Sina Agneta Gremse vereint Tradition und Moderne

| Text: Gabriele Metz |

Sie strahlt Lebensfreude aus. Ganz besonders dann, wenn eine Leinwand und Farben in der Nähe sind. Aber auch Pferde und Jagdhunde beflügeln Sina Agneta Gremse, die bereits im Alter von gerade einmal 28 Jahren meisterhafte Kunstwerke erschafft.

„Siehst Du den kleinen schwarzen Punkt – gleich neben dem weißen, etwas größeren Fleck? Das ist eine technische Raffinesse, die ein kleines Aufblitzen in der Ferne erzeugt und somit noch mehr Tiefe schafft“, erklärt Sina Agneta Gremse und deutet mit dem Finger auf eine winzige Stelle der Leinwand, von der aus ein langer Pfad zu einem bläulich schimmernden Bergsee führt. Auch die Dreidimensionalität des wolkenverhangenen Himmels, der sich von einer fast gewittrigen Stimmung bis hin zu einem sonnenverheißenden hellblauen Fenster hin offenbart, lässt durchaus Vergleiche mit den Großen der Malerei zu. Der Eindruck kommt nicht von ungefähr. Die 28-Jährige, die außerdem in Köln Kunstgeschichte im Masterstudiengang studiert, ist unter anderem Schülerin des Joseph-Beuys-Schülers und Rolf-Sackenheim-Meisterschülers Ivo Ringe, dessen Fokus auf den Proportionen in der Malerei und den Schwingungsverhältnissen der Farben liegt. „Von ihm lerne ich – im fortgeschrittenen Stadium – altmeisterliche sowie zeitgenössische Kunsttechniken“, sagt die junge Frau, die durch ihren Freund Nic mit dem Thema Jagd tiefer in Berührung gekommen und besonders fasziniert von der Anmut und Schönheit der Jagdhunde ist.

Raum für Interpretation

Ihr Werk „Monarch of the Glen“ erinnert nicht nur vom Titel her an das gleichnamige Werk des englischen Malers Sir Edwin Landseer, der die ergreifende Inszenierung eines majestätischen Rothirsches 1851 vollendete und – als eines von insgesamt drei Ölgemälden – für den Palace of Westminster in London bereitstellte. Heute gilt sein Werk, das in der Scottish National Gallery in Edinburgh zu sehen ist, als eines der populärsten Gemälde des 19. Jahrhunderts überhaupt. An majestätischer Eleganz lässt es auch der Zehnender auf dem Gemälde der jungen Künstlerin nicht mangeln. Sein dahingestreckter Körper ist von moosgrün schattierten Gräsern umhüllt. Sein Geweih erhebt sich stolz gen Himmel und reflektiert das durch die Wolken hervorbrechende Sonnenlicht. Wieder ist da ein kleiner weißer Punkt zu erkennen. Er lenkt den Blick des Betrachters über den Bergsee, den Pfad hinauf, bis hin zu den anfangs erwähnten, Weite schaffenden Punkten. Die Augen schweifen in die Ferne und schaffen Raum für eine tiefergehende Interpretation. Unendlichkeit? Der Übergang in eine andere Sphäre? Oder ist es genau umgekehrt? Führte womöglich der ferne Weg den Monarchen durch das lange, enge und tiefe Tal zu dem Ort, an dem er seine letzte Ruhe fand? Die Antwort überlässt die Künstlerin dem Betrachter. Sina Agneta Gremse ist ein durch und durch musischer Mensch. Sie findet in der Musik, sei es beim Hören oder beim Klavierspielen, ihre Inspiration. Besondere Leidenschaft hat sie für Hunde und Pferde entwickelt.

Fotorealismus trifft auf abstrakte Technik

Mein Blick fällt auf Nala. Eine bildhübsche Langhaar-Weimaraner-Hündin mit lebhaftem Blick. Auch dieses Ölgemälde spiegelt das Können der Studentin, die es trefflich versteht, ihren Porträts Leben und Persönlichkeit zu verleihen. „Nala gehört zu meinem Freund Nic, der sie jagdlich führt. Tatsächlich haben wir uns über diesen Auftrag erst kennengelernt“, verrät Sina. Nalas Augen schimmern so plastisch, als seien sie echt. Die fein konturierten Härchen an den aufmerksam zurückgelegten Ohren verleiten zur Berührung. Auch der Blick auf die Halsung der jagdlich hoch passionierten Hündin lohnt: Die Messingschnalle und der dazugehörige Ring sind von einer Präzision, die wiederum den Vergleich mit den alten Meistern gestattet. Detailtreue, Lichtreflexion und Dreidimensionalität könnten nicht gelungener sein. Selbst in einem ins Halsbandleder gestanzten Loch sind Farbe und Lichteinfall präzise eingefangen. Bemerkenswert sind auch die großzügige Pinselführung und die gekonnte Farbwahl, die das Haarkleid der Weimaraner-Hündin wiedergeben. Hier treffen Fotorealismus und abstrakte Maltechniken aufeinander. „Bei der Entstehung eines Gemäldes gibt es zahlreiche Zwischenschritte. Ich male in Schichten, was mir ermöglicht, untere Schichten durchschimmern zu lassen“, erklärt die Malerin. Die Schichtenmalerei ist eigentlich eine Technik der Ölmalerei. Sina setzt sie jedoch auch bei ihren Buntstiftzeichnungen ein, was sie besonders lebhaft erscheinen lässt. Wie die Buntstiftzeichnung, die den Jack Russell Terrier Rudi zeigt. Und auch mit Bleistiften geht Sina meisterlich um. Deutsch-Kurzhaar-Rüde Charlie wirkt geradezu lebendig, wie er mit hoch konzentriertem Blick im Gerstenfeld vorsteht. 

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