Schwarzer Vogel, weißer Mann
| Text: Jonas Nørregaard |
Es war ein großes Abenteuer bei Minusgraden: die traditionelle schwedische Jagd auf den Auerhahn auf hölzernen Skiern in fernen und tief verschneiten Landschaften. HALALI-Autor Jonas Nørregaard hat sich einen lang gehegten Traum erfüllt und eine solche Jagd begleitet.
Die Oberschenkel brennen. Der Schnee ist locker und pulvrig, tief sinken die Skier ein. Ein Gleiten ist nicht möglich. Zudem wird es bereits dunkel. Aber das weiße Land, die Sterne am Firmament und das schwache Glimmen der arktischen Sonne, die eben unter dem Horizont verschwunden ist, tauchen die Szenerie in ein sanftes Licht aus Blau und Purpur, das die Silhouetten der Kiefern vor uns zumindest erahnen lässt. Das Rucksackthermo-meter spricht von –33 °C, und der Schweiß, der von meinen Brauen tropft, ist zu Eis kristallisiert, noch bevor er auf meine Haut fällt. Wir müssen weiter. Das Schneemobil muss ganz in der Nähe sein. Der Weg ist hart. Hart, aber schön. Auf dem Rucksack vor mir liegt ein schwarzblauer Vogel von unbeschreiblicher Pracht.
Claus Ballisager hat diesen Traum schon so lange gehegt: die klassische Jagd auf den Auerhahn in Lappland, mit Büchse und auf hölzernen Skiern. Und heute ist der Tag, an dem dieser Traum Wirklichkeit werden soll. Der kleine Trupp Jäger ist schon vor Stunden an der Hütte angelangt. Sie mussten sich den Weg hierher erkämpfen: Der Schnee liegt meterhoch auf den Straßen, und mehr als einmal mussten wir den Reifendruck reduzieren, um durch eine Schneewechte stoßen zu können. Als wir hier ankamen, war die kleine Hütte zu einem Eisklotz gefroren. Jetzt geht das Thermometer langsam gegen 0 °C. Tommy, unser Jagdführer auf dieser Reise, hat auf dem Hüttenofen ein Abendessen für uns gezaubert. Die Gläser füllen sich mit Bier und Wein, und vor uns liegt der Jagdplan des kommenden Tages.
Tommy, einer der erfahrensten Auerhahnjäger Skandinaviens, weist uns in das Vorhaben ein. Wir werden uns in zwei Teams aufteilen: Das eine wird im Umkreis rund um die Hütte jagen. Das andere wird zunächst eine gute Stunde auf dem Schneemobil zurücklegen, um dann in einem Sumpfgebiet nördlich der Hütte sein Glück zu versuchen. Und Tag für Tag werden wir uns abwechseln.
Der Wetterbericht sieht vielversprechend aus: klar, aber auch sehr, sehr kalt. Der Wecker schrillt. Dabei herrscht noch stockfinstere Nacht, drinnen wie draußen. Während der Nacht hatten wir Feuerwachen positioniert, damit der Ofen auch noch am Morgen lodern würde. So liegt die Temperatur in der Hütte dankenswerterweise über dem Gefrierpunkt – wenn auch nur knapp. Nach dem Frühstück ist es Zeit für den Probeschuss. Jeder weiß, was auf einer langen Reise mit Ausrüstung und Waffen so geschehen kann. Dazu kommt, dass sich je nach Temperatur – und zu gewissen Teilen auch Seehöhe – die ganze Innen- und Außenballistik recht eigensinnig verhalten kann. Tommy stellt eine Scheibe auf 150 Meter auf dem zugefrorenen See vor der Hütte auf. Er zeigt mir, wie man hier schießt: liegend und über die sogenannte Schneebrüstung. Das ist nicht mehr als ein Schneehaufen mit einer weißen Rucksackabdeckung darüber: Fest ruht die Waffe darauf. Tommy erklärt uns die Situation und die Entfernung: Sie beträgt mehr als 300 Meter. Das hätten wir vorher wissen sollen. Ein Auerhahn ist zwar groß. Aber auf 300 Meter wird er plötzlich winzig klein. Die Auerhahnjagd zu dieser Jahreszeit kann sehr ermüdend sein. Die Hahnen sind extrem wachsam und reiten ab, sobald sie die kleinste Störung wahrnehmen. Wenn sich eine Gelegenheit bietet, muss sie sofort ergriffen werden. Auch wenn es ein weiter Schuss wird.
Claus hat sich für diese Jagd Tommys Büchse ausgeborgt und sich mittlerweile an den ultraleichten Feinabzug gewöhnt. Auch die Absehenschnellverstellung wird überprüft. Dann sind wir bereit. Das Schneemobil gleitet mühelos über das weiße Land, quer über Sümpfe und Moraste hinweg. Hinten auf dem Anhänger liegen Skier und Rucksäcke. An der Reviergrenze schnallen wir uns die Bretter unter. Eine vorsintflutliche Kabelbindung fixiert meinen Schuh auf dem Holz. Die Fortbewegung auf Skiern fällt anfangs noch schwer. Mal steht man hüfttief im Schnee, mal gleitet man darüber hinweg. Nach kurzer Zeit machen wir halt. Ist es auch bitterkalt: Wir alle schwitzen. So ziehen wir uns um und tauschen die Daunenschicht gegen einen dünnere Schicht aus Wolle. Darüber kommt winddichtes Zeug in Schneetarn.
Hell funkeln die Kristalle der gefrorenen Welt. Von den langsam wachsenden Kiefern der Arktis hängen Flechten herab wie die bereiften Bärte alter Männer. Es herrscht vollkommene Stille, der Schnee deckt jegliches Geräusch zu.
Leise janken die Riemen der Bindung, zischen die Bretter durchs Weiß. Tommys Fernglas ist im Dauereinsatz. Kurzer Stop. Glas hoch. Weiter Wir kommen an einer kleinen Vertiefung im Schnee vorbei. Tommy erklärt mir, dass Auerwild die kältesten Stunden der Nacht in Schneehöhlen verbringt. Morgens baumt es auf und brockt in den Bäumen. Wir werden noch mehr solcher Höhlen entdecken. Mitten im Schwung kommen die Skier plötzlich zum Stehen. Tommys Rücken rollt sich ein wie bei einer Katze – diese typische Bewegung, die jeder Jäger macht, wenn er seine Beute entdeckt. Claus tut es ihm gleich, auch er hat etwas gesehen. Weit vor uns steht ein kleiner Baum im gefrorenen Sumpf, und in seiner halb nackten Krone zeichnet sich eine schwarze Silhouette gegen den Himmel ab: ein Großer Hahn.