Safety first

| Text: Anna Lena Kaufmann |

Seit 2012 vergrämt Falkner Herbert Boger mit seinen Greifen am Hamburg Airport Krähen, Möwen und Tauben, damit Flugzeuge sicher starten und landen können. Der Einsatz von Beizvögeln ist inzwischen an 30 Prozent der Verkehrsflughäfen und nahezu allen militärischen Fliegerhorsten Standard. Hamburg und Köln/Bonn sind jedoch die einzigen, die hauptberufliche Falkner engagieren.

Egbert ist „on fire“. Der zweijährige amerikanische Wüstenbussard hat potenzielle Beute erspäht: Krähen. Sie tummeln sich am Rande des Rollfelds. Noch sind die schlauen Rabenvögel nur als kleine Punkte auszumachen, aber dem scharfsinnigen Blick des Terzels entgeht nicht die geringste Bewegung. Falkner Herbert Boger reagiert prompt. Er prüft kurz die Windrichtung und startet dann seinen SUV, den Harris auf der behandschuhten Faust. Boger beschleunigt bis auf 70 Stundenkilometer – die ideale Geschwindigkeit für Start- und Pirschfluggreifer – und wirft Egbert aus dem geöffneten Fahrerfenster. „Werfen“ ist Falknerisch und bedeutet: Er gibt ihn zum Jagdflug frei. Dieser steuert sogleich mit bussard-typischen ruhigen, großen Schwüngen die schwarzen Gesellen an, die jedoch den „Feind“ bereits registriert haben und laut krächzend das Weite suchen. Herbert Boger nickt zufrieden: „Die werden dieses Areal in den nächsten Tagen meiden.“ Well done, Egbert!

Boger unterstützt seit nunmehr acht Jahren als Freelancer das Wildlife Control Team des Hamburger Flughafens, dem auch Förster Markus Musser angehört. Oberste Priorität: Die Verhinderung von Vogelschlägen, also die Kollision von Vögeln mit Flugzeugen. Früher griff man hier noch regelmäßig zu Flinte und Kleinkaliber (in Hamburg aufgrund der Stadtnähe nur noch in Ausnahmefällen, als Ultima Ratio, erlaubt), heute kommen vorwiegend Pyrotechnik und speziell trainierte Greifvögel zum Einsatz. „Ziel ist es, die natürlichen Feindvermeidungsstrategien der Vögel auszunutzen und diese mit der Falknerei nachhaltig und emissionsfrei aus den Flugbetriebsflächen zu vergrämen“, so Musser. Als Biotopmanager und Jagdbeauftragter ist er dafür zuständig, die Tierwelt am Flughafen im Blick zu haben – und zu steuern, welche Arten hier leben. „Wir müssen einerseits natürlich verantwortungs-voll mit den Tieren auf dem Gelände umgehen, andererseits müssen wir gewährleisten, dass Flugzeuge hier sicher starten und landen können“, erklärt er. „Wir planen, kontrollieren und passen an.“ Was viele nicht wissen: Jeder Flughafen muss einen Flughafenjäger beschäftigen. Das ist gesetzliche Pflicht – weltweit. Bei Gefahr im Verzug wird scharf geschossen. Es gibt entsprechende Ausnahmegenehmigungen gemäß Jagd- und Naturschutzrecht zum ganzjährigen Abschuss.

Die Hamburger Betriebsflächen haben eine Größe von 570 Hektar, etwa die Hälfte davon ist Grünfläche – eine der größten zusammenhängenden in der Hansestadt. Trotz der startenden und landenden Flugzeuge ist der Flughafen für viele Tiere ein Rückzugsort. Denn draußen in der Natur sind sie viel größeren Störungen ausgesetzt – Besucherverkehr mit Hunden wie im Wald gibt es hier nicht. „Das Flughafengelände ist ein Refugium für Tiere und Pflanzen, die es sonst nur noch selten im Stadtbild gibt“, sagt Markus Musser. Feldlerchen etwa gehören dazu. Außerhalb des Airports trifft man den Vogel des Jahres 2019 in Hamburg kaum noch an. Und auch andere heimische Arten wie Feld-, Erd- und Rötelmäuse, Kaninchen, Kröten sowie mehrere Fuchsfamilien leben hier. Rund 130 Wirbeltierarten wurden bisher gezählt, darunter befand sich sogar schon einmal ein Waschbär. Prädatoren wie Reineke werden geschont. Sie jagen Mäuse, die Vögeln als Nahrung dienen, und halten auch die Population der Bodenbrüter auf natürliche Weise in Schach. Mancherorts wird für die Räuber sogar sozialer Wohnungsbau in Form von Kunstbauen und Reisighaufen betrieben.

Im vergangenen Jahr zählte der Helmut-Schmidt-Flughafen 101 Wildtierschläge – fast doppelt so viele wie im Vorjahr. „Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Insbesondere geht der Anstieg auf Kollisionen mit Kleinvögeln zurück, hier vor allem Schwalben, Drosseln und Lerchen. Diese haben in den Statistiken der Vorjahre kaum eine Rolle gespielt. Das Wildlife Control Team des Airports sowie die Safety Departments der Airlines sind heute in der Meldung dieser Kollisionen sensibilisiert“, sagt Markus Musser. Insgesamt kam es 2019 laut Deutschem Ausschuss zur Verhütung von Vogelschlägen im Luftverkehr (DAVVL e. V.) an deutschen Verkehrsflughäfen und in deren Umgebung sowie im Luftraum zu rund 1 495 Wildtierschlägen. Im Sommer verunfallten größtenteils leichtgewichtige Arten (< 100 g) wie Schwalben und Segler, aber auch etliche Turmfalken (ca. 200 g), während im Winter vor allem Möwen (ca. 300 g bis 1 000 g), Greife wie Mäusebussarde (ca. 850 g) und selten, weil extrem schlau, Krähenvögel (400–600 g) in Kollisionen verwickelt waren. Die Schadensrate (Anteil Schäden bei Vogelschlägen) lag bei den kleinen Arten nur bei 4 Prozent, bei den mittleren betrug sie schon 7,6 Prozent, und bei schweren Vogelarten verursachte mehr als jeder siebte Vogelschlag einen Schaden am Luftfahrzeug. Grund dafür ist die Formel für die kinetische Aufprallenergie: E = ½ M x V², sodass die Vogelmasse (M) neben der Geschwindigkeit des Luftfahrzeuges (V) eine große Rolle spielt.

Sie finden den Artikel spannend und möchten ihn gern weiterlesen?
Dann lohnt es sich, die Ausgabe 04 | 2020 zu kaufen.