Schwarzwild in Bewegung

| Text: Dr. Johanna Maria Arnold und Dr. Janosch Arnold |

Die Diskussionen um das Schwarzwild reißen nicht ab: Schäden in der Feldflur, die Übertragung von Seuchen auf Nutztierbestände und die herausfordernde Bejagung sind große Themen. Wildbiologische Erkenntnisse zu Wildschweinbewegungen können zum Wildtiermanagement beitragen.

Das Wildschwein (Sus scrofa) hat sein Verbreitungsgebiet in Deutschland, wie in ganz Europa, in den letzten Jahren stark vergrößert. Mittlerweile kommt es, autochthon oder angesiedelt, auf allen Kontinenten vor, ausgenommen der Antarktis (Barrios-Garcia & Ballari 2012). Weitere Ausbreitungstendenzen sind nahezu überall sichtbar und in manchen Jagdrevieren auch deutlich spürbar. Hauptgründe für die fortschreitende Ausbreitung sind insbesondere entlang der Verbreitungsgrenzen mit permanenten oder sporadischen Vorkommen klimatische Bedingungen (Bieber & Ruf 2005, Melis et al. 2006, Markov et al. 2019; s. hierzu auch HALALI 03/2011). Aber nicht nur das Verbreitungsgebiet wächst an, sondern auch die Populationsdichte selbst. Auch hier ist ein wesentlicher Faktor der Klimawandel, mit dem geringere Winterverluste einhergehen (Vetter et al. 2015), weiterhin wirkt sich das reichhaltige und vielfältige Nahrungsangebot populationsfördernd aus (Melis et al. 2006, Gärtner 2015, Touzot et al. 2020).

Die Schwarzwildstrecke gibt uns einen guten Einblick in das Populationsgeschehen dieser Schalenwildart, sie wird aber auch durch äußere Einflussfaktoren bestimmt. Nachdem im Jagdjahr 2017/18 die Wildschweinstrecke bei 836 865 Stück lag, sank sie im darauffolgenden auf 599 866 Individuen. Die Strecke des Jagdjahres 2019/20 lag bei 882 231 Stück, die höchste Zahl seit strukturierter jagdstatistischer Aufzeichnung (DJV 2021). Solche starken Schwankungen ergeben sich weniger aus der tatsächlichen Bestandsentwicklung oder fehlender Bejagungsbereitschaft seitens der Jägerinnen und Jäger, sondern vielmehr aus Faktoren, die das Raum-Zeit-Verhalten der Wildschweine beeinflussen und somit auch die Bejagungsmöglichkeiten. Durch Baummastjahre finden die Tiere ergiebig Nahrung im Wald (Bieber & Ruf 2005, Nussbaumer et al. 2018), und die durch die Jägerschaft angelegten Kirrungen verlieren vorübergehend ihre Wirkung. Dort können dann weniger Stücke erlegt werden. Hinzu kommt, dass die Mastereignisse seit einigen Jahrzehnten sowohl an Häufigkeit als auch an gesamter produzierter Biomasse zunehmen. Auch ausbleibende harte Winter verringern die Mortalität und führen zu einer höheren Reproduktion und höherem Schwarzwildbestand im Folgejahr. Für gewöhnlich resultiert daraus ein Anstieg der Jagdstrecke im Folgejahr, da dann mehr Schwarzwild verfügbar ist (Gärtner 2015, Baudach et al. 2021).

Doch nicht nur die Populationsdichte, sondern auch das Verbreitungsgebiet weitet sich aus. Die Umfragen unter den Jagdrevierinhabenden der Wildtiererfassungen im Wildtier-Informationssystem der Länder Deutschlands (WILD) zeigten, dass es in Deutschland nur noch wenige Vorkommenslücken gibt. Im Jagdjahr 2018/19 meldeten 88 % aller teilnehmenden Jagdbezirke im Bundesgebiet, dass Wildschweine im Revier vorkamen, davon 37 % als Standwild und 51 % als Wechselwild. Nur in 8 % der Jagdbezirke wurde kein Vorkommen gemeldet, diese Vorkommenslücken sind in den westlichen Regionen Schleswig-Holsteins, Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens zu finden sowie im Süden in den Regionen der Alpen und des Alpenvorlandes (Bayern). Aus den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Saarland und Sachsen-Anhalt wurden Wildschweine fast flächendeckend mit über 90 % als Stand- oder Wechselwild gemeldet (Baudach et al. 2021).

Das Wildschwein kommt in allen teilnehmenden Bundesländern zumindest zu einem Drittel als Wechselwild vor. Vor allem in Baden-Württemberg tritt dieses Phänomen auf: Hier gaben 63 % der teilnehmenden Jagdreviere an, dass das Schwarzwild nicht permanent in ihren Revieren vorkam. Dies kann zum einen mit Ausbreitungsbewegungen zu tun haben, zum anderen aber auch durch ein jahreszeitlich unterschiedliches Nahrungsangebot mit häufigeren Lebensraumwechseln zwischen Wald und Feld erklärt werden (Baudach et al. 2021).

Das Wildschwein ist eine generalistische Art, d. h., es ist flexibel in seiner Lebensraumwahl. Wildschweine nutzen eine große Vielfalt an Lebensräumen und zeigen sich auch hinsichtlich ihres Raum-Zeit-Verhaltens divers. Dabei sind sie nicht zuletzt auch in ihren sozialen Strukturen und Verhaltensweisen äußerst variabel. Eine komplexe Sozialstruktur mit Ritualen und starken Banden sowie eine beachtliche Rolle in ökosystemaren Abläufen sind dem Wildschwein eigen. Prominent im Vordergrund stehen bei dieser Art derzeit tierseuchenrelevante Fragen und deren ökonomische Folgen rund um die Afrikanische Schweinepest (ASP) sowie Wildschäden in der Feldflur. Bei beiden Themen sind Erkenntnisse zur Habitatnutzung und zum Raum-Zeit-Verhalten zur Prävention und Konfliktlösung vonnöten. Streifgebietsgrößen und Habitatnutzung werden von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst, die wichtigsten Größen sind hierbei sicherlich die Nahrungs- und Deckungsverfügbarkeit sowie die Witterung. Störungen, sei es durch Erholungsuchende oder die Jagd, beeinflussen weiterhin das Raum-Zeit-Verhalten. Im Folgenden möchten wir einen Einblick in einige Bereiche der aktuellen Wildschweinforschung geben; wir diskutieren dabei Aspekte, die unser Schwarzwild in dem einen oder anderen Punkt in einem anderen Licht erscheinen lassen.

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