Sich erinnern heißt sein …

| Text: Angelika Glock |

Hunde sind bekanntlich wahre Künstler der Beobachtung – und sie lernen im Zusammenleben mit uns Menschen beispielsweise sehr schnell, unsere Mimik und Gestik richtig zu deuten. Auch ihre Bereitschaft, mit uns Menschen zu kooperieren, ist für Hunde in besonderem Maße charakteristisch. Dass sie in der Lage sind, erlernte bzw. antrainierte Fertigkeiten bei Bedarf abzurufen, ist ebenfalls längst bekannt – doch haben sie wie wir Menschen auch eine persönliche Erinnerung?
Dass das Gedächtnis der Hunde dem des Menschen ähnlicher ist als bislang vermutet, hat eine 2016 veröffentlichte Studie ungarischer und italienischer Ethologen belegt. HALALI geht den Zusammenhängen auf den Grund.

Kurz gefasst umschreibt Lernen den Prozess der Aufnahme verschiedenster Informationen, mit dem Begriff Gedächtnis wird das mehr oder weniger dauerhafte Abspeichern von Informationen im Gehirn zum späteren Abruf bei Bedarf bezeichnet, und der Vorgang des Abrufens von Informationen wiederum ist das Erinnern.

Erinnerung oder Lernen?

Das Gedächtnis, das hier im Artikel im Fokus steht, wird grosso modo in drei Bereiche eingeteilt:

Sensorisches Gedächtnis (auch Ultrakurzzeitgedächtnis): Hält Informationen für Millisekunden bis zu zwei Sekunden im Gedächtnisspeicher.

Arbeitsgedächtnis (auch Kurzzeitgedächtnis): Speichert Informationen, die etwa zur Bewältigung einer aktuell gestellten Aufgabe benötigt werden, über einen Zeitraum von einigen Sekunden bis zu wenigen Minuten. Zu diesem Gedächtnistyp wurden mit Hunden mehrere Experimente durchgeführt. So wurde z. B. in einer Studie zum räumlichen Gedächtnis ermittelt, dass sich Hunde mindestens vier Minuten lang an den genauen Ort erinnern, an dem ein für sie interessanter Gegenstand, z. B. ein Dummy, versteckt wurde, und zwar auch dann, wenn sie ihn vorübergehend aus den Augen verlieren.

Langzeitgedächtnis: Speichert Informationen über Jahre, zum Teil ein Leben lang. Es ist quasi unbegrenzt und dauerhaft. Das Langzeitgedächtnis wird unterschieden in das prozedurale bzw. implizite oder auch nicht-deklarative Gedächtnis (es speichert unbewusste Erinnerungen ab – darunter fällt etwa auch die Konditionierung u. a. bei Hunden, beispielsweise durch Belohnung beim Training) und das explizite bzw. deklarative Gedächtnis, das Fakten, Handlungsabläufe oder Erlebnisse, die bewusst wiedergegeben werden können, speichert. Das Langzeitgedächtnis, vergleichbar mit einer großen Bibliothek, hält dauerhafte Erinnerungen an bedeutende Ereignisse fest. Mithilfe eines cleveren „Bibliothekars“, anatomisch betrachtet des Ammonshorns, ein Teil des Gehirns, der für das Lernen, die Emotionen und die Gedächtnisbildung zuständig ist, lassen sich Zusammenhänge in exakt dem Moment abrufen, in dem sie benötigt werden.

Dass auch Hunde über ein sehr gutes prozedurales Gedächtnis verfügen, beweist ihre enorme Lernfähigkeit. Hunde erinnern sich an einmal antrainierte Fertigkeiten, ohne dass sie sie jedes Mal neu erlernen müssen. Das prozedurale Gedächtnis sorgt demnach für den reibungslosen, automatisierten Ablauf routinierter Handlungen, ohne dass diese bewusst kontrolliert werden müssen, wie etwa das Öffnen einer angelehnten Tür – beim Menschen vergleichbar das Binden der Schnürsenkel oder auch das Schwimmen (kein Mensch, der einmal gelernt hat zu schwimmen, denkt bei einem Sprung ins Wasser darüber nach, wie Schwimmen dem Grunde nach funktioniert, er beherrscht es automatisch). So heißt es auch, dass das prozedurale Gedächtnis nichts wisse, aber alles könne.

Was hat es mit dem episodischen Gedächtnis auf sich?

Das episodische Gedächtnis, das uns in diesem Artikel besonders interessiert, zählt wie das semantische Gedächtnis (das Faktenwissen über die Welt, das unabhängig von jeglicher eigenen Erfahrung ist) zum expliziten (Langzeit-)Gedächtnis. Nicht geklärt war bislang, ob auch Hunde über ein episodisches Gedächtnis verfügen, es gab keine entsprechenden Studien dahingehend, ob sich Hunde an persönliche Erlebnisse und spezifische Ereignisse im eigenen Leben erinnern können. Wichtig ist hierbei, noch einmal den Unterschied zu verdeutlichen: Es geht beim episodischen Gedächtnis nicht um das Erinnern an antrainierte Verhaltensweisen (wir erinnern uns – dies fällt unter das prozedurale Gedächtnis), sondern es geht dabei um das Erinnern an markante Ereignisse und persönliche Erlebnisse (positiver wie negativer Art), die das Gedächtnis unwillkürlich abgespeichert hat, einfach deshalb, weil sie unmittelbar und individuell erlebt wurden. Somit wird das episodische Gedächtnis auch als eng verknüpft mit dem Besitz eines Selbstbewusstseins definiert, denn es steht für ein System des Erlebens der eigenen Person. Die Fähigkeit, sich an persönliche Erlebnisse und Eindrücke erinnern zu können, wurde bislang nur Menschen und Menschenaffen zugeschrieben und als ein Beweis für die eigene Wahrnehmung als Individuum gesehen. Und genau dieser Aspekt ist in Bezug auf unsere Hunde in so besonderem Maße spannend, da damit auch ein Hinweis darauf geliefert wird, dass Hunde ein Ich-Bewusstsein haben könnten.

Nun ist es allerdings nicht ganz einfach, ein episodisches Gedächtnis bei Hunden wissenschaftlich nachzuweisen, da sich ein Hund natürlich nicht adäquat wie ein Mensch nach seinen Erinnerungen befragen lässt. Die Schwierigkeit liegt also darin, Experimente und Tests zu entwickeln, die das episodische Gedächtnis abfragen, ohne dass zuvor ein bewusstes Lernen oder Antrainieren stattgefunden hat. So ist ein Rückschluss auf kognitive Prozesse hier nur durch Beobachtungen von Verhaltensweisen möglich.

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