Starke Böcke und wilde Bären – eine Jagdreise nach Rumänien

| Text: Oliver Dorn |

Der Sommer in Rumänien besitzt eine eigene, stille Magie. Zwischen den bewaldeten Hügelketten Siebenbürgens, wo morgens Nebelschwaden durch die Täler ziehen und abends die Sonne golden über den Karpaten versinkt, beginnt eine Reise, die mehr ist als eine Jagd. Es ist eine Begegnung mit einer Landschaft, deren Schönheit unberührt scheint von der Eile der Moderne – und mit einer Geschichte, die in jedem Dorf, in jeder Kirchenburg nachhallt. Die HALALI-Redakteure Ilka und Oliver Dorn besuchten diese Region im letzten Sommer zur Blattzeit.

Târgu Mureș: ein Hauch von Vergangenheit

Die Fahrt im Mietwagen vom Flughafen Sibiu nach Târgu Mureș dauert etwa anderthalb Stunden. Aber schon während dieser kurzen Anreise wird die Welt mit jedem Kilometer, den wir uns durch das rumänische Hinterland bewegen, ein Stück ursprünglicher. Die historische Stadt Târgu Mureș liegt im Herzen Rumäniens am Fluss Mureș (deutsch: Mieresch) im historischen Komitat Maros-Torda. Sie ist unser Ziel. Die Umgebung dort ist durch Berge und Wälder geprägt. Neben einigen Seen, Bächen und Flüssen wie dem Mureș gibt es auch unterirdische Gewässer. In unserer Unterkunft, einem funktionalen Hotel am Rande des Reviers, werden wir mit herzlicher Gastfreundschaft empfangen. Kein Luxus, doch alles, was ein Jägerherz nach einem langen Tag draußen begehrt: gutes Essen, bequeme Betten, saubere Räume. Das Revier, in dem wir eine knappe Woche jagen werden, besteht aus zwei Jagdgenossenschaften mit einer Gesamtjagdfläche von ca. 60 000 ha. Die Jagdgenossenschaft Cocosul Mureș mit einer Fläche von ca. 25 000 ha erstreckt sich über das leichte Hügelland und die Jagdgenossenschaft Cerbul Mureș mit einer Fläche von ca. 35 000 ha über die Hochkarpaten. Diese Flächen werden vom Jagdpräsidenten Ioan Sandru und von seinem Jagdmanager Sorin Sava unterhalten und bewirtschaftet. Weiterhin wird die gesamte Fläche von einer Mannschaft bestehend aus fünf Berufsjägern nebst Helfern vor Ort betreut. Empfangen werden wir an diesem Nachmittag von Sorin und Vasile, unserem Jagdführer für die kommenden Tage. Ein wettergegerbter Mann mit freundlichen Augen und einer augenscheinlich gemütlichen Art. Die Verständigung soll in mehreren Sprachen erfolgen, einem Mix aus Englisch, Französisch und Deutsch. Mit seinem kräftigen Akzent vermittelt er mit nur wenigen Worten sofort Vertrauen. „Hier braucht man Geduld“, sagt er vor unserem ersten Aufbruch am späten Nachmittag. Nachdem die Freigaben und derlei besprochen sind, geht es zeitig los, um keine Zeit zu verlieren. Den Revierteil, den Vasile für diese erste Pirsch gewählt hat, erreichen wir nach rund 30 Minuten Autofahrt. Das Landschaftsbild präsentiert sich abwechslungsreich: eine Mischung aus Wiesen, Buchenmischwäldern, kleinen Feldern und uralten Weiden – und immer wieder Obstbäume und verkrautete, nicht bewirtschaftete Flächen. Endlich halten wir an. Wir können es gar nicht abwarten, die Luft zu atmen, die geprägt ist vom natürlichen Geruch dieser vielfältigen Natur. Das Auto parkt vor einem alten bewirtschafteten Hof. Die Wäsche hängt flatternd auf der Leine, Hühner laufen umher, Gerät lehnt an einem Schuppen – alles ist eingezäunt. Hoch eingezäunt. Hinter dem Hof, auf einer Anbaufläche mit allerlei Gemüsesorten, steht in Richtung Wald ein großer Käfig. Vasile scheint die noch unausgesprochene Frage zu erraten: „Für Bääärrr!“ Und tatsächlich sehen wir jetzt Schilder neben dem Waldweg, auf denen vor Bären gewarnt wird. Im Wald selbst zeigt uns Vasile eine bärensichere Schwarzwildkirrung. An den umliegenden Bäumen zeugen Kratzspuren von den Versuchen einiger Bären, an die mittels eines Seilzuges gesicherte Kirrtrommel zu gelangen. Beeindruckt passieren wir diese Stelle und bewegen uns weiter in Richtung Feld. Der Braunbärbestand, erklärt uns Vasile während unseres Fußmarsches, sei in dieser Region sehr hoch. Das Wild werde auf der Einzeljagd im Oktober, November, Dezember sowie im Frühjahr vom 15. März bis zum 1. Mai bejagt. Und während wir gespannt seinen Erzählungen lauschen, treffen wir im Verlauf dieser ersten Pirsch immer wieder auf Spuren von Bären, die hier noch Teil des natürlichen Gefüges sind – wir sollten ihnen während unserer Jagdreise sogar zweimal begegnen.

