Single mit Tiefgang

| Text: Gabriele Metz |

Sein Leben ist der Tunnelbau, und dabei achtet der Maulwurf stets auf eine optimale Durchlüftung. Der eigenbrötlerische Einzelgänger schlemmt Schnecken, Raupen und andere Gartenschädlinge. Vegane Kost verschmäht er. Der pelzige Buddler mit den schaufelförmigen Händen steht als wichtiger Nützling unter Naturschutz und ist – aufgrund der von ihm produzierten Erdhügel – kein gern gesehener Gast auf gepflegten Rasenflächen.

Ein rosafarbener Rüssel, schaufelförmige Hände mit langen Nägeln, ein samtiger Pelz in Grauschwarz: Die Optik des Europäischen Maulwurfs ist ungewöhnlich und einzigartig zugleich. Wo er auftaucht, sorgt er für Missmut. Meistens jedenfalls. Der unermüdliche Stollengräber gehört sicherlich zu den unbeliebtesten Gartenbewohnern. Der Grund hierfür sind die von ihm produzierten vulkanförmigen Erdhügel, die das ästhetische Empfinden vieler Gartenbesitzer torpedieren und sich als Stolperfalle oder Rasenmäherhürde erweisen. Dabei sind die kleinen Hügel mit dem mittig positionierten Auswurfloch eigentlich ein Anlass zur Freude. Sie signalisieren einen gesunden Boden voller Kleinlebewesen. Jedenfalls lohnt in diesem Fall der Blick „über den Maulwurfshügel“, denn der eifrige Schädlingsvertilger verdient durchaus eine genauere Betrachtung. Wer das bereits vom deutschen Dichter und Zeichner Wilhelm Busch befeuerte Hass-Klischee überwindet, lächelt beim Anblick des nächsten Maulwurfshügels womöglich weise und zufrieden, anstatt sich über perfide Vertreibungsstrategien Gedanken zu machen.

Unterirdisches Reich

Eigentlich könnte er auch Erdwerfer heißen. Denn der Name Maulwurf leitet sich vom mittelhochdeutschen Wort „Molte“ ab, das einst „Erde“ bezeichnete. Und genau dort beginnt das Problem: Wo Maulwürfe sind, erheben sich ab dem Frühjahr Erdhügel auf Rasenflächen und Wiesen, was Gärtner, Landwirte, Sport- und Golfplatzbetreiber vor eine Nervenzerreißprobe stellt. Zumal das Bekämpfen des fleißigen Wühlers und die Zerstörung seiner Fortpflanzungsstätten per Bundesnaturschutzgesetz verboten sind. Maulwürfe stehen seit knapp 40 Jahren unter Naturschutz. Wer sie fängt, verletzt oder gar tötet, muss – abhängig vom Bundesland – mit Geldstrafen von bis zu 65 000 Euro rechnen. Erlaubt ist lediglich, ihnen mit sanften Methoden wie Lärm und Gestank zu Leibe zu rücken, um so die Erdhügel im eigenen Garten im Zaum zu halten. Die sind übrigens nur die Spitze des Eisbergs: Unter ihnen erstrecken sich Tunnellabyrinthe von bis zu 6 000 Quadratmetern Gesamtfläche, aneinandergereiht würde dies rund zwei Kilometern entsprechen. Darin offenbart sich eine beeindruckende Jagd- und Wohnlandschaft mit Schlaf- und Vorratskammern, die teilweise sogar generationenübergreifend genutzt wird. Die lockeren Erdhügel dienen der Belüftung. Und die ist dringend erforderlich im unterirdischen Reich des Maulwurfs, der aufgrund seines schnellen Stoffwechsels und seiner angeregten Verdauung viel Kohlendioxid von sich gibt. So verwundert es nicht, dass er platt geklopfte Hügel ruckzuck durch neue ersetzt. Maulwürfe mögen bekanntermaßen keinen Gestank. Lockere, fruchtbare und weitgehend frostsichere Böden sind die erste Wahl des in Mitteleuropa lebenden Stollenbauers, der sehr sandige und sumpfige Böden eher meidet.

 

Tiefe Einblicke

Maulwürfe haben ein bis zu 80 Zentimeter tief unter der Erde liegendes Hauptnest, von dem aus sie immer neue Röhren durch das Erdreich graben. Die querovalen, ca. fünf Zentimeter breiten Nahrungsgänge und die größeren Vorratskammern liegen weitaus weniger tief unter der Rasenfläche. Ein auffallend großer Erdhaufen ist ein Hinweis auf das sogenannte Winternest, das ein kreisförmiges Belüftungssystem ergänzt. Die „Burg“ ist allerdings kein klassisches Winterquartier: Maulwürfe halten keinen Winterschlaf, nutzen den Bereich aber, um dort ihren Vorrat an Regenwürmern anzulegen. Damit diese weiterleben, ohne davonzukriechen, beißt ihnen der clevere Fleischfresser einfach den vorderen Teil des Körpers ab. Zudem quetscht er den Körper des Wurms mithilfe seines Daumens und des Zeigefingers aus, um den sandigen Darm zu entleeren.

Ganz schön stark

Ein weiteres Merkmal des Maulwurfs sind seine schaufelartigen Vordergliedmaßen. Mit ihnen bewegt er imposante Erdmassen – bis zum 20-Fachen des eigenen Gewichts! Der Stollengräber ist ein wahres Kraftpaket. Seine im Schulterbereich liegenden Grabmuskeln machen sage und schreibe 55 Prozent seiner Gesamtmuskulatur aus. Ähnlich wie bei den Vögeln ist das Brustbein des Maulwurfs mit einer im rechten Winkel zu den Rippen aufragenden Knochenplatte versehen, die eine feste Verankerung der starken Schultermuskulatur sicherstellt.

Eine weitere anatomische Besonderheit stärkt das Skelett für körperliche Herausforderungen: Der zweite, dritte und vierte Halswirbel des Maulwurfs sind miteinander verbunden. Kurze, dicke Oberarme und eine gelenkartige Verbindung zwischen dem vorgelagerten Schlüsselbein, dem Schultergürtel und dem Oberarm tragen ebenfalls zu den Kraftqualitäten des Stollengräbers bei.

Und noch ein weiteres Special: Was im Tierreich Hände hat, verfügt in der Regel über jeweils fünf Finger – bis auf den Maulwurf, der einen aus einem einzigen sichelförmigen Knochen bestehenden sechsten Finger, quasi einen zusätzlichen Daumen, besitzt, auf den er sich beim Graben im Erdreich abstützt und der seine Grabschaufeln vergrößert.

Im Vorwärts- und im Rückwärtsgang schnellt der Maulwurf durch die Tunnelröhren – dank des ohne in eine spezielle Richtung weisenden Haarwuchses – völlig aalglatt und in rasantem Tempo. Mund und Nase verschließt der eifrige Buddler beim Graben mit Hautfalten. Hautlappen schützen die ohrmuschellosen Gehörgänge. Die winzigen Augen des Maulwurfs verbergen sich gut geschützt unter dem Fell. Blind ist der mit einer hochsensiblen Nase ausgestattete Erdbewohner nicht, aber er sieht nicht viel.

Sie finden den Artikel spannend und möchten ihn gern weiterlesen?
Dann lohnt es sich, das ganze Heft zu kaufen.