halbe Autostunde vom Bahnhof Harburg entfernt.
Die Manufaktur befindet sich in einem der alten norddeutschen Backsteinhäuser. Der Ort könnte nicht stimmiger sein: Im Haus war einst die alte Dorfschmiede. Der große Innenraum ist luftig hoch. Die Decke wird getragen von dunklen Eichenbalken. Das Umlenkrad eines alten Lastenaufzugs hoch oben am Gebälk stammt noch aus jener Zeit, in der Zäune, Gitter und Hufeisen in der rot glühenden Esse gefertigt wurden. Etliche Trophäen – darunter Gamskrucken und der Vorschlag eines Rehbocks – zeugen von der gegenwärtigen Nutzung und von der Jagdpassion des Besitzers.
Zur rechten Hand liegt die Werkstatt – mit ihren hohen Sprossenfenstern, ihrem alten, dicht aufgeführten, weiß getünchten Mauerwerk, dem Maschinenpark, den Schraubstöcken, Feilen und Spannzangen. Man spürt sofort: Hier ist ein Ort, in dem sich Mensch, Werkstoffe und Werkzeug zu einem Großen und Ganzen fügen und mehr werden als die Summe ihrer Teile. Hier werden Gewehre noch gebaut – und nicht en gros fabriziert. „Können und Fleiß sind eine Sache“, meint Ritter, der mein Faible für Räume dieser Art zu spüren scheint. „Aber man muss sich auch wohlfühlen an seinem Arbeitsplatz und sich für seine Arbeit begeistern.“ Wie wahr!
Gunroom
Zur linken Hand steht eine Stahltür offen. Warmes Licht in orangeroten Tönen strömt nach draußen. Der Türrahmen wird überkrönt von dem Geweih eines geraden Vierzehnenders. Man erspäht durch die offene Tür ein Regal, in dem Zielfernrohre und Büchsen stehen, in Reih und Glied – es ist der Gunroom. Ritter bittet mich hinein. Meine Blicke schweifen umher und bleiben an den beiden 98ern hängen, die unschwer als Produkte des Hauses zu erkennen sind. Leicht und schnittig sind sie, ihre Formensprache ist unverkennbar: Der Griff ist lang gezogen und ermöglicht einen schnellen intuitiven Anschlag. Der eine der beiden Ritter’schen Mauser hat ein Small-Ring-System und ist schlank geschäftet. Seine Hülse ist grau nitriert. Englische Arabesken zieren sie und den Klappdeckel, der Lauf glänzt tiefschwarz. Tauschierte Goldfäden an der Laufwurzel runden das Erscheinungsbild ab.
Der andere 98er hat ein Standardsystem, das brüniert ist; auch er besticht durch eine meisterhaft geschnittene Fischhaut mit Einfassung und durch seine schnittigen Linien. Höchstes Augenmerk, so Franz Ritter, sei auf den System-Schaftbereich zur richten. Das Griffstück, dessen Radius und Anformung an das System, der Verlauf des Schaftrückens – all diese Komponenten seien entscheidend für die Anmutung einer Büchse. Nicht nur das Auge müsse geschult werden, sondern auch die Koordination von Auge und Hand. „Es braucht seine Zeit, bis die Form des Schafts so wird, wie man sie schließlich will“, erläutert Ritter. Schaft-Kopiermaschinen steht er skeptisch gegenüber. Gegen das Prinzip spräche nichts, indes könne ein unrunder Lauf im Betrieb der Maschine schnell und unverhofft eine Wellenlinie ergeben und die Kontur des Schafts verderben. Wer Perfektion erreichen will, müsse von Hand schäften.