Lebensbock

Was macht einen erlegten Bock, Rehbock zum Lebensbock? Nach einhelliger Meinung sicher seine Trophäenstärke. Ich meine, man sollte aber auch noch weitere Faktoren miteinbeziehen: den Moment, die Umstände, die Begleitung – die Jagd an sich eben. An diesem mittlerweile späten Nachmittag hat dies alles gepasst. Die Anreise verlief reibungslos, das Wetter ist großartig, die Natur überwältigend – und meine Begleitung, bestehend aus Vasile und meiner Frau Ilka, könnte besser nicht sein. Also stoße ich voller Zuversicht und Hoffnung in meinen Blatter, nachdem wir uns oberhalb einer nicht enden wollenden Kräuterwiese, die nur von zahllosen Hecken und Strauchinseln unterbrochen wird, eingerichtet haben. Ein ideales Habitat. Hier muss es einfach Rehwild geben. Es vergeht eine Stunde und die nächste – aber nichts rührt sich. Auch ein prüfender Blick durch die Wärmebildkamera bringt keine Bestätigung irgendeiner Gegenwart von Wild. Auch Vasiles Geduld wird auf die Probe gestellt, als er vorschlägt, den Platz zu wechseln. Da klingelt sein Handy. Zwei, drei Sätze werden ausgetauscht. Er grinst über das ganze Gesicht. „Kommt, kommt …“, und schon sind wir auf den Beinen. Es geht in geduckter Haltung ein paar Hundert Meter einen Hang hinunter, während Vasile immer wieder nach rechts glast. Jetzt knien wir hinter einem Busch, der den Blick auf die dahinterliegende Wiesenfläche verdeckt. „Good buck“, raunt er zu uns herüber und weist auf die Wiese hinter dem besagten Strauch. So kriechen wir langsam aus der Deckung heraus, nutzen ein paar Zweige, die unsere Konturen verdecken sollen, und richten uns vorsichtig auf. Jetzt sehen wir ihn, den Bock. Einen Bock, wie wir ihn noch nie zuvor vor uns hatten. Ich kannte solche starken Trophäen von Bildern, sicher, aber jetzt habe ich einen hochkapitalen reifen Bock vor der Büchse. Ich tausche einen Blick mit Ilka aus. Dann mit Vasile. Der nickt. Die Waffe liegt ruhig auf dem Zielstock. Es dämmert bereits, aber der Wildkörper zeichnet sich klar hinter dem Absehen ab. Der Bock steht scheibenbreit, als der Schuss bricht. Er macht einen Satz nach vorn, dreht sich und bricht nach kurzer Flucht wenige Meter weiter zusammen. Wir richten uns vollends auf und blicken uns eine Weile still an. Der Schuss sitzt, wo er hingehört. Wir liegen uns in den Armen und betrachten voller Respekt und Bewunderung das vor uns liegende Stück – und diese einmalige Trophäe. Plötzlich findet sich neben uns ein junger Mann ein, den Ilka und ich zuvor gar nicht bemerkt haben. Es ist Mihai, einer der anderen Berufsjäger. Er war kurz zuvor mit seinem wirklich klapprigen SUV den Weg hochgefahren, hatte den Bock mit seinem Fernglas entdeckt und Vasile angerufen, um ihm davon zu berichten. So stehen wir noch eine Zeitlang vor dem erlegten Bock zusammen, kurz vor der Dämmerung, begleitet vom Licht der untergehenden Sonne – dies sind Momente, die bleiben.

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